Die Kastelruther Spatzen sind die Superstars der volkstümlichen Schlagermusik. Im zweiten Corona-Jahr besingen die Südtiroler auf ihrem gleichnamigen neuen Album die „HeimatLiebe“. Diesmal geht es aber nicht nur um die schöne heile Welt. Frontmann Norbert Rier, 61, redet über Umweltverschmutzung, die Kraft der Träume und seine Freundschaft zu Frei.Wild.
Herr Rier, die Kastelruther Spatzen veröffentlichen seit 1983 jedes Jahr mindestens ein neues Album. Als Künstler haben Sie scheinbar einen starken Schaffensdrang. Sind Sie ein Getriebener, der immer weiter muss?
Wir haben mit der Plattenfirma vereinbart, dass wir jedes Jahr mindestens eine neue Produktion machen. Das freut einen auch selbst, und die Fans erwarten es von uns. Später kommt noch eine neue Weihnachts-CD auf den Markt.
Auf dem Album geht es um die Heimat und die Liebe, weil für Sie beides als Einheit und gleichberechtigt zusammensteht. Was haben Sie in der Zeit des Lockdowns gefühlt und beobachtet?
Man hatte im Lockdown viel Zeit zu beobachten. Gerade in der Zeit ist mir bewusst geworden, wie schön die Heimat ist. Wichtig ist, dass man ein Zuhause hat. Wir wollten auf der Platte nicht extrem auf Corona eingehen, weil man das schon gar nicht mehr hören kann. Wir haben versucht, neutral zu bleiben.
Würden Sie gern in einen Dornröschenschlaf fallen und erst nach der Pandemie wieder aufwachen?
Auf der einen Seite schon, auf der anderen war es am Anfang recht interessant, mal runterzufahren. Ich habe gesehen, wie gemütlich das sein kann. Ich bin seit 41 Jahren bei den Spatzen und war noch nie so lange an einem Stück zu Hause. Das war eine Umstellung, aber es war schön, nicht immer auf die Uhr blicken zu müssen. Stress und Hektik sind weggefallen. Mittlerweile kann ich es aber kaum erwarten, dass es wieder losgeht.
Sie sind im ersten Lockdown 60 Jahre alt geworden. Wie haben Sie gefeiert?
Ich hätte einiges vorgehabt und war dabei, eine große Feier zu organisieren. Aber wir haben meinen Geburtstag dann zu Hause im Kreise der Familie gefeiert. Ich habe an dem Tag viele Telefonate bekommen, und meine Kinder haben Videobotschaften organisiert. Das hat schon gepasst. Ich wollte gern an meinem 61. Geburtstag feiern, aber heuer war das gleiche. Jetzt konzentriere ich mich halt auf den 70.
Ich hätte da einen Tipp für Ihren 65.: Tesla-Gründer und Milliardär Elon Musk hat detaillierte Pläne zur Besiedlung des Mars vorgestellt. Mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX will er 2025 die Kolonisierung anstreben. Wie wäre es da mit einem Flug ins All für voraussichtlich 140.000 Dollar?
Ich halte es lieber wie Nicole, die Ralph Siegels Lied „Flieg‘ nicht so hoch, mein kleiner Freund“ gesungen hat und bleibe ganz normal am Boden! Ich bin reich an Erfahrung, aber sonst nicht. Wir haben gut verdient, aber uns alles hart erarbeitet. Ansonsten möchte ich nicht extrem hoch hinaus. Das schmerzt immer so, wenn man dann runterfällt.
„Man muss dem Leben schon ins Gesicht schauen“
In dem Eröffnungslied „Heute ist nicht jeder Tag“ geht es um den Tod. Warum beginnt Ihr Album mit so einem traurigen Thema?
Oh, traurig sollte es jetzt nicht sein. Man muss dem Leben schon ins Gesicht schauen. Das sind Themen, die man nicht verdrängen kann. Sie beschäftigen und berühren jeden. Man sollte da nicht alles beschönigen.
