Wie ein Zaubertrank wird Wasserstoff im Kampf gegen den Klimawandel gehandelt. Vor allem die „grüne“ Variante hat ein Top-Image. Die Erdgasbranche will von dieser Popularität profitieren.
Die Erdgasunternehmen haben ihren Verband „Zukunft Erdgas“ im vergangenen Jahr umbenannt. Er heißt nun „Zukunft Gas“. Signalisiert werden soll: Die Branche will weiterhin Gas verkaufen, aber in Zukunft soll es klimafreundliches Gas sein.
Fossiles Erdgas wird als Rohstoff in der Industrie, zur Stromerzeugung und zur Wärmegewinnung genutzt. Allein die Hälfte aller deutschen Haushalte wird mit Gas beheizt. Weil bei der Verbrennung weniger Kohlendioxid als bei Kohle oder Öl entsteht, galt Erdgas einmal als „Brückentechnologie“ in die Zukunft. Doch die Emissionen sind immer noch erheblich. Dazu kommen Methanemissionen bei der Förderung oder durch Lecks. In einer klimaneutralen Zukunft kann kein fossiles Gas mehr verbrannt werden.
Der Ausweg für die Branche ist die Wasserstofftechnologie. Aus Erdgas und Rohöl wird heute schon ein Drittel des in Deutschland produzierten Wasserstoffs hergestellt (insgesamt 57 Terawattstunden, das entspricht einem Zehntel des jährlichen Stromverbrauchs insgesamt in Deutschland). Der meiste Wasserstoff wird in der chemischen und in der Erdölindustrie verbraucht.
Strom übernimmt eine zentrale Rolle
Der Energieaufwand für die Gewinnung von Wasserstoff ist hoch. Traditionelle Verfahren spalten meist Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2. Das CO2 gelangt ungenutzt in die Atmosphäre. Bei diesem immer noch am häufigsten angewandten Verfahren entstehen pro Tonne erzeugtem Wasserstoff etwa zehn Tonnen CO2. Deswegen spricht man von „grauem Wasserstoff“. „Blau“ nennt man Wasserstoff, der traditionell wie der graue hergestellt wird, bei dem aber das entstehende CO2 gebunden, also im Erdreich gespeichert wird, und nicht in die Atmosphäre gelangt.
„Grüner“ Wasserstoff entsteht bei einem auf Wasserspaltung basierenden Herstellungsverfahren. Wasserstoff könnte CO2-frei produziert werden, wenn das Verfahren (die Elektrolyse) mit klimaneutralem Strom betrieben wird. Die großtechnische Umsetzung solcher Verfahren gilt als eine Schlüsseltechnologie zur Bekämpfung der globalen Erderwärmung.
Doch für die Erzeugung von grünem Wasserstoff braucht es einen massiven Zubau erneuerbarer Energien. Strom übernimmt in einem klimaneutralen Energiesystem eine zentrale Rolle. Laut Fraunhofer-Institut wird dafür 2,5-mal mehr Strom als heute erzeugt wird gebraucht. Für die Gasindustrie ist die Umstellung auf blauen oder grünen Wasserstoff die Chance, ihre Stellung am Markt zu erhalten. Rund 500.000 Kilometer Erdgasleitungen gibt es in Deutschland. Darüber, was mit diesen Leitungen passiert, wenn das Land klimaneutral wird, ist ein Streit entbrannt. Die Gasnetzbetreiber hoffen, das Netz mittelfristig auf grüne Gase wie Wasserstoff umstellen zu können und die Endverbraucher für ihre Heizung mit Wasserstoff zu beliefern. „Die Erdgaskunden von heute sind die Wasserstoffkunden von morgen“, sagte Gerald Linke vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) in einer Bundestagsanhörung, in der es um die künftige Regulierung von Wasserstoffnetzen ging.
Doch an dem Konzept gibt es Zweifel. Die Experten von Agora Energiewende rechnen damit, dass die Gaskessel durch eine Mischung aus Wärmepumpen und Wärmenetzen ersetzt werden. Beispielsweise geht das Szenario „Klimaneutrales Deutschland 2045“ der Stiftung Klimaneutralität davon aus, dass Wasserstoff nicht direkt in Heizungen eingesetzt wird. Die Energieökonomin Claudia Kemfert nennt Wasserstoff den „Champagner der Energiewende“. Sie plädiert dafür, Strom direkt einzusetzen, wo immer das möglich ist, weil bei der Herstellung auch von grünem Wasserstoff große Mengen gebunden werden. Klimaneutraler Wasserstoff sei auch in Zukunft nur in begrenzten Mengen verfügbar. Deswegen sollte er den Branchen vorbehalten bleiben, in denen es keine effizienteren Optionen gibt. Ein Stahlwerk lässt sich schließlich nicht durch eine Wärmepumpe betreiben.
„Die Gaslobby ist mächtig“
Wie die Gasindustrie arbeiten auch andere Lobbyisten daran, Wasserstoff zu benutzen, um ihr Geschäftsmodell weiter halten zu können. Nina Katzemich, Politologin bei Lobby-Control Köln, meint, dass manche Akteure der Automobillobby hoffen, mit Hilfe von sogenannten „e-fuels“, also synthetischen Kraftstoffen, die Zukunft des Verbrennungsmotors retten zu können. Noch kostet die Produktion doppelt so viel wie bei fossilen Kraftstoffen. Eine staatliche Förderung ist nur für synthetische Kraftstoffe für Schiffe und Flugzeuge vorgesehen. Derzeit setzt die Bundesregierung voll auf die Elektrifizierung.
Doch die Gaslobby ist mächtig, meint Nina Katzemich. „Stellt sie die Weichen geschickt und kann die Nutzung von Wasserstoff und synthetischen Gasen (auf Basis von Wasserstoff) für möglichst viele Bereiche durchsetzen, müsste man noch lange auf Wasserstoff zurückgreifen, der in irgendeiner Weise mithilfe von Erdgas hergestellt wird.“ Es dürfe nicht sein, dass am Ende „fossile Wirtschaftsinteressen die Oberhand über die Zukunft der Energieversorgung gewinnen“, so die Politologin. Vielleicht hat sich deswegen die Bundesregierung so vehement für Nord Stream 2 starkgemacht: damit immer genügend Erdgas für die Wasserstoffproduktion zur Verfügung steht.