Das aktuelle Themenjahr Kulturland Brandenburg widmet sich vor allem dem industriellen Erbe der Mark. Dazu gehört auch die Region um Eberswalde im Landkreis Barnim. Eine Annäherung an einen beinahe vergessenen Naturraum und Industriestandort.
Die Ärmel hochgekrempelt, kurbelt Stefan Diebetz kraftvoll die Hebel von einer der zwölf historischen, noch handbetriebenen Schleusen auf dem Finowkanal. Der fröhliche Schleusenwärter winkt den Booten und Schiffen schon von weitem zu, bevor er sie durch die Höhenunterschiede des Kanals schleust. Zunehmend mehr Boote sind hier unterwegs, seit der 42 Kilometer lange Finowkanal als Oase der Erholung von Naturliebhabern aus der näheren und ferneren Umgebung wiederentdeckt wird. Bis zu vier Meter hebt oder senkt sich der Wasserspiegel in der Schleuse. Gräser und hohes Schilf spiegeln sich im Kanal. Die sich ausbreitenden gelben Seerosen leuchten im Sonnenlicht am Rande des Ufers. Dahinter stumme Zeugen einer vergangenen Industriegeschichte, die malerischen Gebäudeensembles der alten Fabrikhallen. Aus ihrem Gemäuer ragen entschlossen junge Birkenbäumchen, deren zarte Zweige und Blätter sich im Wind drehen.
Vom Problemfall zum Idyll
Zu den markantesten Kulturlandschaften der Region Berlin-Brandenburg gehört das Finowtal im Landkreis Barnim. Es ist die Wiege der Brandenburg-preußischen Industrie, die im 17. Jahrhundert entlang des Finowkanals nach und nach aufgebaut wurde.
Der Finowkanal ist Deutschlands älteste Wasserstraße. Sie wurde 1609 im Auftrag des Kurfürsten Joachim Friedrich Wilhelm erbaut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm der Schiffsverkehr immens zu. Kaiser Wilhelm II. veranlasste daraufhin, den Oder-Havel-Kanal anzulegen, der in weiten Strecken parallel zum Finowkanal verläuft. Dieser verlor an Bedeutung, auch wenn er als Wasserweg weiterhin genutzt wurde. Von Kähnen, die einerseits die ansässigen Fabriken mit Rohstoffen versorgten, aber auch von Schiffen, die Kohle, Baumaterialien, landwirtschaftliche Produkte, Porzellan, Seifen und Tabak nach Berlin und ins Ausland transportierten.
In den 1960er- bis zu den 1980er-Jahren verschlechterte sich die Qualität des Wassers, zu viele Schadstoffe waren eingeleitet worden, insbesondere durch die chemische Fabrik Finowtal und die Papierfabrik. Inzwischen erwacht der schmale Kanal aus seinem Dornröschenschlaf. In den 90er-Jahren umfangreich saniert, gibt es jetzt naturnahe Biotope mit seltenen Pflanzen und Tieren. Weißstorch, Rohrweihe, Graureiher, Bläß- und Teichhuhn und sogar Biber oder Eisvögel kann man beobachten. Wasserwanderer sind mit dem Kanu oder Motorboot unterwegs, Radfahrer und Spaziergänger nutzen die einstigen „Treidelwege“ an den Ufern, an denen früher Pferde die Kähne zogen.
Ein technisches Highlight an der Strecke, ein Meisterwerk der Ingenieurstechnik ist das Schiffshebewerk Niederfinow – Europas größter Schiff- Fahrstuhl.
Seit 1934 hebt dieser Koloss unermüdlich Schiffe 36 Meter in die Höhe, ganz gleich, ob es sich um ein kleines Ruderboot handelt oder um ein großes Frachtschiff. Doch für moderne Küstenmotor- und Containerschiffe ist es zu klein geworden, und das neue Schiffshebewerk soll demnächst den etwa 90 Jahre alten Vorgängerbau ersetzen.
Wie auf einer Perlenkette sind die einstigen Industriestätten am Kanal aufgereiht. Kranbau, Walzwerk, Hufnagelfabrik oder Kraftwerk. Die Papierfabrik Wolfswinkel, Eisenspalterei, Kupferhammer, Messingwerk sind jetzt sogar Stadtteile der Industriestadt Eberswalde im Finowtal.
