Rund 95 Prozent aller Bundesbürger schauen wenigstens einmal in der Woche fern. Das heute wohl beliebteste und wegen seiner Verführungskraft nicht selten geschmähte Massenmedium begann seine Laufbahn als belächeltes Nischenprodukt. Am 21. August 1931 führte Manfred Baron von Ardenne das erste vollelektronische Fernsehen auf der Funkausstellung in Berlin vor.
Die Geburtsstunde der elektronischen Bildübertragung liegt weit zurück. Bereits 1843 entwickelte der schottische Uhrmacher und Erfinder Alexander Bain die Grundlagen der elektronischen Bildzerlegung und damit die Basis für Telefax und Fernsehen. Der Ingenieur Paul Nipkow wiederum konstruierte 1883 so etwas wie den mechanischen Urfernseher, indem er am Heiligen Abend allein in seinem möblierten Zimmer in Berlin vor seiner Petroleumlampe ein elektronisches Teleskop erfand. Die spiralförmig gelochte „Nipkow-Scheibe“ zerlegte Bilder durch Rotation in Hell-Dunkel-Signale und setzte sie anschließend wieder zusammen.
„New York Times“ berichtete davon
Auf Grundlage der Nipkow-Scheibe entwickelte der Schotte John Logie Baird 1923 den ersten voll funktionierenden Fernsehapparat – aus einer alten Hutschachtel, gebrauchten Umzugskartons, einer Schere, Stopfnadeln, ein paar Fahrradlampen, Siegelwachs und Klebstoff. Im darauffolgenden Jahr demonstrierte der Erfinder vor Reportern der britischen Programmzeitschrift „Radio Times“ erstmals sein halbmechanisches analoges Gerät, welches in der Lage war, bewegte flackernde Schattenbilder zu übertragen. Bald darauf glückte ihm eine konturierte Wiedergabe. 1927 gelang Baird dann die Langstreckenübertragung eines Fernsehbildes über eine Telefonleitung zu einem Kurzwellensender von London nach Glasgow. 1928 vollbrachte er schließlich die transatlantische Übertragung eines Fernsehbildes von London nach New York. Am 3. Juli desselben Jahres konnte er mithilfe von synchron rotierenden Farbfiltern vor Kamera und Empfänger erstmals 12,5 farbige Bilder pro Sekunde übertragen. Bairds Verfahren wurde für einige Jahre zum Standard sowohl bei der BBC als auch bei der Berliner Fernseh-AG.
Bessere Qualität stand im Fokus
Jon Logie Bairds Televisoren mit einer Auflösung von 30 Zeilen wurden zwischen 1928 und 1935 sowohl als fertige Geräte als auch als Bausätze angeboten, einer davon kostete um 1930 in Deutschland etwa 30 Reichsmark. 1930 schließlich markierte der in Hamburg geborene Physiker Manfred Baron von Ardenne mit einer revolutionären Idee den Übergang zur vollelektronischen Übertragung: Für die erste drahtlose Transmission von Bildern mittels Radiowellen am 14. Dezember 1930 in seinem Laboratorium Berlin-Lichtenberg setzte der 23-Jährige die von Karl Ferdinand Braun entwickelte Kathodenstrahlröhre (Bildröhre) ein: Der Röhrenfernseher war geboren. Eine Sensation, denn mit dieser innovativen Technik ließen sich Bilder deutlich präziser übermitteln, wobei schnelle Bewegungen für den Zuschauer überhaupt erst erfassbar wurden.
Baron von Ardenne, dessen Erfindungen nicht nur in der Funk- und Fernsehtechnik bahnbrechend waren, führte am 21. August 1931 gemeinsam mit der Firma Loewe den ersten vollelektronischen Fernseher auf der Funkausstellung in Berlin vor. Bereits am 16. August hatte die „New York Times“ auf der Titelseite über den deutschen Tüftler berichtet. Das alles hatte zur Folge, dass europäische Hersteller sich sehr schnell auf das elektronische Fernsehen umstellten. Am 22. März 1935 ging mit einer Liveübertragung aus Berlin das erste öffentliche und regelmäßige Fernsehprogramm der Welt an den Start: im Fernsehsender „Paul Nipkow“, auch Deutscher Fernseh-Rundfunk genannt. Der interessierte Laie konnte die ersten vollelektronischen Bilder zunächst in 15 öffentlichen Fernsehempfangsstellen, Fernsehstuben und Großbildstellen verfolgen, die die Deutsche Reichspost ab 1935 einrichtete.
