Flutkatastrophen nach Starkregen, Waldbrände bei Hitzewellen – und das alles gleichzeitig. Klimaforscher Mojib Latif über Jetstreams, Klimaleugner und warum wir keine Angst vor Klimaschutz haben müssen.
Herr Latif, wie würden Sie den „Jetstream“ in einfachen Worten erklären?
Also zunächst einmal muss ich sagen, dass diese Jetstream-Theorie zwar plausibel ist, allerdings in der Wissenschaft noch ziemlich umstritten. Im Moment liegt ein sehr großer Fokus auf dem Jetstream. Aber selbst wenn der sich nicht verändern würde, würden wir trotzdem in Folge der Erderwärmung solche Dinge bekommen wie Starkregen, Hitze und Trockenheit. Er ist ein Starkwindband in der Höhe, das so ziemlich jeder kennt, der einmal nach Amerika geflogen ist. Denn wenn Sie nach Amerika fliegen, dauert der Hinflug länger als der Rückflug, weil Sie beim Rückflug den Jetstream im Rücken haben. Er steuert letzten Endes die Wettersysteme. Der Jetstream hängt von den Temperaturunterschieden zwischen den polaren Breiten und den südlicheren Breiten ab. Je stärker dieser Temperaturunterschied ist, desto stärker kann auch der Jetstream sein. Wir beobachten, dass die Erderwärmung nicht gleichförmig ist, sondern es regionale Unterschiede gibt. Er könnte sich verlangsamen, weil sich die Arktis besonders stark erwärmt – am stärksten von allen Regionen weltweit. Und dann könnten eben die Wetterelemente auch bei uns länger verharren. So war es auch bei der letzten Flutkatastrophe, da das Tief sein gesamtes Wasser über einem relativ begrenzten Gebiet abgeladen hat. Ich würde den Jetstream allerdings nicht so hoch hängen, wie es medial derzeit gemacht wird.
Was genau hat der Klimawandel mit den extremen Wassermassen und anderem Extremwetter zu tun?
Der Punkt ist, dass die Atmosphäre viel mehr Wasser in Form von Wasserdampf aufnehmen kann. Je wärmer es wird, desto mehr Wasserdampf kann die Luft halten. Und dieser Zusammenhang ist exponentiell. Daher ist es möglich, dass sehr viel größere Regenmengen fallen bei höheren Temperaturen. Und deswegen darf der Jetstream zwar nicht vernachlässigt werden, aber er ist nicht die Hauptursache. Wir haben ja mittlerweile schon eine Art Inflation des Begriffes „Jahrhundertflut“. Das fing 1993/94 mit dem Weihnachtshochwasser am Rhein an. Dann ging es weiter mit der Oderflut 1997, der Elbeflut 2002 und so weiter. Ich finde, dieser Begriff passt einfach nicht mehr, weil es schon fast zur Normalität wird.
Man liest häufig die Frage: „Ist das noch Wetter oder doch schon Klima?“ Wie würden Sie das beantworten?
Also nehmen wir beispielsweise diese Häufung der „Jahrhundertfluten“, die ich gerade erwähnt habe. Oder die steigenden Temperaturen, auch hier in Deutschland mit dem Allzeitrekord im Jahr 2019. Das ist doch ein ganz klares Indiz dafür, dass sich unser Klima ändert. Und das haben wir schon seit Jahrzehnten vorhergesagt. Ich bin der lebende Beweis dafür. Mein allererstes Buch mit dem Titel „Hitzerekorde und Jahrhundertflut“ ist 2003 erschienen. Es ist wissenschaftlich völlig klar, dass man hier den Einfluss des menschengemachten Klimawandels sieht. Natürlich hat es vorher auch schon Wetterextreme gegeben. Es sind die Häufung und die Intensivierung dieser Phänomene, die auf die Klimaerwärmung zurückzuführen sind.
Wie kann es sein, dass trotz dieser wissenschaftlich fundierten Faktenlage immer noch so viel über Klimapolitik gestritten wird?
