In „Promising Young Woman“ geht Carey Mulligan auf einen Rachefeldzug gegen übergriffige Männer. Der Kinofilm zeigt ein provokatives Bild einer Täterin, deren Leben durch ein Verbrechen ruiniert wurde. Er startet am 19. August.
Wenn Cassie sich vor ihrem Badezimmerspiegel zum Ausgehen in Bars oder Discotheken zurechtgemacht hat, sieht sie aus, als läge eine lange und wilde Partynacht schon hinter ihr. Der Lippenstift ist verwischt, die Wimperntusche verlaufen, die Frisur verwuschelt – und frisch duschen würde nicht zu Cassies Vorhaben passen. Denn die blonde, junge Frau torkelt durch die Kneipen, lässt sich irgendwo nieder und gibt vor, betrunken zu sein und die Kontrolle über sich verloren zu haben. Im Laufe der Nacht fragt immer irgendein Kerl, ob alles in Ordnung sei und ob er sie noch zu einem Drink einladen könne – wie nett, es gibt wohl noch hilfsbereite Männer, sollte man meinen. Aber dass die Welt so gut nicht ist, zeigt „Promising Young Woman“. Der Film zeigt die Rache einer jungen Frau, die sich gegen sexuelle Gewalt wehrt und den Männern eine bitterböse Lehre erteilt.
Die Welt ist nicht so gut, wie sie erst scheint
Filme, in denen Frauen auf Gerechtigkeit aus sind, gibt es viele – auch aus der Zeit vor der „Me too“-Bewegung, mit der Frauen auf das viel zu lange vernachlässigte Problem hinwiesen. In „Eine Frau sieht rot“ (1976) wird der Vergewaltiger vor Gericht freigesprochen, aber letztlich nach einem weiteren Übergriff von der Frau erschossen. In „Angeklagt“ (1988) scheitert die Vergewaltigte, die Täter vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen, gewinnt aber, als die Zeugen der Tat angeklagt werden. Der Unterschied zu „Promising Young Woman“ ist, dass sich Hauptfigur Cassie die Männer vorknöpft, obwohl sie selbst zuvor nicht direkt das Opfer sexueller Gewalt geworden ist – ähnlich wie in „Hard Candy“ (2005), in dem Elliot Page (damals noch Ellen Page) einen Pädophilen in eine Falle lockt. Aber Carries Weg ist ein besonderer. Sie gilt – so bitter das auch ist – als ein menschlicher Kollateralschaden und geht am Ende weiter als jede Frau vor ihr in einem Film über die Rache an Vergewaltigern.
Ihr Feldzug scheint doch zu weit zu gehen
Bevor Carrie anfing, in Bars Trunkenheit vorzutäuschen, war sie eine angehende Medizinstudentin und eben eine „Promising Young Woman“ – eine vielversprechende junge Frau. Dann beging ihre beste Freundin nach einer Vergewaltigung Selbstmord, was auch Carrie aus der Bahn warf. Nun arbeitet sie tagsüber als Kellnerin und spielt nachts in Bars die Sturzbesoffene. Hat ein Mann sie in seine Wohnung gebracht, sieht er die scheinbar Hilflose als leichtes Opfer für sein sexualisiertes Spiel – bis Carrie ihre nüchterne Seite offenbart. Da machen die Männer erst einmal ein dummes Gesicht, und Carrie kann später in ihrem Notizbuch einen Strich mehr ziehen. Es ist für den Filmzuschauer gut die Hälfte des Filmes sehr spannend, Carrie bei ihren nächtlichen Tricks zuzusehen. Der Ernst der Lage ist da noch nicht abzusehen, weil Carrie ihr Leben in Rosarot mit Zuckerguss führt. Schauspielerin Carey Mulligan macht es nahezu unmöglich, den Blick von ihr abzuwenden. Die Neugier auf das, was sie als nächstes tun wird, steigert sich mit jedem ihrer nächtlichen Dates. Der Zuschauer ist auf ihrer Seite, weil die Männer durch die Arbeit von Regisseurin und Drehbuchautorin Emerald Fennell als abscheuliche Lüsterlinge dargestellt sind und es verdient haben, dass Carrie die Macht über sie erlangt.
Anders als etwa Jodie Foster in „Angeklagt“ wächst Carrie nicht von einer Frau mit gebrochener Seele zu einer gefeierten Heldin heran. Carrie verliert die Kontrolle über ihr Tun und bestraft auch jene Frauen, die an der Unschuld der Opfer zweifeln. Obgleich Carrie mit ihrer Wucht fragwürdige Zustände anprangert, geht sie mit ihrem selbst auferlegten Feldzug zu weit. Sie steigert sich in ihre grenzenlose Wut hinein und steuert aus den anfangs harmlosen Zurechtweisungen auf ein erschütterndes Ende zu, das es in dieser Kompromisslosigkeit im Film wohl noch nicht gegeben hat. Zurück bleibt der Zuschauer mit unbeantworteten Fragen. Warum wird die Gesetzeslage meist zu Lasten des Opfers interpretiert? Welche Rechte haben jene Menschen, die zum engen Kreis eines Vergewaltigungsopfers gehören und durch die Tat ebenfalls ein Trauma erleiden?