Sechs Jahre lang wurde sie saniert – Kostenpunkt 140 Millionen Euro. An diesem Wochenende öffnet die Neue Nationalgalerie wieder für Besucher.
Wenn am 22. August der Bauzaun um das Gebäude fällt, dann scheint das eiserne Kragdach, viele Tonnen schwer, auf seinen acht schlanken Stützpfeilern wieder über der Glaseinfassung der quadratischen Halle zu schweben. Sie besteht aus 14 großflächigen Hochkant-Segmenten je Seite, die einen ungehinderten Blick in das und durch das Innere gestatten. So leicht kann Architektur wirken. Ihr Erbauer hat die Neue Nationalgalerie auf ein Podest gestellt, das man über wenige Treppenstufen erreicht – von jeder weiteren Anmutung an griechische Tempel ist sein Kunstmuseum indes weit entfernt. Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969), einem der einflussreichsten Baumeister des 20. Jahrhunderts, ging es um ein neues Verhältnis von Außenwelt und Innenraum, das den Betrachter anlockt, ihn förmlich einsaugt und ihm die Scheu vor dem Typus eines ehrwürdigen Museums nimmt. Und freilich ging es ebenso um den Einsatz moderner Baumaterialien wie Stahl und Glas – und eine entsprechende Gestaltung jenes Innenraums bis ins letzte Detail.
Als die Neue Nationalgalerie 1968 eröffnet wurde, galt sie in ihrer so bestechenden wie eleganten Schlichtheit Vielen als Gipfelwerk rationalen, funktionalen Bauens und war zugleich der letzte eigenständige Entwurf ihres in die USA ausgewanderten Schöpfers. Rund ein halbes Jahrhundert künstlerischen Schaffens und Forschens waren dem vorausgegangen. Der gebürtige Aachener Maria Ludwig Michael Mies, dies sein eigentlicher Name, besuchte die heimische Gewerbeschule, wechselte in die Architektur und erhielt Aufträge aus Berlin, wo er im neuen Beruf erfolgreich debütierte, so mit Häusern in Babelsberg und, noch neoklassizistisch, in Zehlendorf. Im Büro von Peter Behrens, in dem er einige Jahre angestellt war, arbeiteten auch Walter Gropius und Le Corbusier, die späteren Koryphäen modernen Bauens. Vizepräsident des Werkbunds, später Direktor des Bauhauses in Dessau waren Stationen des mittlerweile auch international bekannten Architekten. Zwischendrin entwarf Mies van der Rohe anlässlich der Weltausstellung in Barcelona 1929 für die deutsche Abteilung ein Empfangsgebäude, das als Barcelona-Pavillon zur Hauptattraktion der Ausstellung wurde und als bedeutendes Beispiel zeitgemäßen Bauens gilt.
Nach der Schließung des Bauhauses Dessau durch die Nazis und auch dem Scheitern des Bauhauses Berlin als Privatinstitut von Mies, nahm er Einladungen in die USA an, übersiedelte 1938 endgültig nach Chicago und erwarb 1944 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Eine Phase intensiven Bauens folgte, in dem er seine Idee eines Stahltragwerks mit lichter Ganzglasfassade perfektionierte. Als der in den USA Hochgeehrte das Angebot für den Entwurf der Neuen Nationalgalerie erhielt, reiste er mehrmals nach Berlin, um die Baustelle zu besichtigen. Krankheitsbedingt konnte er an der Einweihung des Gebäudes nicht mehr teilnehmen. Es steht gewissermaßen als Quintessenz einer lebenslangen Suche nach der idealen baulichen Gestalt, hier einem eingeschossigen Hallenraum als reine Architektur, die sich universalem Einsatz anempfiehlt, ohne einen speziellen Zweck vorzugeben.
Nach fast 50-jähriger Nutzung erwies sich Mies van der Rohes Kunstwerk jedoch als dringend sanierungsbedürftig. Für die Umsetzung der Arbeiten konnte mit David Chipperfield ein weltweit anerkannter Architekt gewonnen werden. Abgenutzte Teppiche und poröse Wände mussten saniert, Schadstoffe und Betonteile beseitigt, Klimatisierung und Brandschutz modernisiert werden. Über 35.000 Objekte wurden demontiert, gekennzeichnet und in einer Datenbank erfasst, dann gereinigt und restauriert wieder an den ursprünglichen Platz verbracht. So viel Mies wie möglich, lautete Chipperfields respektvolle Devise.