Gab es einen bestimmten Anlass für dieses Lied? Haben Sie in letzter Zeit geliebte Menschen verloren?
Letztes Jahr haben es viele Menschen hier im Altersheim in Kastelruth nicht geschafft. Mittlerweile heißt es bei jedem, er sei durch das Virus gestorben, die Grippe gibt es gar nicht mehr. Schlimm war, dass man anfangs auf keine Beerdigung gehen durfte. Zum Glück habe ich niemanden aus dem engsten Familienkreis verloren, aber ich kenne andere Leute, die sich nicht direkt von ihren Liebsten verabschieden konnten. Das war schlimm.
In „Die Kraft der Träume“ heißt es: „Die Welt ist voller Gefahren, wo bisher keine waren“. Wie bewältigen die Südtiroler die Coronakrise?
Südtirol ist ein Urlaubsgebiet. Da warten alle darauf, dass es wieder losgeht. Im letzten Winter lag viel Schnee, und alles hätte gepasst – aber die Skilifte mussten stillstehen. Lediglich Sportgruppen mit speziellen Genehmigungen konnten unter großen Auflagen trainieren. Das hat einem sehr wehgetan, und man musste lernen, mit den Einschränkungen umzugehen.
Sie besingen die Liebe zu Ihrer Heimat. Was genau lässt Sie stolz in Ihr Land hineinschauen?
Dass hier noch sehr viel das Traditionelle gefeiert wird. Vor allem die wunderschöne Landschaft und die gute Luft. In Städten hingegen herrscht viel Hektik. Besonders freut mich, dass immer mehr junge Leute genießen, in den Bergen zu wandern und auf die Hütten zu gehen.
Hängt das gute Leben davon ab, wie vertraut meine Umgebung ist?
Es ist ganz wichtig, dass die Heimat einem sehr vertraut ist und man sich da wohlfühlt. Deswegen kann man auch immer mit ruhigem Gewissen von der heilen Welt singen. Denn die ist hier.
Manche behaupten, wer von Heimatliebe singe, habe von der Welt nichts gesehen. Wohin zieht es Sie für kleine Auszeiten?
Das sind so Sprüche! Wir haben schon viel von der Welt gesehen. Wir sind natürlich viel in Deutschland unterwegs gewesen, aber auch mal in Kanada oder Südafrika. Auch im Urlaub bin ich ein bisschen rumgekommen. Ich muss aber nicht unbedingt in die große weite Welt hinaus. Wieso in die Ferne schweifen, wenn das Gute so nah liegt! Aber natürlich ist es wichtig, auch mal an andere Orte zu fahren.
Was ist deutsch und was ist italienisch an Ihrer Heimat?
Die Gäste kommen gern nach Südtirol wegen der wunderschönen Landschaft, den Dolomiten, der Luft und dem guten Essen. Die Gastfreundschaft hier ist sicher eine italienische Eigenschaft. Das Ordentliche und Saubere ist eher deutsch. Südtirolerisch ist, dass die Traditionen gepflegt und gezeigt werden. Die Gäste haben das Gefühl, gleich willkommen zu sein.
Bekommen Sie in Südtirol eigentlich die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren?
Klimaveränderungen hat es immer gegeben. Wenn heutzutage eine Umweltkatastrophe passiert, erfährt die ganze Welt davon nach wenigen Minuten. Früher hat man erst nach Jahren erfahren, wenn sich in einem Tal durch ein Unwetter ganze Seen gebildet hatten. Ich glaube, so extrem sind die Klimaveränderungen nicht. Sicher muss man aufpassen, zum Beispiel mit den ganzen Abgasen. Die größten Umweltverschmutzer sind die Flugzeuge. Aber da hängt so vieles dran, da geht es um so viel Geld. Das wird jedoch alles heruntergespielt. Letztes Jahr, als kaum ein Flieger mehr aufstieg, hat man richtig aufgeatmet. Aber auch Elektroautos sind nicht ohne. Man müsste den Leuten einmal erklären, wie die Batterien hergestellt und entsorgt werden. Schlimm ist, wenn es von einem Extrem ins andere geht.
