Sommerzeit gleich Urlaubszeit gleich Zeit zum Faulenzen? Der Essay „Gedankenspiele über die Faulheit" der Literaturwissenschaftlerin Dr. Daniela Strigl kommt zur Urlaubszeit zum richtigen Zeitpunkt.
Frau Dr. Strigl, der Economist Intelligence Unit des britischen Wirtschaftsmagazins „The Economist" kürte drei Jahre in Folge Wien zur „lebenswertesten Stadt der Welt". Sie leben in dieser Stadt. Was macht Wien für Sie einzigartig?
Die Weltläufigkeit, das reiche kulturelle Leben, die sehr gute Infrastruktur. Wien ist eine Millionenstadt, aber auch eine grüne Stadt – man ist schnell im Wienerwald. Wien ist eine Stadt in der die Tradition eng mit dem Selbstbild verknüpft ist, ohne sich damit zu begnügen. Wien ist eine offene und moderne Stadt geworden, deren Geschichte doch präsent ist. Und eine sehr sichere Stadt, in der man abends überall unterwegs sein kann, ohne sich zu fürchten. Diese Mischung ist für mich überzeugend.
Die Trägheit zählt in der katholischen Kirche zu den Todsünden. Fürchten wir uns deshalb vor ihr, oder ist es das evangelische Arbeitsethos, das uns die Faulheit so sehr vergällt?
Die Trägheit, im Sinne der christlichen Tradition, ist nicht das, was wir als Faulheit im engeren Sinn betrachten, sondern eine Art Herzensträgheit, eine spirituelle Nachlässigkeit, der verlorene Kontakt zum Göttlichen. Das ist etwas anderes als Arbeitsunlust oder Freude an Untätigkeit. Dieses protestantische Arbeitsethos hat, in den protestantischen Ländern jedenfalls, erfolgreich versucht den Leuten die Faulheit zu vergällen. In der Bibel finden sich keine Hinweise, dass Nichtstun, und mit der Seele baumeln, eine nichtgottgefällige Lebensweise sein könnte. Das protestantische Ethos sagt, dass, nur wer sich strebend bemüht, ein gottgefälliges Leben führt. Das bedeutet umgekehrt eben, dass Faulheit als Sünde betrachtet wird. Ich glaube, dass das für unser Wertesystem eine schädliche Entwicklung ist.
Lassen sich die Begriffe Faulheit, Trägheit und Müßiggang abgrenzen?
Die Faulheit hat den schlechtesten Ruf – es schwingt etwas Unverbesserliches mit. Trägheit klingt etwas milder, könnte es doch etwas Vorübergehendes sein. Der Müßiggang ist unter den Begriffen wahrscheinlich der am besten beleumundete. Den Müßiggang gönnt man sich zwischen Tätigkeiten, den Müßiggänger sieht man deswegen nicht scheel an.
Ist „Chillen" ein schickerer Begriff für die unschickliche Faulheit?
Das ist eine hübsche Frage. Man chillt, wenn man vorher etwas geleistet hat. Das Entspannen, das Ausruhen umfasst am ehesten den Begriff.
Das schöne Zitat „Faulheit ist die Dummheit des Körpers und Dummheit die Trägheit des Geistes" von Johann Gottfried Seume fand ich in ihrem Essay. Fehlt im Deutschen die sprachliche Differenziertheit zwischen geistiger und körperlicher Faulheit?
Ja, das ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht fehlt wirklich diese Unterscheidung. Man sagt von Menschen sie sind denkfaul. Als Denkfaulheit oder geistige Trägheit würde ich betrachten, wenn man sich in seinen Vorurteilen und seiner Gedankenwelt eingerichtet hat und nichts Neues mehr kennenlernen möchte. Im Wort Faulheit selbst gibt es keine Unterscheidung zwischen Geistigem und Körperlichem.
Ich kenne Menschen, die, selbst wenn sie im Urlaub oder in der Freizeit faul sein dürften, nicht faul sein können oder wollen. Eine Typ-Frage oder gehört Freizeitstress zum guten Ton?