Hauptattraktion der Ausstellung
Unumgänglich waren indes modernisierende bauliche Veränderungen: behindertengerechte Außenrampe, neuer Personenaufzug, Umorganisation des Empfangsbereichs. Größter Problemfall waren die Glasscheiben der Fassade, die infolge von Spannungen bereits Brüche aufwiesen. Neue Produktionsverfahren gestatteten keine Scheiben dieser Größe mehr, zumal sich ihre Stahlrahmen über die Jahre verzogen hatten. Einzig ein Hersteller in China konnte noch Verbundsicherheitsscheiben mit einer Breite bis zu 343 Zentimetern in Weißglas liefern: 200 Stück, manche bis zu 1,2 Tonnen schwer.
Die raumhohen Wände aus dunkelgrünem Edelmarmor in der Ausstellungshalle mussten behutsam geöffnet werden, um die neue Haustechnik zu installieren; beschädigte Granitplatten besonders auf der Terrasse galt es zu ersetzen, um den Gesamteindruck des Bodenbelags innen und außen nicht zu stören. Ein Anstrich mit Shellack gab dem Holz der Garderobe ihren ursprünglichen Farbton zurück und ist zudem UV-stabil. Auch die Sitzinsel neben dem Eingang musste renoviert werden: Die Polster der Barcelona-Sessel, eines klassisch gewordenen Freischwingers, wurden vom amerikanischen Hersteller gereinigt und rekonstruiert, die 94 Metallgestelle repariert. Man sitzt damit weiterhin auf den Originalen der Eröffnungszeit.
In der multifunktionalen Treppenhalle wurde für ein Mehr an Platz der Buchladen aus den 1990ern ausgebaut, der Kassentresen enthält behindertengerecht unterfahrbare und abgesenkte Bereiche, und offene Türen in den Ausstellungsräumen schließlich bieten den Eindruck eines nahtlos durchwanderbaren Großraums. Für die Besucher gibt es weitere Verbesserungen. Wo früher die unzugänglichen Kunstdepots waren, wurden eine großzügige Garderobe und ein Museumsshop eingebaut; die Depots ihrerseits sind in einen Erweiterungsbau unter der Terrasse umgezogen. Per Aufzug erreicht man jetzt bequem das Untergeschoss.
„Die Kunst der Gesellschaft“
Auch wenn die Sammlungsräume äußerlich wenig verändert scheinen, musste die Oberfläche ihrer Betonwände komplett entfernt werden. Starke Abnutzung und Schadstoffbelastung forderten ihren Tribut. Die rekonstruierten oder gänzlich neuen 11.000 Moduldeckenplatten entsprechen besser dem Brandschutz und sind leichter bedienbar. Der schon mehrfach ausgetauschte Bouclé-Teppichboden wurde originalnah nachgestaltet, die Beleuchtung modernen Standards angepasst: Die 2.400 Bestandsleuchten sind nun energiesparend auf LED umgerüstet, für die Spezialbeleuchtung einzelner Kunstwerke findet sich eine Stromschiene in der Decke. Hatte Mies van der Rohe den Garten als Fortführung der Galerie ins Außen konzipiert, musste die grüne Oase lange geschlossen bleiben – Baumwurzeln hatten die Bodenplatten angehoben. Auch dieses Gartendenkmal wurde nach dem originalen Bestandsplan rekonstruiert, mit Gleditschien (Lederhülsenbäumen) und Silber-Ahorn als Bäumen und vielerlei Pflanzen und kann nun ab einer Außentemperatur von 15 Grad Celsius betreten werden. So bietet die Neue Nationalgalerie wieder jenes einheitliche Raum- und Kunsterlebnis, das ihrem Architekten beim Entwurf vorschwebte. 140 Millionen Euro flossen dafür aus dem Bundeskulturetat.
Wer nach dem Kunstgenuss entspannen möchte, den lädt das Café ein. Umgestaltet hat es der amerikanisch-kubanische Designer Jorge Pardo: durch Wandpaneele aus 3-D-Fliesen. Ihre floralen Muster variiert er durch Reihung, Rotation und Spiegelung zu maurisch anmutenden Ornamenten. Auch Mies hatte sich seinerzeit von internationalen Formen und Ideen anregen lassen. Was aber wird ab Eröffnung in der Neuen Nationalgalerie, nach immerhin sechsjähriger Schließperiode, zu sehen sein? Die Glashalle zeigt eine Schau aus Stabiles und Mobiles des Amerikaners Alexander Calder (1898-1976), dessen Skulptur „Têtes et Queue“ auf die Terrasse zurückkehrt. Ausgestellt sind zudem neuere Arbeiten der in Berlin lebenden Künstlerin Rosa Barba mit Bezug auf Projekte von Mies sowie die hauseigene Sammlung 1900-1945 unter dem Titel „Die Kunst der Gesellschaft“.