Mit dem Polestar 2 schickt Volvo einen sportlichen, auf Nachhaltigkeit getrimmten Tesla-Konkurrenten ins Rennen. Der Bordcomputer ist größtenteils super, sammelt aber unablässig Daten über die Insassen.
Rumms! Mit einem heftigen Ruck kommt der Polestar 2 beim Ausparken zum Stehen. Bitte keine Laterne! Oder war es gar ein Mensch? Die Assistenzsysteme piepsen nicht, die 3D-Ansicht zeigt nichts Verdächtiges an. Beim Aussteigen zeigt sich, dass der Bordcomputer vermutlich einen leicht erhöhten Gullydeckel mit einem Hindernis verwechselt hat. Glück gehabt. Doch die Testfahrt startet mit erhöhtem Adrenalin-Pegel.
Polestar, das ist die Elektromarke des Volvo-Konzerns. Das Unternehmen gelobt größtmögliche Offenheit, was die Ökobilanz seiner Fahrzeuge angeht. Schließlich gibt es bei Elektroautos zwar keinen Auspuff, aus dem klimaschädliche Abgase strömen – bei ihrer Produktion fallen aber sehr wohl enorme Mengen an Treibhausgasen an. Es ist eine Tatsache, die andere Hersteller zwar nicht bestreiten, in ihrer „emissionsarmen“ Werbung aber oft verschweigen.
Nicht so Polestar: Auf der Webseite listet der Konzern den ökologischen Fußabdruck seines Zugpferdes auf und stellt ihm ein vergleichbar schweres Auto, den Volvo XC40, gegenüber. Tatsächlich fallen bei der Herstellung des Polestars 2 stattliche 24 Tonnen CO2 an, während es beim XC40 nur 14 Tonnen sind. Im Laufe des Lebenszyklus holt der Stromer diesen Nachteil aber wieder auf, da er beim Fahren keine Abgase ausstößt. Ab 78.000 Kilometern, so die Aussage, fährt der Polestar 2 im europäischen Strommix klimaneutral.
Nachhaltigkeit soll Rolle spielen
Darüber hinaus verspricht Polestar, dass beim Abbau des für den Akku nötigen Kobalts keine Menschen ausgebeutet werden. Dafür sorge ein striktes System der Rückverfolgung. Zu guter Letzt kommen im Innenraum keine tierischen Materialien zum Einsatz. Vieles besteht aus recycelten Materialien.
Aber wie fährt es sich nun, dieses auf Nachhaltigkeit getrimmte Gefährt? Vom ersten Schrecken beim Ausparken abgesehen präsentiert sich der Polestar 2 von seiner besten Seite. Einmal das Gaspedal antippen, schon schießt er nach vorne. In 4,7 Sekunden schafft er es von null auf 100 km/h – diese Info platziert Polestar in seinem Factsheet prominent, Öko-Versprechen hin oder her. Aber gut, wer ein Auto fährt, das je nach Ausstattung mehr als 60.000 Euro kostet, möchte damit auch Spaß haben.
Und Spaß macht er. Bei meiner ersten rund 90 Kilometer langen Fahrt von Bonn nach Mülheim an der Ruhr surrt er trotz Dauerregen zielsicher über die Autobahn. Auch wenn wetterbedingt nicht mehr als 100 km/h drin sind, fühle ich mich ein bisschen wie ein Rennfahrer: die sportlichen Sitze, die orangefarbenen Sicherheitsgurte, die krasse Beschleunigung, sobald man das Gaspedal berührt. Abends geht dann der Polarstern auf: Er leuchtet am Innenhimmel. Direkt dahinter beginnt das gläserne Dach, durch das man – zumindest bei gutem Wetter – die echten Sterne sieht.
Was passiert mit all den Daten?
In der Mitte des Armaturenbretts thront ein Tablet – Tesla lässt grüßen. Mit ihm lässt sich fast alles am Polestar steuern, was anfangs leider etwas ungewohnt ist. Um die Klimaanlage anzuschalten, wühle ich mich durch diverse Untermenüs. Am Ende zeigt sich, dass das gar nicht nötig war, weil die Funktion am unteren Bildschirmrand versteckt ist. Trotzdem lenken solche Suchaktionen unnötig ab, gerade im Berufsverkehr.
