Element Of Crime gastieren demnächst am Bostalsee. Ihr Frontmann, der 60-jährige Sänger, Trompeter, Songschreiber und Bestsellerautor („Herr Lehmann“) Sven Regener, erzählt über sein neues Jazzalbum „Ask Me Now“, Songrechte und den Podcast „Narzissen und Kakteen“.
Herr Regener, voriges Jahr haben Sie mit der Crucchi Gang ein Italopop-Album veröffentlicht, nun folgt mit „Ask Me Now“ eine Jazzplatte. Werden Sie als Musiker mit der Zeit immer offener und experimentierfreudiger?
Bis zu einem gewissen Grad ja. Letztendlich stand aber immer Element Of Crime im Mittelpunkt meiner musikalischen Tätigkeit. Die Liebe zu Jazzern wie Louis Armstrong und Miles Davis war einer der Gründe, weshalb ich überhaupt angefangen habe, Trompete zu spielen. Es ist ein lautes, dem Gesang sehr ähnliches Melodieinstrument. Mein Lehrer war ein Jazzmusiker. Das Trompetenspiel bei Element Of Crime zeigte immer ein bisschen etwas davon, gerade in den Soli. Aber erst in den letzten fünf Jahren habe ich mich wieder intensiver mit Jazz beschäftigt.
„Intensiver mit Jazz beschäftigt“
Auslöser für die Rückbesinnung war im November 2011 die Beerdigung Ihres Trompetenlehrers Eckfrid von Knobelsdorff in Bremen, auf der Sie ihm mit vielen Jazzmusikern ein Ständchen spielten. Was haben Sie von Ihrem Mentor gelernt?
Eckfrid war ein musikalisch unglaublich offener Typ. Als wir einmal mit Zatopek in Bremen im ausverkauften Römer spielten, kam er nicht mehr rein. Er fand die Band aber spitze und meinte, wir sollten unbedingt zusammenbleiben. Eckfrid hat der Jazz-Szene in Bremen viel bedeutet. Über Zatopek bin ich zum Rock’n‘Roll gekommen. Die Band war ein Post-Punk-Phänomen mit einer jazzigen Seite. Dann standen Element of Crime und natürlich Gesang im Vordergrund. Und jetzt wollte ich wieder mehr Jazzmusik mit der Trompete machen. Es gibt für sie viele tolle Kompositionen.
Ist „Ask Me Now“ Ihr Lockdown-Album?
Tatsächlich haben wir schon vor fast zwei Jahren damit angefangen. Ekki Busch, Richard Pappik und ich wollten erst mal gucken, was passiert, wenn wir zusammen diese Klassiker spielen. Es hat dann etwas Miniaturenhaftes bekommen, was wir charmant fanden. Die eigentliche Platte haben wir schließlich im letzten Herbst aufgenommen.
„Round Midnight“ klingt bei Ihnen sehr melancholisch. Hat das etwas mit der gegenwärtigen Stimmung im Lande zu tun?
Element Of Crime ist ja auch nicht gerade eine Abgeh-Rockband. Wir arbeiten mit einer melancholischen Grundstimmung beim Songwriting. Jazzsongs wie „Round Midnight“ und „Don‘t Explain“ sind nah an dem dran, was wir sonst so machen. Wir haben sehr viel Wert darauf gelegt, dass die eigentlichen Kompositionen von Thelonious Monk, Charlie Parker oder Billie Holiday im Mittelpunkt stehen. Das ist unsere Art, sich ihnen zu nähern.
Auf welche Weise spricht ein Jazzstück wie „Chasin’ The Trane“ von John Coltrane zu Ihnen?
Ich tue mich schwer mit Botschaften. Beim Songschreiben für Element Of Crime beginnen wir immer zuerst mit der Musik, und ich muss dann die Worte dazu finden. Ich habe das Gefühl, dass in dieser inspirierenden Musik die Worte schon drin sind, man muss sie nur entdecken. Und bei Jazzsongs wie „Don’t Explain“ und „Round Midnight“ gibt es ja auch Texte, mit denen habe ich mich aber gar nicht beschäftigt, sondern rein mit der Melodie gearbeitet. Ich bin der Trompete sehr dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gibt, auch mal ohne Worte zu arbeiten.
Wollen Sie diese Kompositionen vor dem Vergessen bewahren?
Ich finde nicht, dass man damit einen kulturpolitischen, museumshaften Auftrag hat, sondern tolle Stücke wollen einfach gespielt werden! Man wäre bescheuert, wenn man das kann, aber nicht tut. Was einem selbst Spaß macht, wird wahrscheinlich auch anderen Freude bereiten.
„Auch anderen Freude bereiten“
Soll das Jazzalbum ein akustisches Antidepressivum sein in dieser schwierigen Zeit?
Das ist ein Kollateraleffekt, den ich gerne mitnehme. Man will die Leute mit solch einer Platte glücklicher machen, als sie es ohne sie wären.
Das vergangene Jahr war für die meisten Menschen das schlimmste überhaupt. Hatte 2020 für Sie persönlich trotz allem Höhepunkte?