Wie gehen Sie auf Tour?
Wir fahren meistens mit zwei Autos.
Apropos Träume: Haben Sie schon als kleiner Junge von einer Karriere als Entertainer geträumt?
Ein bisschen schon. Immer, wenn ich Dieter Thomas Hecks „Hitparade“ geschaut habe, dachte ich, es wäre schön, da mal auf der Bühne zu stehen. Ich habe schon als Kind gerne gesungen, aber hätte nie geglaubt, dass so ein Traum in Erfüllung gehen würde.
Ein Tattoo mit 81? Ja, warum auch nicht?
Der weltberühmte Disco-Produzent Giorgio Moroder aus Gröden in Südtirol hat sich mit 81 Jahren sein erstes Tattoo stechen lassen. Wäre das etwas für Sie?
Ja, mit 81 vielleicht auch! Meine Töchter haben sich auch etwas Kleines stechen lassen. Das ist ja ganz nett. Wir sind öfters mit Musikkollegen aus der Rockszene zusammen. Die haben sich zum Teil sogar den Kopf tätowieren lassen. Ich weiß nicht, ob das für die Haut gut ist. Aber jeder, wie er meint.
Die Kastelruther Spatzen sind mit der Südtiroler Band Frei.Wild um Sänger Philipp Burger befreundet.
Philipp Burgers Frau hat selbst ein Tattoo-Studio. Mit ihm ist es immer interessant. Wenn ihm heute etwas einfällt, müsste es gestern schon geschehen sein. Er ist mittlerweile auch leidenschaftlicher Bauer mit Hof und Tieren und ruft mich immer an, wenn er etwas Spezielles wissen möchte. Philipp hat von mir zwei Pferde gekauft und sich dann erkundigt, was er mit dem neuen Fohlen tun solle. Ich gebe ihm gerne Ratschläge.
Philipp Burger schreibt gelegentlich Texte für die Spatzen. Auch fürs neue Album?
Diesmal nicht. Wir haben aber schon zwei Lieder von ihm aufgenommen. Er hat sehr gute Ideen und würde gern wieder etwas für uns schreiben. Vielleicht passt es ja wieder mal.
Hören Sie privat gerne Heavy Metal?
Nein, ich höre hauptsächlich unsere Art von Musik. Deutschen Schlager sowieso und zwischendurch auch Rock. Was ich nicht mag, ist Extremes wie Metal oder Techno. Aber es steht jedem frei.
Kritiker verwenden Begriffe wie „rechtsoffen“ oder „Grauzone“ für Frei.Wild und bezeichnen deren Musik auch als „Identitätsrock“. Wie sehen Sie das?
Das war extrem übertrieben. Frei.Wild wurden in eine bestimmte Sparte reingeschoben, in die sie nicht hineingehören. Auch die Echo-Verleihung war unfair (Anm. d. Red.: Die Band wurde vom Echo ausgeladen und vergeblich nominiert). Es war auch viel Neid von anderen dabei, die es nicht so weit gebracht haben. Im Endeffekt hat die Kritik der Band aber viel Gutes gebracht.
Was ist härter: berühmt zu werden oder berühmt zu bleiben?
Berühmt zu bleiben auf jeden Fall. Berühmt zu werden kann sehr schnell gehen durch Zufall. Wer berühmt ist, wird viel genauer und kritischer beobachtet. Da kann sehr vieles schiefgehen.
Welche Einstellung hält Ihren Motor am Laufen?
Mein Lebensmotto ist: Ehrlich währt am längsten. Hoffen wir, dass wir gesund und fit bleiben, dann wird es schon gehen.
Was ist deutsch und was ist italienisch an Ihrem Wesen?
