Es ist mal wieder so weit: Die GDL streikt und stürzt Urlaubs-Deutschland ausgerechnet im zweiten Corona-Sommer in Reiseschwierigkeiten. Dabei ist das Problem nicht primär die Forderung einer Gewerkschaft, sondern ein Bundesgesetz von 2015.
Der Bahnstreik – ein immer wiederkehrendes Ärgernis, vor allem zur Ferienzeit: wenige, dafür volle Züge, genervte Passagiere und eine Bahn, die immer wieder zwischen die Fronten zweier Gewerkschaften gerät. 2015 bezeichnete die „Zeit“ den Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL, Claus Weselsky, als „Bahnsinnigen“, weil er sage und schreibe neun Streiks im Güter- und Personenverkehr angeführt hatte. Weselsky hatte damit einen der längsten und härtesten Streiks der vergangenen Jahrzehnte verantwortet – mit einer Gewerkschaft, die gerade mal in 16 von 300 Bahnbetrieben die Mehrheit gegenüber der sehr viel größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) innehat. Die GDL vertritt dabei 37.000 Mitglieder, die EVG 184.000. Trotzdem schafft es die sehr viel kleinere Gewerkschaft erneut, halb Deutschland gegen sich aufzubringen – vor allem deshalb, weil ein großer Anteil der GDL-Mitglieder Lokführer und Beschäftigte des Bordpersonals sind. Streiken diese, legen sie den entscheidenden Teil des Bahnkonzerns lahm. Damit hat die GDL eine erhebliche Streikmacht.
Ihre Forderungen an die Bahn liegen dabei gar nicht weit von jenen der EVG entfernt, die sich bereits Ende 2020 mit der Bahn geeinigt hat: Die Beschäftigten mit EVG-Mitgliedsausweis erhalten 3,2 Prozent mehr Gehalt bei einer Laufzeit des neuen Tarifvertrages von 40 Monaten, bekommen keine Corona-Prämie und akzeptieren eine Nullrunde bei den Gehältern in diesem Jahr – die Bahn ist durch die Corona-Maßnahmen, Modernisierungspläne und die erwarteten Flutschäden finanziell massiv unter Druck. Zudem hat der Bund als Eigentümer im Gegenzug für Milliardenhilfen auch Einsparungen im Konzern verlangt. Die GDL fordert ebenfalls 3,2 Prozent, eine Corona-Prämie und eine Laufzeit von nur 28 Monaten sowie keine Nullrunde. Beide Gewerkschaften nehmen damit reale Einkommenseinbußen hin, da die Inflation derzeit bei 3,8 Prozent liegt. Eine Einigung ist nicht in Sicht. Erzielt die GDL ein besseres Verhandlungsergebnis als die EVG vor knapp einem Jahr, darf die EVG laut Tarifrecht mit der Bahn nachverhandeln.
Die Ursache des aktuellen Konflikts reicht mindestens zurück bis ins Jahr 2015. Damals verabschiedete der Bundestag das Tarifeinheitsgesetz. Der Inhalt, kurz umrissen: Die Gewerkschaft, die die meisten Arbeitnehmer innerhalb eines Betriebes vertritt, handelt die Tarife mit dem Arbeitnehmer aus – dieser Tarif gilt unternehmensweit. Im Falle der Bahn wäre dies also die EVG. Als Spartengewerkschaft, die seit dem 19. Jahrhundert die meisten Lokführer und mittlerweile einen Teil des Bordpersonals vertritt, wollte die GDL dies so nicht hinnehmen.
Gegen Tarifeinheit geklagt
Sie klagte und versuchte sich gleichzeitig für weitere Berufsgruppen der Bahn zu öffnen. Kurz vor dem Streik noch hatte Weselsky betont, dass in den vergangenen zwölf Monaten 3.000 neue Mitglieder hinzugekommen seien und man künftig auch Tarifverträge für weitere Berufsgruppen aushandeln werde. Der Konkurrenzkampf der beiden Gewerkschaften trat immer wieder offen zutage: Im Falle des aktuellen Tarifvertrages wollte die GDL vor Arbeitsgerichten verhindern, dass die EVG ihren Tarifvertrag gemäß Tarifeinheitsgesetz in den Betrieben anwendet. Bislang scheiterte jede einzelene dieser Klagen vor den Arbeitsgerichten. Geklagt wird dennoch weiter.
Um sich von der traditionell eher dem Konzern nahestehenden EVG abzuheben, gilt die GDL als kämpferischer als die Konkurrentin – vor allem in Person des Gewerkschaftschefs.
Claus Weselsky wies auf einer Pressekonferenz darauf hin, dass bereits mit privaten Bahngesellschaften wie Transdev oder Netinera aktuelle Tarifverträge erfolgreich ausgehandelt worden seien, die die Forderungen der GDL aufgenommen hätten – trotz Coronakrise, trotz staatlicher Unterstützung während der Einschränkungen durch den Lockdown. Er warf der Bahn Missmanagement vor und wies die Medienberichterstattung zurück, wonach es sich um einen politischen Streik handele. Ein solcher Streik wäre rechtlich ohnehin nicht zulässig.
Laut dem Pressesprecher der Bahn, Achim Stauß, wolle die GDL mit ihrem rabiaten Gebaren ihren Machtbereich ausweiten. Die kritisierte Kurzfristigkeit des diesjährigen mutmaßlich ersten Streiks begründete Weselsky damit, dass die Urabstimmung erst spät ausgezählt wurde und der Streik nicht das Wochenende, das auch Ferienende in einigen Bundesländern war, tangieren sollte. Die Gewerkschaft will weiter darauf achten, die Nerven der Bahnkunden dadurch nicht weiter zu strapazieren und mögliche weitere Streiks früher anzukündigen. Dass weitere Streiks kommen, gilt als sicher. Denn das seit Jahren zerrüttete Verhältnis zwischen der Bahn und den beiden Gewerkschaften ist schon alleine wegen des Tarifeinheitsgesetzes nicht so leicht zu kitten.