„Falling“ erzählt von dem schwierigen Verhältnis zwischen einem Sohn und seinem demenziell erkrankten Vater und ist frei von Kitsch und Weichzeichnung. Zu sehen ist er ab jetzt im Kino.
Willis als übellaunig zu bezeichnen, trifft die Stimmung des etwa 80-jährigen Seniors nicht ganz. Eine schlechte Laune nämlich geht vorüber, bei Willis aber ist unhöfliches und beleidigendes Verhalten ein Zustand von jahrzehntelanger Dauer. Da ist es eigentlich ganz gut, dass er seine Farm allein betreibt und in Ruhe vor sich hin meckern kann – jedenfalls bis vor Kurzem. Denn nun wohnt Willis bei seinem Sohn John, der ihn wegen dessen stärker werdender Demenz zur Pflege in sein Haus geholt hat. Eine liebevolle Geste? Ein Ausdruck von Dankbarkeit? Mitnichten, denn Willis Verhalten kommt erst so richtig in Fahrt, und er kränkt jedes Familienmitglied immer wieder. Warum tut John sich das an? Die Krankheit Demenz ist in den vergangenen Jahren häufiger das zentrale Thema von Spielfilmen gewesen – endlich, denn zwar hat diese fortschreitende Beeinträchtigung des Gedächtnisses immer schon viele Menschen befallen, besondere Erwähnung fand sie aber in den fiktiven Erzählungen höchstens in Nebenhandlungen. Dann kamen im Jahr 2014 gleich zwei Filme, die durch großartige Figuren und sensible Erzählweise die Demenz einem Massenpublikum näherbrachten: Til Schweigers Erfolg „Honig im Kopf“ mit Dieter Hallervorden und „Still Alice – Mein Leben ohne gestern“ mit Julianne Moore, die für ihre Rolle mit dem Oscar als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde.
Warum tut John sich das überhaupt an?
„Falling“ geht das Thema Demenz ganz ohne humoristische Szenen oder sympathische Senioren an. Viggo Mortensen, der Regie führte und Sohns John spielt, will es dem Zuschauer gar nicht leicht machen, der schwierigen Beziehung zwischen Vater (Lance Henriksen) und Sohn zu folgen. Und als ob der schlechter werdende Geisteszustand von Willis nicht schon genug wäre, fügt Mortensen der Handlung noch einen weiteren Konflikt hinzu: John nämlich ist schwul und lebt mit seinem Freund zusammen. Das ist das sprichwörtliche Wasser auf die Mühlen des griesgrämigen Willis, der durch seine homophoben und rassistischen Äußerungen seinen Sohn, dessen Freund und sicher auch manchen Zuschauer an den Rande der nervlichen Belastbarkeit treibt.
Und weil in Rückblenden zu sehen ist, dass des Vaters Verachtung seinem Sohn schon in dessen jungen Jahren das Leben schwer gemacht hat, dient die Demenz auch nicht als Erklärung für das wahrlich unentschuldbare Verhalten, das Willis auch seiner Tochter (Laura Linney) gegenüber zeigt. Selbst die Enkel können sich da nur fassungslos von ihrem Großvater abwenden. Kein Wunder also, dass jeder Zuschauer sofort Verständnis hätte, wenn John seinen Vater in ein nicht zu teures Pflegeheim geben würde.
Aber John reagiert mit wahrer Engelsgeduld auf die Provokationen seines Vaters und vermeidet es konsequent, sich in einen fiesen Zwist hineinziehen zu lassen. Nur an dezent gesetzten Gesichtsregungen zeigt Viggo Mortensen, wie sehr John die Verachtung seines Vaters verletzt. John ist hinter seiner Fassade auch anzusehen, dass er tief in sich doch mit der Frage ringt, die Verantwortung um die Pflege des Erkrankten angesichts dessen abscheulichen Verhaltens tatsächlich weiter anzunehmen. Das ist ganz große Schauspielkunst, die es dem Zuschauer erlaubt, trotz der wahrlich nervenaufreibenden Handlung eine enge Bindung zu „Falling“ einzugehen und mal fassungslos, mal mit Abscheu und mal mit großer Anspannung der Geschichte zu folgen.
Dezente Hinweise erzählen vom Seelenleid
Eine einfache Antwort auf die Frage, warum John sich so sehr der Pflege seines Vaters verpflichtet fühlt, gibt „Falling“ nicht, wenngleich die Rückblenden den dann noch jungen Willis als Mann zeigen, der auch nur ein Ergebnis von Wertvorstellungen und Erziehungsmethoden seiner Eltern und seiner Zeit ist. Aber das reicht nicht als Erklärung, sich noch als alter Mann an längst überholte Ansichten zu klammern und jegliche Möglichkeit zur Veränderung zugunsten des sozialen Miteinanders auszuschließen. Willis scheint schon als junger Mann die Verachtung für die Welt in sich zu tragen, das große Vergessen als Folge der Demenz tötet dann noch das letzte Fünkchen Anstand. So ist „Falling“ zwar unbequem, aber genau dadurch sehenswert.