Die letzte der drei großen Landes-Rundfahrten der Saison 2021 verspricht Hochspannung pur. Denn für die Vuelta a España 2021 haben mit Roglic, Carapaz und Bernal gleich drei siegfähige Superstars gemeldet. Pogacar sagte leider kurzfristig ab.
Es hätte die große Revanche für die Tour de France 2021 werden sollen. Doch gut eine Woche vor Beginn der Spanienrundfahrt hatte der Slowene Tadej Pogacar, amtierender Tour-Sieger und mit olympischem Edelmetall in Tokio dekoriert, überraschend seinen Startverzicht mitteilen lassen. Damit fällt leider der mit Spannung zu erwartende Zweikampf mit Landsmann Primoz Roglic, dem Zeitfahr-Olympiasieger von Tokio 2021, um den Sieg in der Gesamtwertung bei der Rundfahrt auf der iberischen Halbinsel ins Wasser. Doch trotz Pogacars Absage muss der Vuelta-Titelverteidiger Roglic erst einmal eine ganze Reihe von ernsthaften Konkurrenten bezwingen. Weil auch der Kolumbianer Egan Bernal nach seinem Triumph beim Giro d’Italia 2021 und der Ecuadorianer Richard Carapaz nach seiner olympischen Tokio-Goldmedaille im Straßenrennen, seinem Podiumsplatz bei der Tour 2021 und als knapp geschlagener Vuelta-Zweiter 2020 fraglos Siegesansprüche anmelden können. Roglic und Carapaz belegen hinter Pogacar die Plätze zwei und drei in der aktuellen UCI-Weltrangliste in Sachen Etappenrennen. Von den derzeit wohl stärksten Rundfahrten-Spezialisten der Welt fehlt neben Pogacar eigentlich nur der junge Däne Jonas Vingegaard, dem sein Team Jumbo-Visma nach seinem Überraschungscoup bei der Tour de France 2021 offensichtlich eine Auszeit gönnen möchte. Die Absenz des superstarken Wout van Aert, Zweitplatzierter im saisonalen UCI-Individual Ranking, fällt nicht weiter ins Gewicht, weil sich der Belgier ohnehin kaum Chancen in der Gesamtwertung ausrechnen konnte.
Coronabedingt nur innerhalb Spaniens
Zum erweiterten Favoritenkreis für die Spanienrundfahrt 2021 sind fraglos auch noch die Briten Adam und Simon Yates, die Franzosen Romain Bardet und Guillaume Martin, die Spanier Enric Mas, Miguel Angel López, Alejandro Valverde, Mikel Nieve, Luis León Sánchez und Mikel Landa, der Kolumbianer Rigoberto Urán oder die Russen Aleksandr Vlasov und Pavel Sivakov zu zählen. Die Aufzählung liest sich fast schon wie ein Who-is-Who des aktuellen Spitzen-Radsports. Die Vuelta 2021 ist, was die Namen der Teilnehmer betrifft, daher die wohl mit Superstars am stärksten besetzte Rundfahrt der Saison. Sie ist damit trotz des Fehlens von Pogacar eine ideale Bühne für Tour-Revanchen oder zur Untermauerung von Comebacks, vor allem für Bernal, der seinem Arbeitgeber Ineos Grenadiers wohl die Ausbootung bei der Tour 2021 noch nicht ganz verziehen haben dürfte.
Ein who-is-who des Spitzen-Radsports
Die 76. Auflage der Vuelta a España wird vom 14. August bis 5. September coronabedingt nur innerhalb der spanischen Landesgrenzen durchgeführt werden. Auch wenn die Pyrenäen diesmal auf der insgesamt 3.361 Kilometer langen Streckenführung außen vor gelassen werden, wird der Weg zum Gesamtsieg auf den 21 Etappen wieder nur über die Kletter-Spezialisten der 23 Teams und des 184 Fahrer umfassenden Teilnehmerfeldes führen. Natürlich gibt es auch einige Tagesabschnitte für die reinen Sprinter, die sich auf fünf bis sieben Etappen Hoffnungen auf einen Sieg machen können. Wobei in Abwesenheit der beiden Punktbesten der jüngsten Tour de France, Mark Cavendish und Michael Matthews, wohl der Australier Caleb Ewan vom Team Lotto Soudal oder der Niederländer Fabio Jakobsen von Deceuninck-Quick Step die besten Karten haben dürften.
Auf den sechs hügeligen oder mittelgebirgigen Teilstücken werden sich die Pencheur genannten Klassiker-Spezialisten wie der Deutsche Maximilian Schachmann nach seinem etwas enttäuschenden zehnten Platz im olympischen Straßenrennen die größten Erfolgschancen ausrechnen. Zumal Schachmanns Team Bora-hansgrohe in der Vuelta-Gesamtwertung wegen des Verzichts auf die beiden Bergziegen, den Deutschen Emanuel Buchmann und den Niederländer Wilco Kelderman trotz der Nominierung des Österreichers Felix Großschartner keine Rolle spielen dürfte. Doch die Entscheidung über den Gesamtsieg wird in den sieben schweren Bergetappen fallen, die teils mit extrem steilen Rampen aufwarten können.