Anfang des 17. Jahrhunderts entstand hier das erste Gewerbezentrum der Mark Brandenburg. In einem Reiseführer schwärmte der Berliner Professor Johann Joachim Bellmann 1829: „Die Fabriken und Gewerke machen den Badegästen den hiesigen Aufenthalt unterhaltend, und den Freunden der Industrie, des Maschinenwesens und der Erfindungen lehrreich und sehr anziehend.“ Auch Künstler fanden in den Industrieanlagen reizvolle Motive. Der Cottbuser Maler Carl Blechen schuf das berühmte Gemälde „Walzwerk Neustadt Eberswalde“ mit der Anfang des 19. Jahrhunderts errichteten Eisenspalterei. Es gehört zu den ältesten Darstellungen von Industriearchitektur in der Kunst und ist in der Berliner Alten Nationalgalerie zu sehen.
Die meisten ehemaligen Produktionsstätten haben sich inzwischen zu „lebendigen“ Kulturräumen und attraktiven Veranstaltungsorten entwickelt. So haben das DJ-Kollektiv Lukins und der Verein „Save your Culture“ im Rofinpark, dem Gelände der einstigen Rohrleitungsfabrik, ihre Heimstatt gefunden. „Dies ist die Geschichte“ ist eine Klanginstallation, die Giovanni Verga geschaffen hat. Und die den Besucher in eine Klangumgebung eintauchen lassen, in der Raum, Zeit und die Historie der Fabrikhalle hörbar und präsent werden.
Das Ensemble Quillo aus der Uckermark präsentiert sich mit kammermusikalischen, zeitgenössischen Werken im Rofinpark und im Blechenhaus im Familiengarten Eberswalde. Der ist eine Attraktion für Groß und Klein am Südufer des Finowkanals auf dem historischen Gelände „Altes Walzwerk“ mit fantasievoll gestalteter Abenteuer- und Märchenwelt. Ein Hexenhaus auf Hühnerbeinen, die Hexenküche im Brennnessellabyrinth, ein Riesenspinnennetz, der fliegende Teppich, ein Zauberschloss, geheimnisvolle Feenwege. Und über allem thront der 28 Meter hohe Montage-Kran.
Klangräume und Kammermusik
Ganz in der Nähe protzt die gewaltige Borsighalle. Ein Rundbogenbau, Mitte des 19. Jahrhunderts von August Borsig ursprünglich für seine Maschinenfabrik in Berlin errichtet. In Eberswalde wurde die Halle dann neu aufgebaut, um darin Eisenschrott zu verarbeiten und später, um Eisenrohrlinge, sogenannte „Knüppel“, zu lagern.
Empfehlenswert ist ein Spaziergang durch die Messingwerksiedlung, die das einst gelungene Nebeneinander von Arbeit und Wohnen vermittelt, die Einheit von Leben, Natur und Industriekultur. Bis zu dreihundert Jahre alt sind die Bauwerke, von den einfachen Wohnkaten aus dem 18. Jahrhundert über den von Paul Mebes entworfenen Wasserturm bis zu den Fertigbau-Kupferhäusern aus den 1930er-Jahren. Am ehemaligen Hafen des Messingwerkes fällt die gusseiserne Teufelsbrücke ins Auge, die 1824 als Weidendammbrücke in Berlin errichtet wurde. Über sie soll sogar Theodor Fontane spaziert sein, sich möglicherweise auf der Brücke mit Emilie Rouanet-Kummer verlobt haben. Da die Brücke dem immer größeren Verkehrsaufkommen in Berlin nicht genügte, wurde sie demontiert und 1895 in den Barnim gebracht.
Einen wunderbaren Blick auf Eberswalde und die verschiedenen alten Industriestandorte entlang des Finowkanals hat man von der Aussichtsplattform des Wasserturmes. Der rund 48 Meter hohe Turm ist ein Relikt der Ziegelindustrie am Finowkanal. Er versorgte die Siedlung und die seinerzeit erweiterten Werkanlagen mit Trink- und Betriebswasser und konnte zweihundert Kubikmeter Wasser speichern. Der weithin sichtbare Turm galt schon bald als Wahrzeichen des Messingwerkes und des Industrieareals im Finowtal. Heute befindet sich im ehemaligen Wasserbehälter das Messingwerk- Museum mit der Dauerausstellung „Ein Dokument der Arbeit“.