Die Wirklichkeit ähnelt momentan schlechter Science-Fiction: Man sieht Leute mit Maske über Nase und Mund, sie schütten sich mehrmals täglich Desinfektionsmittel über die Hände und fassen Türklinken nur noch mit dem Ellenbogen an. Angst blickt einem überall entgegen. Die Juristin Juli Zeh, bekannt durch den Roman „Unterleuten“, hat schon vor zwölf Jahren einen Zukunftsroman geschrieben, der in einer Gesellschaft spielt, die sich in eine Art Gesundheitsdiktatur entwickelt hat. Um sich vor Krankheit zu schützen, gibt diese Gesellschaft ihre Grundrechte auf. Dies führt bis zu einer vorgegebenen Partnerwahl, bei der nicht die menschliche Anziehung, sondern die passenden Gene den richtigen Partner mittels Datenbank bestimmen. Gesundheit wird als „Normalität“ definiert und der gläserne Bürger lässt sich permanent digital überwachen – wer zu wenig Sport macht oder zu viel Kaffee trinkt, muss drakonische Strafen fürchten. Im Wesentlichen verläuft die Handlung des Buches parallel zu einem Gerichtsprozess, den die 30-jährige Mia Holl über sich ergehen lassen muss, weil sie gegen die „Methode“ verstoßen hat, die allumfassende Richtlinie, nach der jeder Bürger sich richten muss. Auch weitere Details des Buches sind heute auf einmal gar nicht mehr so fern: Desinfektionsmaschine, Bakteriometer und Mundschutz sind in dieser Dystopie ganz selbstverständlich. Genau wie der Chip, den jeder Mensch im Oberarm trägt und der die Information über den Gesundheitszustand speichert und sendet. Da wundert es nicht, dass die Mitglieder der Untergrundgruppe „Recht auf Krankheit“ als Terroristen eingestuft werden und verfolgt werden. Das Buch von Juli Zeh, die übrigens selbst Alkohol trinkt und raucht, hat sich schon mehr als 400.000 Mal verkauft und wird bereits im Deutschunterricht eingesetzt. Die Autorin erhielt ein enormes Feedback der Leser, so dass sie vor kurzem ein neues Buch herausgab, das sich „Fragen zu Corpus Delicti“ nennt.
KULT[UR]
Foto: btb Verlag
Buch-Tipp: Vorhergesehene Dystopie
Juli Zeh: Corpus Delicti: Ein Prozess.
btb Verlag. 272 Seiten. ISBN 978-3-442-74066-6.
Kult[ur] - Buch-Tipp
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