Im Nationalsozialismus wurden Einsatz und Verbreitung des Fernsehens zu einer Frage des nationalen Prestiges. Denn auch die BBC arbeitete an der Weiterentwicklung des Mediums und konnte bereits kurz nach dem Weltstart der Deutschen mit technisch weit ausgereifteren Fernsehbildern punkten. In Großbritannien startete ein regelmäßiges öffentliches Fernsehprogramm im Jahr 1936; Frankreich folgte 1937, die USA 1939. Die Olympischen Spiele boten 1936 die Chance, die neuen Möglichkeiten erstmals während eines internationalen Großereignisses auszuprobieren. Um den Charakter der Unmittelbarkeit bei der Übertragung der Wettkämpfe zu steigern, entwickelte Telefunken die erste fahrbare Großkamera mit verbesserter Leistungsfähigkeit. Interviews rund um das sportliche Geschehen konnten zudem mit dem sogenannten Fernseh-Sprechdienst per Ferngespräch aus Telefonzellen heraus auch visuell verfolgt werden, indem der Gesprächspartner im Bild zu sehen war – ein früher Vorläufer von Bildtelefonie und Skype-Verfahren.
Bis zu Beginn des Krieges stand die Verbesserung der Bildqualität im Mittelpunkt der Forschung. Wenn sich das Fernsehen als Massenmedium gegen das Kino behaupten sollte, musste das störende Flimmern beseitigt oder zumindest reduziert werden. Mit optischen Tricks wie dem heute noch gebräuchlichen Zeilensprungverfahren konnte man die Illusion einer höheren Bildfrequenz pro Minute erzeugen – Voraussetzung für den Eindruck einer fließenden Abfolge der Bilder. Auch das Projekt „Fernsehen im heimischen Wohnzimmer“ erhielt noch vor dem Krieg entscheidende Impulse.
Auf der Berliner Funkausstellung 1939 präsentierte man den „Deutschen Einheits-Fernsehempfänger E1“ mit der innovativen, zimmertauglichen Rechteckbildröhre, die einen Sitzabstand von zwei Metern zum Gerät ermöglichte. Kostenpunkt: 650 Reichsmark. Der Krieg verhinderte die geplante Serienherstellung, allerdings wurden 50 bereits produzierte Geräte an Lazarette geliefert. 1939 kam das Aus für die europäische Fernsehindustrie; man prüfte die Fernsehtechnik lediglich auf militärische Verwendbarkeit, wie etwa in der Luftaufklärung. Im besetzten Frankreich gab es ab 1942 noch den „Fernsehsender Paris“ zu Propagandazwecken; 1944 schließlich wurde das Fernsehprogramm in Deutschland ganz eingestellt.
Frühe Geräte waren sehr teuer
Nach 1945 stand das deutsche Fernsehen wie Presse, Rundfunk und Film unter Besatzungsrecht. Nach und nach wurden neue Sendeanstalten unter Kontrolle der Besatzungsmächte errichtet. 1950 kam es in den Westzonen zum Zusammenschluss aller Landesrundfunkgesellschaften zur „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ (ARD), die den Sendebetrieb am 25. Dezember 1952 aufnahm. Bereits am 21. Dezember konnte man in der DDR wieder Fernsehbilder empfangen. Noch in den 50er-Jahren fristete das Fernsehen ein Nischendasein im deutschen Kulturbetrieb – kaum jemand konnte sich einen Apparat leisten, dessen Anschaffungspreis mit etwa 1.000 Mark weit über einem durchschnittlichen Monatsgehalt lag. Dennoch setzte eine Diskussion ein, ob das neue Medium dazu beitrage, dass sich Menschen von Geistes- zurück zu Augenmenschen entwickeln würden.
Seine euphorisierende Wirkung auf die Massen bewies das Fernsehen erstmals 1953, als die Krönung Elisabeths II. elf Stunden lang europaweit gesendet wurde. 1954 war es die Übertragung der Spiele der Fußballweltmeisterschaft aus Bern, die Tausende an die Geräte in Gaststätten und Freizeitheimen lockte. Die heimischen Wohnzimmer eroberte der Bildschirm dann endgültig in den 1960er-Jahren, als die Prosperität den meisten Familien den Kauf eines eigenen Geräts ermöglichte – seit der Internationalen Funkausstellung 1967 auch in Farbe. Seither bestimmt der Fernseher das Freizeitverhalten der Deutschen in erheblichem Maße.
Die seit 1975 übliche bequeme Fernbedienung, die Verlockungen des Werbe- und Privatfernsehens, ein Rund-um-die Uhr-Sendebetrieb, Mediatheken im Internet und nicht zuletzt die überdimensionalen Flachbildschirme, die den Kinobesuch überflüssig zu machen drohen, erzeugen die Illusion des Fernsehens als ständig präsentem und unverzichtbaren Begleiter des modernen Menschen. Niemand muss sein Heim mehr verlassen, um umfassend informiert und unterhalten zu sein. Es scheint, als sei das Fernsehen immer schon an unserer Seite gewesen.