Präsident Joe Biden macht derzeit pragmatische, multilaterale US-amerikanische Weltpolitik. Zuhause aber bringt er vor allem die Republikaner gegen sich auf – durch ein überambitioniertes Gesetz, das das Wählen vereinfachen und Spenden transparenter machen soll.
Endlich etwas Ruhe in der US-amerikanischen Politik. Präsident Joe Biden hat nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch nach vier turbulenten Trump-Jahren auf Verlässlichkeit, Professionalität, Ruhe und Geradlinigkeit gesetzt. Die politischen Grabenkämpfe aber haben keineswegs aufgehört, sie verlagern sich zu neuen Schauplätzen. Beispiel: das Gesetz H.R.1 und S.1, so der politische Jargon in Washington, eines der wichtigsten Gesetze in Bidens Amtszeit. Das öffentlichkeitswirksam „For the people act“ genannte Gesetz hat bereits das Repräsentantenhaus mit der dünnen Mehrheit der Demokraten passiert und wartet nun im Senat, der 50:50 zwischen den beiden Parteien gespalten ist, auf Abstimmung. Wenn Joe Biden dieses Gesetz unterschreibt, kann es das Wahlsystem in den USA massiv verändern. Doch die Inhalte des Gesetzes sind ambitioniert, vielfältig und liberal und damit per se ein rotes Tuch für den politischen Gegner.
Für Wähler soll es leichter werden, sich für die Wahl zu registrieren. Laut Gesetzesvorschlag sollen zum Beispiel Menschen, die sich eine neue FahrÂerlaubnis ausstellen lassen, automatisch als Wähler registriert werden – es sei denn, sie widersprechen aktiv. Das Online-Registrieren von Wählern soll ebenso erleichtert werden wie das Wählen per Brief. Außerdem soll der Wahltag, der per Verfassung auf den 11. November festgelegt ist, zu einem Feiertag erklärt werden – unter anderem, damit Angestellte sich nicht extra freinehmen müssen, um zu wählen, weil sie, vor allem in Gegenden mit einem hohem Anteil schwarzer Bevölkerung, bei vergangenen Wahlen stundenlang anstehen mussten.
Gesetzlich festgeschrieben werden soll auch das Offenlegen der Steuererklärungen der Präsidentschafts- und Vize-Kandidaten – vor allem, weil Ex-Präsident Trump sich weigerte, dies zu tun, und dadurch Misstrauen schürte. Mit Misstrauen begegnet man mittlerweile auch den sogenannten Super-PACs, außerparteiliche, millionenschwere, unternehmensgestützte und vor allem intransparente Spendenorganisationen für Wahlkämpfe, die zwar unabhängig von den jeweiligen Parteien agieren sollen, dies aber faktisch kaum tun. Sie sollen die Namen ihrer Spender künftig offenlegen. Außerdem sollte das sogenannte Gerrymandering, sprich das Ziehen neuer Wahlkreisgrenzen, auf einer künftig überparteilichen Basis geregelt werden.
Grabenkämpfe gehen weiter
Ende Juni stimmten die Republikaner im Senat bei einer Testabstimmung geschlossen gegen das Gesetz. Die Begründungen waren individuell unterschiedlich. Minderheitsführer Mitch McConnell sprach vom „Kampf um Amerikas Seele“, den die Republikaner gewinnen würden, und dass man die Bundesstaaten vor dem Einfluss des Bundes schützen müsse, wenn dieser ihnen Vorschriften zum Wahlprozedere machen wolle. Denn darüber, wie gewählt wird, entscheiden bislang die Bundesstaaten. Dabei ist die Initiative der Regierung für vereinfachtes Wählen eine Reaktion auf die gesetzgeberische Intervention der Grand Old Party. Die Republikaner haben laut dem unabhängigen, eher liberalen Brennan Center in 17 Bundesstaaten bereits 28 Gesetze verabschiedet, die das Wählen schwieriger machen, vor allem im Mittleren Westen, den Südstaaten und Florida. Darunter sind Gesetze, die das Wählen per Brief erschweren, Fristen verkürzen und Identitätskontrollen verschärfen. Weitere Staaten werden dazukommen. Jüngster Fall: Texas. Dort reisten die demokratischen Abgeordneten geschlossen in die Bundeshauptstadt ab, um das notwendige Quorum für eine Abstimmung über verschärfte Wahlgesetze im Parlament des Bundesstaates zu unterlaufen. Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, drohte den Abgeordneten, sie in Washington verhaften zu lassen und zwangsweise zur Abstimmung zu bringen. Das Recht dazu hätte er sogar. Bereits 2011 erhöhten zahlreiche Staaten die Wahlhürden – eine Reaktion auf die Präsidentschaftswahl Barack Obamas. Allerdings wurden in 14 Staaten auch Wahlen durch 28 Gesetze vereinfacht.
