Vor allem junge Männer können sich eine Hodentorsion zuziehen. Die Betroffenen spüren heftige Schmerzen. In den meisten Fällen empfiehlt sich eine rasche Operation, bei der die Drehung rückgängig gemacht und der Hoden fixiert werden kann.
Wen eine Hodentorsion trifft, durchfährt ein starker Schmerz, der bis in den Bauchraum ausstrahlen kann. Mitunter kann die Verdrehung des Hodens beim Sporttreiben passieren. „Was letztlich dazu führt, dass sich der eine Mann die Drehung zuzieht und ein anderer nicht, bleibt häufig im Verborgenen“, sagt Prof. Dr. Sabine Kliesch, Chefärztin der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie im Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Uniklinikum Münster. Doch die Folgen können gravierend sein und reichen von verminderter Samenzellbildung bis hin zur Fruchtbarkeitsstörung. Generell wird angenommen, dass diejenigen mit einem längeren und damit beweglicheren Samenstrang für eine Hodentorsion anfälliger sind.
Unklar ist hingegen, wie hoch die Inzidenz der urologischen Erkrankung in der deutschen Bevölkerung tatsächlich ist. „Was man allerdings weiß, ist, dass es eine altersbedingte Häufigkeit gibt“, sagt Prof. Kliesch. Genauer gesagt: An einer Hodentorsion erkranken vornehmlich junge Männer zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr, denn in diesem Alter beginnt der Kremastermuskel, also der innere Muskel am Hoden, auszureifen. Daneben kann es vorkommen, dass Säuglinge in diesen schmerzhaften Zustand geraten.
Was genau geht da vor sich, wenn eine Hodentorsion eintritt? Wie bei einer Kordel, die zugezogen wird, werden quasi die Wände der Blutgefäße gequetscht, sodass das Blut nicht mehr weiterfließen kann. Das Blut im Hoden kann nicht abfließen und neues sauerstoffreiches Blut kann nicht mehr reinkommen. Der heftige Schmerz wird durch den Blutstau im Hoden hervorgerufen. Das Hodengewebe dehnt sich daraufhin aus, quillt förmlich auf und die darum liegende Kapsel dreht sich um den Hoden. „Diese Kapsel hat einen hochempfindlichen, mit Nerven versorgten Überzug“, erläutert Prof. Kliesch. Darüber hinaus könnten Schwellungen und Rötungen als begleitende Symptome auftreten. Häufig sei die Hodenhaut gerötet, was wiederum mit der veränderten Blutzufuhr zusammenhänge. Im weiteren Verlauf könne sich der betroffene Hoden entzünden. Wenn eine Hodentorsion unbehandelt bleibt, stirbt letztlich das Hodengewebe ab. „Der Prozess des Absterbens mündet in einer entzündlichen Reaktion“, berichtet Prof. Sabine Kliesch, seit 2020 erste Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Andrologie. Der Hoden schrumpft in letzter Konsequenz zusammen, nur noch vernarbtes Bindegewebe bleibt zurück – Atrophie ist der medizinische Fachbegriff für diesen Vorgang. Der so verkleinerte Hoden kann aber beispielsweise keine neuen Samenzellen produzieren. Für den Fall, dass er über einen längeren Zeitraum gedreht war und im Absterben (Nekrose) begriffen ist, ist eine Entfernung unausweichlich. „Die Natur hat bewusst die Hoden paarig angelegt, weil es wichtige Organe sind“, erläutert Prof. Kliesch. Der verbleibende gesunde Hoden müsse dann die Funktion für beide Hoden übernehmen. Um das Fehlen des Hodens zumindest kosmetisch auszugleichen, könne sich der Patient für eine Hodenprothese, das heißt ein Silikon-Implantat, entscheiden.
Die empfehlenswerteste Therapie einer akuten Hodentorsion ist in jedem Fall eine Operation. Im ersten Schritt steht eine Freilegung des Hodens an. Danach kann er in seine ursprüngliche Lage zurückgedreht werden. „Wenn sich der Hoden erholt, bleibt er erhalten und wird sicherheitshalber, um eine erneute Drehung zu vermeiden, im Hodenfach mit einer kleinen Naht festgeheftet“, sagt Prof. Kliesch. Zur Vorbeugung einer Torsion des zweiten Hodens wird das gesunde Pendant oftmals gleichfalls mit einer Naht fixiert (Orchidopexie). „Die Hodentorsion ist ein absoluter Notfall, der klassischerweise zu ungeahnten Tageszeiten auftritt“, stellt sie klar.