Da ist Variante zwei schon besser: mit dem Auto sprechen. „Navigiere nach Mülheim“, instruiere ich den Bordcomputer. Sofort erscheint eine passende Route auf dem Display, inklusive Stau-Prognose und voraussichtlichem Batteriestand bei der Ankunft. Möglich macht dies der IT-Konzern Google, mit dem der Polestar verwoben ist. Nicht nur das Navi, auch das Auto selbst lässt sich über das Betriebssystem steuern. Und natürlich auch das eigene Handy, wenn man es mit dem Fahrzeug verbindet.
Das System funktioniert tadellos. Wo ist die nächste Schnellladesäule? Wann hört es auf zu regnen? Wie lange brauche ich noch bis zum Ziel? Google weiß alles. Und noch mehr. Da man via Internet mit dem Sprachassistenten verbunden ist, den man auch vom Handy kennt, kann man mit dem Auto regelrecht plaudern. Trotz des starken Regens, der fortwährend gegen die Karosserie prasselt, versteht der Assistent alles, was bei Autos längst keine Selbstverständlichkeit ist.
Doch der praktische Helfer wirft zugleich Fragen auf. Was passiert eigentlich mit all den Daten? Da der Polestar mit Google so eng verknüpft ist, erfährt der Softwareriese auch alles über das eigene Fahrverhalten, die angesteuerten Ziele und die Menschen, die man unterwegs anruft. Datenschutz und Google – das geht schon am Computer selten zusammen. Im Auto wird es noch undurchsichtiger. Als ich am Ziel angekommen bin, beschleicht mich daher ein mulmiges Gefühl. Reflexartig tippe ich auf dem Navi herum, um die letzte Adresse zu löschen. Blöd nur, dass ich eine solche Funktion nicht finde.
Am nächsten Tag kontaktiere ich Polestar. Was macht Google mit all den Daten? Wer hat darauf Zugriff? Und wo können Fahrerinnen und Fahrer einsehen, was überhaupt gesammelt wird? Immerhin interessieren sich auch Versicherungen zunehmend für das Fahrverhalten ihrer Kunden.
Polestar beschwichtigt, bleibt inhaltlich aber vage. „Wir teilen nur die Infos, die nötig sind, um das Fahrerlebnis zu verbessern oder die sicherheitsrelevant sind“, teilt die Pressestelle mit. Außerdem könne man das System inkognito nutzen, also ohne Verknüpfung mit dem privaten Google-Account. „Alle Infos hierzu werden noch einmal transparent im Fahrzeug unter ,Google Nutzungsbedingung‘ aufgeführt und können durch die Löschung des Profils jederzeit widerrufen werden“, so Polestar.
Auf dem Rückweg hat der Regen aufgehört. Am Kreuz Hilden steuere ich einen Ladepark an, um den Polestar an der Schnellladesäule zu testen. Klappt super. Innerhalb weniger Minuten füllt sich der Akku. Beim Aussteigen im Dunkeln leuchten sogar die Griffe – schick! Apropos Batterie: Laut Normwert soll der Polestar knapp 470 Kilometer weit mit einer Ladung kommen. Bei meinen weiteren Fahrten, einer Mischung aus Stadt und Autobahn, kommt er nicht ganz an diesen Wert heran. Unrealistisch ist er aber nicht.
Nach einer Woche habe ich den Polestar liebgewonnen. Dem Navi traue ich immer noch nicht, aber vom Fahrverhalten und von der Verarbeitung her gibt es nichts zu meckern – gerade letztere ist deutlich besser als bei Tesla. Einziger Minuspunkt: Mit deutlich über 20 kWh pro 100 Kilometer ist der Verbrauch recht hoch, was das gute Umweltgewissen wieder ein wenig schmälert. Und dann wäre da noch die Frage, wie viel CO2 durch die permanente Internet-Verbindung mit Google zusätzlich freigesetzt wird. Aber das würde wohl hier zu weit führen.