Wahrscheinlich beides. Ich glaube schon, dass das allgemeine Klima, der gute Ton einem vorgibt, immer etwas Sinnvolles zu machen – auch in der Freizeit. Faul sein würde ja bedeuten, dass man diesen Sinnanspruch aufgibt und nicht nützlich sein will. Das Nützlichkeitsdenken ist wiederum eng verknüpft mit dem ökonomischen Denken. Im Kapitalismus muss ja alles einen Zweck haben. Manche Temperamente widersetzen oder entziehen sich der unausgesprochenen Verpflichtung zur ständigen Regsamkeit. Andere entziehen sich dem eben nicht und haben die unausgesprochene Verpflichtung zur ständigen Regsamkeit schon so verinnerlicht, dass sie sich schlecht fühlen, wenn sie nichts hervorbringen oder nicht an sich arbeiten. Wenn man richtig faul ist, will man eben nichts machen, was mit irgendeinem Leistungsgedanken verbunden ist. Echte Faulheit ist vom Nützlichkeitsgedanken emanzipiert, dazu muss man auch eine Begabung haben. Man widersetzt sich dem allgemeinen Prinzip – dafür braucht man auch ein Talent.
Mit dem Titel „Alles muss man selber machen" wurden ihre Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens publiziert. Sie beleuchten ihre Tätigkeitsfelder: Biographie, Kritik und Essay. Ich bin der Auffassung, dass die Kunst die Kritik nicht braucht. Ich glaube, der Markt braucht sie. „In gewisser Weise ist jede Rezension eine Bevormundung", schreiben sie. Bevormunden Sie gerne und wenn ja, warum?
Ha! Zuerst einmal bin ich nicht ihrer Ansicht. Ich glaube, dass die Kunst die Kritik braucht und zwar eine Kritik, die diesen Namen verdient. Das geht schon auf Friedrich Schlegel (Kulturphilosoph, Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker, Historiker und Altphilologe; Anm. d. Red.) zurück, der die Kritik im frühromantischen Sinn als eine Fortsetzung, sozusagen die Vollendung des Kunstwerks betrachtet. Ein Kritiker sollte, wohlwollend und kenntnisreich einem Kunstwerk gegenüberstehend, in der Kritik alles, was in dem Kunstwerk angelegt ist, aufgreifen und sozusagen abrunden. Kritik ist prinzipiell eine Antwort auf die Kunst. Ich glaube diese Antwort ist wichtig. Nicht umsonst wird in totalitären Systemen die Kunstkritik abgeschafft, weil, wie der Name schon sagt, kommt Kritik von Unterscheidung – man unterscheidet in gut und schlecht. Ein Intellekt, der unterscheidet und urteilt, ist etwas zutiefst Demokratisches und verträgt sich nicht mit autoritärem Denken. Deshalb glaube ich, dass das Gespräch über Kunst die Kritik braucht – eine ernsthafte Kritik, nicht, wie Sie unterstellt haben, eine, die dem Markt dient, sondern eine Kritik, die versucht dem Kunstwerk gerecht zu werden. Nicht, dass ich erwarte, dass die Künstler sich nach den Kriterien der Kritik richten, aber: Ich glaube an die lebendige Auseinandersetzung. Jeder, der etwas liest, hat ein inneres Sensorium und reagiert kritisch. Wenn ich das laut äußere, womöglich zu meinem Beruf mache, dann bevormunde ich natürlich das Publikum, nicht unbedingt den Künstler. Ob ich das gerne mache? Es ist etwas von Lust dabei, Texte, die mir überheblich oder aufgeblasen vorkommen, zurechtzustutzen auf das Maß, das mir angemessen erscheint. Natürlich mache ich das gerne. Andererseits gibt es aber auch objektive Dinge, die man einem Kunstwerk ankreiden kann. Man sollte auch nicht zu bescheiden sein, wenn man kritisiert.
Welche Voraussetzungen empfinden Sie zum faul sein als ideal?
Wenig Ablenkung durch Mediales oder beunruhigende Nachrichten. Angenehme Temperaturen, es darf ruhig regnen. Für mich gehört zum faul sein durchaus auch lesen. Eine bequeme Sitzgelegenheit und Ruhe.