Sollte der Patient durch Vorerkrankungen bereits eingeschränkt sein, könne eine Torsion umso mehr ins Gewicht fallen. Mitunter können angeborene Störungen der Entwicklung des Hodens einen schweren Krankheitsverlauf bedingen. Dazu zählt beispielsweise Hodenhochstand in der Kindheit. Einer oder beide Hoden sind dabei nicht in den Hodensack – entweder vollständig oder überhaupt nicht – abgesenkt. „Wenn der Hodenhochstand zufällig den nicht torquierten Hoden betrifft, ist die Funktion auch da schon gemindert. Wenn eine Hodentorsion auf der Seite des gesunden Hodens dazukommt, kann das im äußersten Fall zu einer Fruchtbarkeitsstörung führen“, sagt Prof. Kliesch. Darüber hinaus sind andere Konstellationen denkbar: Wer im Jugendalter eine Mumps-Orchitis, also eine entzündliche Mumps-Erkrankung, die den Hoden befällt, durchgemacht hat, ist entsprechend vorbelastet. Oder wem im Zuge eines Hodentumors bösartig verändertes Gewebe (und damit meist ein Hoden) bereits entfernt werden musste.
Bei fehlender Behandlung stirbt das Hodengewebe ab
Um eine Hodentorsion eindeutig festzustellen, wird sich der behandelnde Urologe zuerst nach der Vorgeschichte des Patienten erkundigen und sich sodann ein Bild vom akuten Zustand des Hodens machen. Sofern das Schmerzempfinden des Patienten dies zulässt, kann der betreffende Hoden vorsichtig abgetastet werden. Empfehlenswert ist in jedem Fall eine Ultraschalluntersuchung, bei der mithilfe einer Doppler- oder Duplexsonografie die Durchblutung der Gefäße farblich dargestellt wird. „Mit den heutigen Ultraschallgeräten funktioniert dies ganz gut, aber die Untersuchung ist nicht 100 Prozent zuverlässig“, so Prof. Kliesch. Sollten immer noch nicht alle Zweifel ausgeräumt sein, ob eine Hodenverdrehung vorliegt, kann eine Hoden-Szintigrafie sinnvoll sein. Doch für das weitaus teure Diagnoseverfahren brauche man entsprechend Zeit und eine entsprechende Ausstattung in Kliniken oder Praxen, räumt die Fachärztin ein.
Der behandelnde Arzt muss in jedem Fall eine Entscheidung treffen: Entweder erhärtet sich der Verdacht auf eine Hodentorsion, und der Patient muss schnellstmöglich operiert werden. Falls eine Hodentorsion klinisch sicher ausgeschlossen werden kann, gilt es mit einer Differenzialdiagnose zu klären, was der Patient stattdessen hat. Dabei sei es durchaus naheliegend, dass eine andere Diagnose gestellt werde, zum Beispiel die einer ebenso äußerst schmerzhaften Nebenhodenentzündung oder einer Hydatidenverdrehung, also einer Drehung der winzig kleinen Anhangsgebilde am Hoden, schildert die erfahrene Fachärztin. „Die Hydatiden stammen aus der embryonalen Entwicklung, haben aber keinerlei Funktion. Wenn sich die an einem kleinen Stiel hängenden Hydatiden verdrehen, tut das genauso weh wie bei einer Hodentorsion, ist aber unterm Strich völlig harmlos“, erklärt Prof. Kliesch. Heißt: Eine Operation ist zwar nicht unbedingt notwendig, aber eine operative Entfernung der Hydatiden könne den Schmerz beheben.
Seltener, aber dafür umso tückischer, kann eine nicht vollständige Hodentorsion sein. Dabei dreht sich der Hoden nicht einmal komplett um die eigene Achse, sondern nur teilweise. Das hat unangenehme Folgen: Der Hoden wird nur noch geringer durchblutet als zuvor und schmerzt. „Das löst sich aber wieder, wenn sich der Muskel entspannt – solche wechselhaften Verläufe gibt es leider auch in manchen Fällen“, sagt Prof. Sabine Kliesch. Wenn die Betroffenen das Schmerzgefühl nicht richtig ernst nehmen und gedanklich verdrängen, kann das schwer wiegen. „Jedes Mal, wenn die Drehung vorübergehend die Blutzufuhr abschneidet, nimmt der Hoden ein wenig Schaden“, so die Fachärztin. Insofern sei ein solcher Krankheitsverlauf vor allem für den Patienten selbst schwer einzuschätzen.