Die beiden Einzelzeitfahren nicht zu vergessen, der erste Kampf gegen die Uhr steht dabei schon auf der ersten Etappe am 14. August über acht Kilometer im baskischen Burgos an. Das zweite Einzelzeitfahren führt dann zum Finale der Vuelta 2021 am 5. September über 33,7 Kilometer in die galicische Pilgerstadt Santiago de Compostela. Im Vorjahr hatte Roglic vom Team Jumbo-Visma durch seinen deutlichen Sieg beim Zeitfahren über die gleiche Streckenlänge eine Vorentscheidung im Kampf um die Gesamtwertung gegenüber Richard Carapaz von der Equipe Ineos Grenadiers herbeiführen können. Auch 2021 könnte das zweite Einzelzeitfahren am letzten Vuelta-Tag wieder das entscheidende Zünglein an der Waage werden. Denn wenn es den beiden Mitfavoriten Richard Carapaz und Egan Bernal vom Team Ineos Grenadiers nicht gelingen sollte, auf den Bergetappen genügend Sekunden gegenüber dem Zeitfahr-Ausnahme-Könner Primoz Roglic von Jumbo-Visma herauszufahren, wird der Slowene aller Voraussicht nach wieder den Vuelta-Gesamtsieg im Kampf gegen die Uhr für sich entscheiden können.
18. Teilstück mit 160 Kilometern als Königsetappe
Viel spricht allerdings genau für dieses Szenario, weil eigentlich nicht zu erwarten ist, dass sich von den Top-Dreien einer in den Bergen eine richtige Blöße geben wird. Aber Stürze bei der Abfahrt oder eine unerwartete Schwächephase bei einem steilen Anstieg können natürlich nie gänzlich ausgeschlossen werden. Ineos Grenadiers hat mit Adam Yates, Pavel Sivakov oder dem jungen Briten Tom Pidcock, der sich in Tokio die Mountainbike-Goldmedaille geholt hatte, eine bärenstarke Helfertruppe für die beiden Kapitäne zusammengestellt. Roglic kann im Jumbo-Visma-Team auf die Unterstützung des US-Amerikaners Sepp Kuss und der beiden Niederländer Steven Kruijswijk und Robert Gesink vertrauen. Auch das spanische Moviestar-Team hat bei seinem Heimspiel natürlich wieder eine starke Equipe rund um Altstar Alejandro Valverde, Enric Mas und Miguel Angel López aufgeboten, es hat aber in den letzten Jahren bei der Vuelta eher enttäuschend abgeschnitten, weil man sich nie so recht auf einen klaren Kapitän einigen konnte. Auch das deutsche Team DSM wird sich mit einer schlagkräftigen Truppe gen Spanien aufmachen und hoffen, dass Romain Bardet endlich wieder an seine Glanzform vergangener Tage wird anknüpfen können.
Mit einem langsamen Einrollen wird es bei der Vuelta 2021 nichts werden. Denn nach dem Einzelzeitfahren und einer Flachetappe am zweiten Tag wartet auf das Feld schon zum Ende des dritten Teilstücks mit dem Picón Blanco eine 8,1 Kilometer lange und durchschnittlich bis zu neun Prozent steile Rampe. Danach biegt das Peloton vom Norden Richtung Mittelmeerküste ab, an der es bis nach Rincon de la Victoria Richtung Süden geht. Die erste richtige Bergetappe steht als siebtes Teilstück am 20. August auf dem Programm. Am Ende von 152 Kilometern muss dabei nach sechs Bergpässen und zwei Anstiegen der 1. Kategorie noch der Balcón de Alicante erklommen werden, der zwar nur knapp vier Kilometer lang ist, dafür aber eine Steigung von durchschnittlich 9,5 Prozent aufweist. Auf der neunten Etappe ist auf dem Weg zum Ziel zunächst ein 21 Kilometer langer Anstieg zu bewältigen, und es wartet bei der Bergankunft auch noch der 1786 Meter hohe Alto de Velefique mit beschwerlichen 12,8 Kilometern und gut sieben Prozent Steigung. Nach dem ersten Ruhetag am 23. August geht es wieder gen Norden, zunächst mit drei hügeligen Etappen und einer Flachetappe. Bevor die beiden 14. und 15. Teilstücke am 27. und 28. August unmittelbar vor dem zweiten Ruhetag einen ersten Vorgeschmack auf die harten Bergetappen der dritten Woche bieten, die in Kantabrien an der Atlantikküste starten wird. Die 14. Etappe endet mit einem zwar nur drei Kilometer langen, aber durchschnittlich 13,6 Prozent steilen Anstieg. Noch heftiger dürfte die 15. Etappe westlich von Madrid werden, bei der sich im Feld nach der Bewältigung von fast 4000 Höhenmetern endgültig die Spreu vom Weizen trennen wird. Wer nach der 17. und 18. Etappe das rote Trikot des Gesamtführenden tragen wird, kann sich schon berechtigte Hoffnungen auf den Gesamtsieg machen. Auf der 17. Etappe müssen sich die Fahrer gleich über vier kategorisierte Anstiege quälen und zum Abschluss auch noch den 12 Kilometer langen Weg mit durchschnittlich sieben Prozent Steigung zum Lagos de Covadonga schaffen. Das 18. Teilstück ist die Königsetappe und führt nach rund 160 Kilometern auf den Alto de Gamoniteiru – der Schlussanstieg ist 14,6 Kilometer lang bei durchschnittlich 9,8 Prozent Steigung.