Über den Aufstieg und Fall des politischen Narzissmus
Im Arbeitsfeld der Beratung, in dem sich auch der Verfasser über all die Jahre immer wieder getummelt hat, gibt es einen mittlerweile etwas alt gewordenen Witz, der aber gerne hervorgeholt wird: Wenn ein Berater aus dem Flugzeug steigt und sich in ein Taxi setzt, antwortet er auf die Frage, wohin es denn gehen soll, mit dem Klassiker: „Das ist egal, ich werde überall gebraucht.“
Dieser zugegebenermaßen etwas strapazierte Kalauer drängt sich immer wieder dann ins Gedächtnis, wenn man sich die Allüren mancher Vertreter unseres politischen Spitzenpersonals ansieht. Die jüngste Scharade um die Spitzenkandidatur des grünen Stehaufmännchens Hubert Ulrich im Saarland ist dabei nur ein Beispiel – und es muss nicht einmal so extreme Dimensionen annehmen wie beim massiv auf sich selbst fokussierten ehemaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump.
Die Tatsache, dass Robert Habeck seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur zugunsten der Parteifreundin Annalena Baerbock in manchen Interviews wie eine griechische Tragödie zelebrierte, weist ebenso auf das von mir beschriebene Phänomen hin wie die Unfähigkeit von politisch gescheiterten Akteuren, die von ihnen besetzten Ämter zu einer Zeit zu verlassen, in der man dies noch mit einer gewissen Würde hätte tun können (ein gewisser Bundesverkehrsminister will einem da spontan einfallen).
Nun darf man mich nicht falsch verstehen: Niemand wird in Deutschland erfolgreich in der Politik, der oder die nicht über ein sehr robustes Selbstbewusstsein und stabiles Selbstbild verfügt. Der Wind ist rau und die Tiefen, in die seit einiger Zeit die Qualität des politischen Diskurses gesunken ist, sind schwer zu navigieren, hat man eine allzu dünne Haut. Konkurrenz und der ständige Blick über die Schulter, ob einem der heiße Atem potenzieller Nachfolger –
meist Partei„freunde“ – bereits an der Haut klebt, kann man nur einigermaßen verkraften, wenn man bereit ist, die eigene Unfehlbarkeit und Unersetzlichkeit in einem gewissen Umfang als gegeben anzunehmen.
Schwäche zu zeigen, wird oft eher mit Schadenfreude vergällt, selbst dann, wenn viele Krokodilstränen vergossen werden, sobald diese offensichtlich wird.
Gleichzeitig führt dies aber dazu, dass das politische Geschäft jene begünstigt, denen die Fähigkeit zur auch kritischen Selbstreflexion weitgehend abhandengekommen zu sein scheint. Nun können wir nicht in die Köpfe vieler Politiker hineinschauen, die nach außen hin auf narzisstische Weise von sich selbst überzeugt auftreten, nachts aber vielleicht traurig in ihr Kissen weinen. Die Tatsache aber, dass die unbeirrbare und irritierende politische Nonchalance von Akteuren wie Merz, Scheuer, Ulrich und anderen offenbar zu dem gehört, was sie selbst als erfolgreiches „Public Relations“-Management zu betrachten scheinen, wirft ein Schlaglicht auf den Typus an Führungspersonal, den wir uns seit geraumer Zeit heranzüchten.
Wir haben, außer an den politischen Extremrändern, glücklicherweise noch niemanden von der negativen Qualität eines Trump aufzuweisen, und es bleibt zu hoffen, dass dies auch noch eine Weile so bleiben wird. Aber der Eindruck häuft sich in letzter Zeit, das kritische Selbstreflexion und das Infragestellen der eigenen Unfehlbarkeit etwas aus der Mode gekommen sind, zumindest bei einem überwiegenden Teil der politischen Führungsschicht. Gerade die Corona-Pandemie hat hier auf allen Parlamentsbänken ein erhebliches Maß an intellektueller Rücksichtslosigkeit und begrenztem Lernwillen zutage gefördert.
Natürlich sind wir Wählerinnen und Wähler ein Stück weit selbst an dieser Entwicklung mitschuldig. Wir lassen uns nicht davon beirren, wenn wir solche Kandidatinnen und Kandidaten vorgesetzt bekommen, diese trotzdem zu wählen. Viele von uns verwechseln Narzissmus sogar mit Stärke, wodurch wir solche Persönlichkeiten indirekt befördern. Allerdings dürfen wir uns dann nicht wundern, wenn sich nachher hinter der Fassade der Eitelkeit oft ein bedauernswert großer Vorrat an heißer Luft befindet – den wir im schlimmsten Falle mindestens vier Jahre lang nicht mehr loswerden.