Italienisch an mir ist das Lockere und Lässige, das nicht so genaue Planen. Das Deutsche an mir ist das Ehrliche. Ich sage, was ich denke. Und dass ich an das Gute glaube.
Können Sie aus vollem Herzen deutschsprachiger Südtiroler und Italiener sein?
Auf jeden Fall! Wir sind italienische Staatsbürger mit deutscher Muttersprache. Das möchten wir auch gern beibehalten. Wir haben hier eine super Autonomie. Uns geht es gut. Wir können zufrieden sein.
Sie sind ja auch Landwirt und züchten Haflinger Pferde. Andere Berufe in der Gruppe sind Kfz-Mechaniker, Kaufmann oder Lehrer. Arbeiten alle zeitweise noch in ihren „zivilen“ Berufen?
Zum Teil ja. Karl (Heufler) hat seinen Mechanikerberuf schon länger aufgegeben. Der Kurt (Dasser) hat sich aufs Drechseln spezialisiert und ist dabei sehr erfinderisch. Walter (Mauroner) betreibt einen „Spatzenladen“ und ein schönes Museum, in dem man sich anschauen kann, was wir alles so gewonnen haben. Valentin (Silbernagel) hat kein Vieh mehr, hilft aber auf dem verpachteten Hof noch ein bisschen mit. Und Albin (Gross) hat noch seinen Getränkehandel.
Und Sie?
Ich bin leidenschaftlicher Bauer und habe auf meinem Hof sehr viel zu tun. Mit Jungvieh zum Beispiel. In letzter Zeit habe ich es genießen können, nur Landwirt zu sein. Wenn es jetzt wieder losgeht mit den Konzerten, muss ich natürlich flexibler sein. Glücklicherweise habe ich Leute, die mir helfen.
In „Endlich wieder Kastelruth“ drücken Sie Ihre Vorfreude auf das nächste Spatzenfest aus. 2020 mussten Sie aufgrund der Pandemie zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf das Fest verzichten. Hoffen Sie, dass das Ganze im Oktober dieses Jahres wieder stattfinden kann?
Die Hoffnung stirbt zum Schluss! Zurzeit wäre es nicht machbar, aber ich hoffe, dass sich die Lage bis dahin ein bisschen normalisiert, wenn es mit den Impfungen seinen Weg geht. Ich habe mich impfen lassen, weil ich vorher Corona hatte. Ich war in Quarantäne und musste drei Monate abwarten.
Hatten Sie heftige Symptome?
Nein, nein. Ich war zehn Tage in Quarantäne, davon habe ich drei Tage nichts gerochen und geschmeckt. Aber ich habe trotzdem alles gegessen. Das war eigentlich ganz harmlos. Aber es gibt leider Gottes auch schlimme Fälle.
Sie planen auch ein Open Air für den 3. und 4. September. Was haben Sie da genau vor?
Wir werden unter anderem einige Lieder vom neuen Album präsentieren. Vielleicht können ja ein paar Fernsehsender mit dabei sein. Schaun wir mal.
Ist das Live-Spielen durch irgendetwas zu ersetzen?
Nein, nicht so. Wo wir jetzt so lange nichts mehr gemacht haben, müssen wir sicher im Vorfeld ziemlichviele Proben abhalten. Aber Auftritte sind immer eine neue Herausforderung. Wir haben von Anfang an Wert darauf gelegt, bei den Konzerten alles live zu spielen. Wichtig sind auch eine gute Anlage und ein guter Techniker.
Was war für Sie persönlich der größte Gewinn in Ihrer Karriere?
Für mich sicher die vielen Auszeichnungen, seien es der Echo oder der Grand Prix der Volksmusik. Den haben wir 1990 für Deutschland gewonnen. Jede Auszeichnung, jeder Gewinn und jede Goldene Schallplatte sind ein Zeichen, dass wir alles richtig gemacht haben. Ansonsten ist für mich persönlich immer der größte Gewinn, wenn die Leute nach einem Konzert zufrieden nach Hause gehen.