Ja, die Aufnahme dieser Platte auf jeden Fall. Mit Element Of Crime hatten wir letztes Jahr zwei Konzerte. Es war für uns bewegend, dass man überhaupt mal wieder spielen konnte. Ein Riesending für das eigene psychische Gleichgewicht. Allein die Proben haben mich sehr glücklich gemacht, und ich hatte im Grunde auch nicht das Gefühl eines verlorenen Jahres. Ich bin ohnehin an Pausen gewöhnt. Absence make the heart grow fonder. („Durch die Ferne wächst die Liebe“)
Hatten Sie vor Corona das Gefühl, dass in Ihrem Leben eigentlich immer alles geklappt hat?
Das kann ich nicht sagen. Jakob, Richard und ich haben gerade einen Podcast über die Geschichte von Element Of Crime beendet. Es gab bei uns immer auch schwere Jahre und Sachen, bei denen man dachte, es geht nicht weiter. Je älter man ist, desto mehr hat man davon auch schon erlebt. Für junge Leute ist es viel schwieriger, weil die durch Corona oft derbe ausgebremst werden. Das können sie noch nicht kompensieren durch Abgleich mit früheren Erfahrungen, was sehr beängstigend sein kann. Aber andererseits müssen sie vor der Krankheit nicht so viel Angst haben, da gleicht sich das dann aus.
John Cale von The Velvet Underground produzierte 1987 das zweite Album von Element Of Crime. War John Cale rückblickend ein cooler Produzent?
Auf jeden Fall. Auch unser erster Producer Uwe Bauer hat uns stark geprägt. Alle unsere drei Produzenten kommen von der New Yorker Aufnahmemethodik her. Wir wollten immer einen lebendigen Sound auf einer menschlich fühlbaren Ebene. Vieles davon wurde uns erst bewusst bei den Podcast-Gesprächen. Man hört sich ja seine alten Platten nicht mehr an. Und die Studioversionen haben sich beim Live-Spielen über die Jahre natürlich auch weiterentwickelt.
Welcher Abschnitt Ihrer Karriere war für Sie rückblickend der aufregendste?
Gerade die ersten Jahre waren sehr bestimmend, weil wir da wahnsinnig aktiv waren. Man brauchte ja Songs. Heute haben wir 150 Stücke im Rücken, anfangs hatten wir keine. Ich erinnere mich noch an viele Einzelheiten aus der Zeit, als wir jedes Jahr ein neues Album machten, während spätere Ereignisse ein bisschen ineinanderfließen.
„Ein roter Faden schält sich heraus“
Was macht eine Band aus? Ihre Musik? Ihr Erfolg? Ihre Haltung?
Der rote Faden schält sich bei den Gesprächen zu unseren 17 Alben langsam heraus, sodass man hoffentlich irgendwann weiß, wo eigentlich der Hammer hängt bei dieser ganzen Geschichte. Ich glaube nicht, dass uns das irgendetwas nützt bei der nächsten Platte, aber es ist interessant, die Band mal in der Rückschau zu betrachten.
Das Streaming als wichtigste Distributionsform für Musik hat sich endgültig durchgesetzt. Merken Sie, dass die Abrufzahlen für Ihre Songs steigen – oder profitieren am Ende doch nur internationale Superstars vom Streaming?
Das läuft für uns eigentlich auch ganz gut, weil wir ein großes Repertoire haben. Ich bin nach wie vor für nutzerbasierte Abrechnungen. Das Geld, das der Fan für sein Abo bezahlt, sollte nicht in einen anonymen Pool geworfen werden, sondern direkt bei denjenigen Künstlern landen, deren Musik er sich anhört. Dadurch, dass die Songs alle einzeln gezählt werden, wird das Thema Album vielleicht etwas in die Defensive gedrängt. Das Albumformat verblasst, wenn da nichts Physisches mehr ist. Aber wir sind davon bis jetzt relativ unbeschadet im Streaming unterwegs.
Bob Dylan hat seine Songrechte für 300 Millionen Dollar an den Universal-Konzern verkauft. Würde es sich für Sie lohnen, die Rechte beispielsweise am Element-Of-Crime-Hit „Weißes Papier“ zu veräußern?
Ich weiß gar nicht, was für eine Art von Deal das war. Sind die Rechte von Sony/ATV an ihn zurückgefallen und hat Dylan sie dann noch mal an einen anderen Publisher verkauft? Aus der Berichterstattung geht nicht hervor, ob er auch den Autorenanteil von 60 Prozent mit veräußert hat. Ich schätze mal, dass er pauschal sämtliche Sync-Rechte abgetreten hat. Vielleicht sogar auch die mechanischen bei einer solch großen Zahlung, keine Ahnung. David Bowie hatte das ja schon vor sehr langer Zeit getan und eine Aktiengesellschaft gegründet. Für uns ist das uninteressant. Wir haben nach wie vor einigermaßen die Kontrolle über unseren Katalog. Wenn man seine Rechte an einen Investor verkauft, dann will der ja auch eine Rendite sehen, und dann wird’s schnell unangenehm, dann wird, wie ja schon vor einiger Zeit geschehen, „Changes“ von David Bowie unter eine Windelwerbung gelegt. Da muss man erst mal drauf kommen. Und damit muss man klarkommen. Ich würde das nicht unbedingt wollen…