Das ist enorm komplex. Ein großer Punkt ist meiner Meinung nach immer noch die Abstraktheit des Problems. Natürlich sind jetzt viele Menschen gestorben, aber die allermeisten Menschen in Deutschland sind nicht direkt betroffen, für sie ist die Bedrohung durch den Klimawandel gerade nicht spürbar. In erster Linie geht es um das Treibhausgas CO2. Wir haben heute einen CO2-Wert, den es noch nie gegeben hat, seit wir Menschen auf der Erde leben. Wir können es aber nicht sehen. Aber das ändert sich in den letzten Jahren durch die Wetterextreme, die inzwischen Deutschland in ungeahntem Ausmaß treffen. Wir hatten einen Rekordsommer 2018, der gefühlt nicht enden wollte. Dann den Allzeittemperaturrekord 2019. Jetzt die Flut. Die Einschläge kommen näher. Ein weiterer Punkt ist natürlich, wie die Weltwirtschaft funktioniert. Vielleicht klingt das radikal: Aber die Weltwirtschaft, wie sie heute funktioniert, nimmt keine Rücksicht auf Menschen oder auf die Umwelt. Dazu sind die Lobby-Interessen extrem stark und üben einen enormen Druck auf die Politik aus. Dinge, die notwendig sind, können einfach nicht schnell genug umgesetzt werden. Und der dritte Punkt ist natürlich die Politik selbst. Die Politik ist zu hasenfüßig. Ich kann nicht verstehen, warum sie sich so von den Lobbys unter Druck setzen lässt. Aber sie hat auch einfach Angst vor den Wählern. Die Politik traut sich nicht, den Wählerinnen und Wählern die Wahrheit zu sagen. Trotzdem möchte ich Deutschland nicht komplett in die Tonne treten. Weltweit ist der CO2-Ausstoß seit 1990 um rund 60 Prozent gestiegen. Das ist genau der Zeitpunkt, seitdem dieses Thema oben auf der weltpolitischen Agenda steht. Bei uns in Deutschland ist der CO2-Ausstoß im selben Zeitraum um 40 Prozent gesunken. Klar hätten wir mehr machen können, aber diesen Unterschied muss man einfach mal sehen. Das zeigt doch, dass es möglich ist. Und wenn es einem Land auf der Welt gut geht, dann ist das doch Deutschland. Und deshalb braucht man vor Klimaschutz gar keine Angst zu haben. Klimaschutz stimuliert Innovation und Investitionen in Zukunftstechnologien. Er macht uns fit für die Zukunft.
Bekanntermaßen gibt es immer noch einflussreiche Persönlichkeiten, wie beispielsweise Donald Trump, die einen Klimawandel leugnen. Wie kann das sein?
Auch das ist ein schwieriges Thema. Ich glaube, es hat sehr viel damit zu tun, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich immer größer wird. Gerade in Amerika gibt es eine extreme Armut im mittleren Westen, wo die Menschen zum Teil nicht einmal direkten Zugang zu Trinkwasser haben. Die Amerikaner denken sich so langsam, sie haben alles versucht. Sie haben mal die Demokraten gewählt, mal die Republikaner und trotzdem ist es immer schlechter geworden. Diese Menschen sind so verzweifelt, dass sie sich an den letzten Strohhalm klammern, und der war Trump. Deswegen habe ich schon bei seiner Wahl gesagt, wir sollten nicht über die Tatsache nachdenken, dass er gewählt wurde, sondern eher über die Ursachen. Denn verzweifelten Menschen kann man einfacher Lügen erzählen. Und wie verzweifelt müssen Menschen sein, dass sie jemanden wie Donald Trump wählen? Und das ist das Schreckgespenst für mich, das ich eben auch in Deutschland erscheinen sehe. Denn auch in Deutschland wissen immer mehr Menschen nicht mehr, wovon sie eigentlich noch leben sollen. Für diese Leute kommt Klimaschutz zu allerletzt, denn sie müssen sehen, dass sie ihr Leben irgendwie bestreiten können. Und deswegen müssen wir aufpassen, dass wir die soziale Balance in diesem Land bewahren. Auch in Deutschland geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Dabei ist es gar nicht die Frage, ob wir uns Klimaschutz leisten können. Heiner Geißler hat mal schön gesagt: „Geld ist genug da, es ist nur falsch verteilt.“
Wie beurteilen Sie die Darstellung von Klimathemen in den Medien?
Lange Zeit war sie tatsächlich eher verzerrt. In meiner langen Zeit als Klimaforscher habe ich es schon erlebt, dass in Talkshows auch immer Klimaleugner saßen. Das kam dann häufig so rüber als wäre die Wissenschaft sich nicht einig. Das war aber nicht so. Ich glaube, das ist auch einer der Gründe, warum die Menschen den Klimawandel nicht so richtig ernst genommen haben. Dabei hat es in der Wissenschaft diesen „Kampf um das Klima“ niemals gegeben. Ich habe vor vielen Jahren mal in einer Fernsehsendung gesagt, dass man in den Medien die Wissenschaft auf dem Altar der Quote opfert. Mittlerweile empfinde ich das nicht mehr so, aber lange Zeit war das der Fall. Es gibt ja dieses ungeschriebene Gesetz, dass man immer die Gegenmeinung zu Wort kommen lassen muss. Aber ab einem bestimmten Punkt macht das einfach keinen Sinn mehr. Da muss man sagen: Das ist einfach Fakt, und es wird jetzt nicht mehr diskutiert. Oder diskutieren wir noch darüber, ob die Erde eine Kugel oder eine Scheibe ist?