Auch die Kampagnenfinanzierung ist nach Auffassung der Regierung reformbedürftig. Sie soll durch ein freiwilliges öffentliches System von Kleinspenden unter Aufsicht des US-Finanzministeriums ergänzt werden. Das oft undurchsichtige Geflecht von Super-PACs und Parteien, das vielfach bereits vor US-Gerichten wegen Verdachts auf Korruption landete, könnte dadurch aufgebrochen werden. Diese finanzstarken Wahlkampfmaschinerien dürfen seit 2011 laut Verfassung für Kandidaten, die sich für politische Ämter bewerben, Spendengelder einwerben und damit Werbung machen – sich aber nicht mit den Kandidaten oder den Parteien absprechen. Da regelmäßiger Personalaustausch zwischen den Parteien und den Spendenkomitees stattfindet, und viele Absprachen hinter den Kulissen ablaufen, ist diese Regelung faktisch nutzlos.
Zusätzlich soll das Gerrymandering in seiner jetzigen Form abgeschafft werden. Alle zehn Jahre dürfen Staaten ihre Wahlkreisgrenzen neu ziehen – je nachdem, welche Partei regiert, zu ihrem jeweiligen Vorteil. Die Republikaner haben dies derart perfektioniert, dass sie trotz einer geringeren Zahl von Wählern in vielen Staaten die Mehrheit im Parlament stellen und daher die Grenzen wieder neu ziehen dürfen. Per Gesetz wollen die Demokraten dies verhindern – indem in den Staaten jeweils eine parteiübergreifende Kommission zusammen mit unabhängigen Experten gebildet wird, die diese Aufgabe übernimmt.
Außerdem soll politische Ethik nun in Gesetzesform gegossen werden. Darunter fallen nicht nur Regelungen, die die oft vielfachen Interessenkonflikte zwischen Behörden, Lobbyfirmen und Unternehmen ausgleichen sollen, sondern auch das Offenlegen von Steuererklärungen von potenziellen Amtsträgern. Donald Trump hatte dieses bislang ungeschriebene Gesetz für Präsidentschaftskandidaten von Beginn seines Wahlkampfes an regelrecht bekämpft.
Demokraten in Texas legen Abstimmung lahm
Die Chancen, dass das Gesetz in dieser Form letztlich auf dem Schreibtisch von Joe Biden zum Unterzeichnen landet, sind jedoch gering. Um eine Abstimmung darüber zu verhindern, setzten die Republikaner zuletzt den Filibuster, eine Marathonrede, ein. Mitch McConnell, Meister der Senatsverfahren, muss sich also nicht einmal sonderlich anstrengen, um die republikanischen Kollegen auf Linie zu bringen. Dabei wäre dieses Gesetz nicht nur wichtig, um die Wahlen freier und fairer zu machen. Es würde der republikanischen Partei endlich eine Auseinandersetzung mit ihrer Wählerschaft und ihren Inhalten abtrotzen, während sie sich derzeit vor allem auf Systemmanöver und prozedurale Tricks verlässt. Stattdessen wird es zum Schild der Demokraten, die dahinter ihre eigenen internen Streitereien zwischen progressiven und moderaten Kräften im Hinblick auf ein gemeinsames Ziel für eine Weile beiseitelegen wollen. Trotz geringer Aussichten bleiben die Demokraten derzeit noch am Ball, überarbeiten das Gesetz weiter. Die Hoffnung aber, dass der „For the people act“ einmal tatsächlich „für das Volk“ von Joe Biden in der nun vorliegenden Form unterschrieben werden kann, können Demokraten ohne deutliche Mehrheit im Senat kaum ernsthaft hegen.
Ein weiteres Gesetz könnte jedoch in den kommenden Wochen zu Bidens zweitem innenpolitischen Vermächtnis werden: ein Infrastruktur-Paket im Wert von einer Billion US-Dollar. Es verspricht mehr Erfolg, da es überparteilich erarbeitet wurde. Das Geld fließt in Straßen, Brücken, die Bahn, die Stromversorgung, den Breitbandausbau. Dafür stimmte sich das Weiße Haus an vielen Stellen eng mit den Republikanern ab und erreichte schließlich, dass einige von ihnen im Senat immerhin dafür votierten, das Gesetz zu beraten. Biden sei ein Geschöpf des Senats, sagte dazu der demokratische Abgeordnete von Hawaii, Brian Schatz, gegenüber dem Magazin „Politico“, und nicht ohne Ironie im Hinblick auf die vergangene Präsidentschaft: „Vielleicht sind Berufspolitiker tatsächlich gut in Politik.“