Viele Minijobber verloren während der Pandemie nicht nur ihren Job, sie mussten sich total umstellen, wenn sie weiter Geld verdienen wollten. Experten verlangen schon länger eine Reform mit mehr Absicherung – jetzt haben das auch die Parteien vor der Bundestagswahl aufgegriffen.
Die Corona-Pandemie hat auch die Minijobber hart getroffen: Allein zwischen Ende Juni 2019 und Ende Juni 2020 sind bundesweit rund 516. 000 Minijobs weggefallen. In knapp 386.000 Fällen waren Beschäftigte betroffen, die über den Minijob hinaus kein weiteres Beschäftigungsverhältnis hatten. Zudem wurden rund 130. 000 geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse im Nebenjob abgebaut. Das zeigt eine Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung. Waren es im Dezember 2016 noch knapp 6,8 Millionen, so sank ihre Zahl bis Ende März 2021 auf 5,56 Millionen. In Berlin und Brandenburg haben während der Corona-Pandemie über 23.000 Menschen ihre 450-Euro-Jobs verloren und landeten zum Teil bei Hartz IV, so der Bezirk Berlin des DGB.
Schnell angeheuert, schnell gefeuert – viele Arbeitgeber bauen auf die Flexibilität der gering entlohnten Kräfte. Wenn der Betrieb heiß läuft, werden sie gebraucht, kühlt es wieder ab, kann man sie entlassen. Arbeitslose Minijobber fallen durch das soziale Netz. Weil geringfügig Beschäftigte nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen, bekommen sie auch kein Kurzarbeitergeld. Sie verdienen brutto für netto: Denn vier Fünftel der Minijobber haben sich nach Erkenntnissen der Hans-Böckler-Stiftung auch von der Rentenversicherung befreien lassen. 450 Euro auf die Hand, ohne Abzüge. Das ist den meisten sogar recht. Der ursprüngliche Sinn der 2003 eingeführten Arbeitsmarktreform, den Menschen über geringfügige Beschäftigung eine Brücke in den normalen Arbeitsmarkt und damit in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bauen, ist längst verloren gegangen. Viele wollen zwar länger arbeiten, aber scheuen die Sozialabgaben. Besonders hart ist der Jobverlust, wenn der Minijob die einzige Einkommensquelle war. Das trifft auf mehr als vier Millionen Minijobber zu, für die anderen ist es ein willkommener Nebenverdienst.
Von den ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sind 60 Prozent Frauen. Von ihnen arbeiten die meisten im Westen. „Die Differenz hängt eng mit der deutlich höheren Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Frauen im Osten zusammen“, heißt es bei der Hans-Böckler-Stiftung.
Die 450-Euro-Jobs sind vor allem in Branchen verbreitet, die der Lockdown am härtesten traf: Gastronomie und Handel. Kein Wunder, dass diejenigen, die sich als Kellner oder Hilfskoch, als Verkäuferin oder als Putzkraft auf der Straße wiederfanden, keine Perspektive mehr in ihrem Beruf sahen. Viele schulten um, fingen in einem Labor oder bei einem Wachdienst an, suchten neue Möglichkeiten, auch mit weniger stressigen Arbeitszeiten Geld zu verdienen.
„Die Coronakrise unterstreicht, wie prekär viele Minijobs sind“
Heute stehen die Gastronomen mit leeren Händen da und suchen verzweifelt nach Kellnern und Servicekräften. Selbst Aushilfen sind schwer zu bekommen, berichten die beiden Betreiber des Restaurants Kollwitz in Prenzlauer Berg dem „Tagesspiegel“. Vor der Pandemie seien hier noch drei bis vier Aushilfen pro Tag gekommen – jetzt nur noch eine. Sie komme noch alle zwei Wochen.
„Die Coronakrise unterstreicht noch einmal, wie prekär viele Minijobs sind. Dass in der Pandemie vor allem geringfügig entlohnte Beschäftigung gestrichen wurde, ist nicht überraschend, sondern Teil des Konzepts Minijob: Stabilität und soziale Sicherheit sind darin nicht angelegt“, sagt WSI-Experte Eric Seils.
Gerade in Krisenzeiten müssen sich Beschäftigte aber auf ein soziales Sicherungsnetz verlassen können, sagt der DGB-Chef des Bezirks Berlin-Brandenburg, Christian Hoßbach. Der DGB kritisiert seit langem wegen der gravierenden Nachteile für Beschäftigte das „System Minijob“ und streitet für eine Umwandlung aller Minijobs in sozial abgesicherte Beschäftigung. „Dem vermeintlichen Vorteil eines Brutto-für-Netto-Verdienstes stehen Niedriglöhne und Altersarmut gegenüber. Vor allem Frauen wird durch diese Fehlanreize die Möglichkeit einer eigenständigen Existenzsicherung verwehrt. Minijobs sind ein Relikt anderer Zeiten und müssen dringend reformiert werden“, fordert Hoßbach. „Das bedeutet: Tarifverträge, Sozialversicherung und Mitbestimmung statt Niedriglohn und 450-Euro-Jobs.“
Der DGB steht damit nicht allein. Auch der Rat der Arbeitswelt, ein interdisziplinär aufgestelltes Expertengremium, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) berufen wurde, plädiert für eine stufenweise Abschaffung der beitragsfreien Minijobs. Die bestehenden sollen allerdings geschützt bleiben. In den Wahlprogrammen von SPD und Grünen liest es sich so: „Aus den zuletzt rund sechs Millionen Minijobs sollen großteils reguläre Arbeitsverhältnisse werden.“ (SPD) Die Grünen sind gegen die Beibehaltung des jetzigen Zustands: Minijobs sollen sozialversicherungspflichtig werden, Ausnahmen soll es nur noch für Studierende, Schüler und Rentner geben.
45 Prozent der Minijobber üben Helfertätigkeiten aus
Dagegen verteidigt die CDU/CSU das vor 20 Jahren eingeführte Konzept. Minijobs bedeuteten Flexibilität für mittelständische Betriebe, heißt es in ihrem Programm. Das deckt sich mit den Vorstellungen der FDP. Die Grenze von 450 Euro soll auf 550 Euro steigen, um auf die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns zu reagieren. Denn der ist auch einem Minijobber sicher – nur dass bei einer Erhöhung von beispielsweise 9,50 auf zwölf Euro weniger Arbeitsstunden zusammenkommen.
Experten vom Rat der Arbeitswelt verweisen noch auf ein anderes Problem: 45 Prozent der Minijobber üben reine Helfertätigkeiten aus, für die es keine Ausbildung braucht. Die steuer- und abgabenrechtliche Privilegierung der geringfügigen Beschäftigung sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es. „Mittel- bis langfristig bergen die starren Verdienstgrenzen der geringfügigen Beschäftigung … das Risiko, dass das Fachkräftepotenzial nicht vollständig ausgeschöpft wird.“ Statt sich ausbilden zu lassen, verharren viele in diesen geringfügig bezahlten Beschäftigungsverhältnissen. Auch die Erweiterung der Tätigkeit von einem Minijob zu einem „Midi“-Job lohne sich für viele nicht. Billig ist halt nicht immer gut – wenn am Ende die Fachkräfte fehlen, werden die Unternehmen ihre Probleme nicht lösen können.