Schwerstkranke Menschen werden nicht nur auf Palliativstationen, in Hospizen oder Seniorenheimen versorgt. Wer die letzte Lebensphase zu Hause verbringen möchte, erhält Unterstützung von ambulanten Hospizdiensten. Was sie leisten, weiß Heike Steuer, Hospizfachkraft und Teamleiterin im Ambulanten Hospiz St. Michael Völklingen.
Frau Steuer, was sind die Aufgaben ambulanter Hospizdienste?
Ambulante Hospizdienste beraten und begleiten Schwerstkranke und ihre Angehörigen zu Hause, im Seniorenheim, im Krankenhaus oder in der Behinderteneinrichtung. Unser Ziel ist es, Lebensqualität zu erhalten. Wir hören, welche Bedürfnisse die Menschen haben und was sie brauchen. Es geht um soziale, psychische und spirituelle Fragen. Manchmal vermitteln die Hausärzte den Kontakt. Meistens sind es aber die Angehörigen, die sich bei uns melden. Wir informieren sie über den weiteren Krankheitsverlauf, beantworten Fragen zum Sterbeprozess und helfen beim Ausfüllen von Anträgen. Im Rahmen der „Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung“ (SAPV) lindern Hospizfachkräfte Krankheitssymptome – in enger Abstimmung mit den behandelnden Ärzten. Unterstützt wird das hauptamtliche Team von ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfern. Sie wachen am Bett, erledigen kleinere Botengänge und entlasten die Angehörigen. Manchmal machen sie Ausflüge mit noch mobilen Patienten. Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit gehört ebenfalls zu unseren Aufgaben. Wir stehen in engem Kontakt mit vielen sozialen, pflegerischen und medizinischen Einrichtungen. Beim Ambulanten Hospiz St. Michael Völklingen werden auch regelmäßig Gedenkgottesdienste angeboten.
Wie groß ist das Team des Ambulanten Hospizes St. Michael Völklingen? Und wie viele Patienten werden betreut?
Zum fünfköpfigen hauptamtlichen Team gehören drei Palliativfachkräfte aus der Kranken-/Altenpflege, eine Sozialarbeiterin und eine Bürokraft. Hinzu kommen aktuell 53 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir begleiten zeitgleich durchschnittlich etwa 105 Patienten. Im letzten Jahr wurden 305 Kranke betreut.
Wie werden die ehrenamtlichen Helfer auf ihren Einsatz vorbereitet?
Es gibt eine vorbereitende Schulung mit 15 Abendveranstaltungen und drei Tagesseminaren. Die Ehrenamtlichen setzen sich mit den Themen Tod, Sterben und Krankheit auseinander und finden heraus, ob sie den Belastungen gewachsen sind. Außerdem erhalten sie Informationen zu wichtigen Themen, etwa Kommunikation mit Sterbenden, Palliativmedizin und Palliativpflege, Betreuungs- und Patientenverfügung oder Wahrheit am Krankenbett. Zu ihrer Unterstützung bieten wir Einzelgespräche, Gruppentreffen mit anderen Ehrenamtlichen, Supervision sowie Oasentage und Fortbildungen an.
Sie haben das Thema Wahrheit am Krankenbett erwähnt. Sollte man Sterbende immer über ihre Krankheit aufklären?
Eine Aufklärung über den Gesundheitszustand ist wichtig. Sie sollte aber – wie bei jeder anderen Krankheit auch – durch einen Arzt erfolgen. Die Angehörigen müssen sich nicht unter Druck setzen, es ist nicht ihre Aufgabe. Wobei der Patient entscheidet, in welchem Umfang er informiert werden möchte. Es gibt Kranke, die nicht wissen wollen, wie lange sie voraussichtlich noch leben. Dann braucht der Arzt auch keine Prognose abzugeben.
Wie alt sind die Menschen, die Sie betreuen? Und welche Krankheiten haben Sie?
Die Altersspanne reicht von 26 bis 99 Jahre, das Durchschnittsalter liegt bei 74 Jahren. Die Menschen, die wir begleiten, leiden meist an einer Tumorerkrankung. Immer öfter betreuen wir aber auch Patienten mit Herz- und Lungenerkrankungen sowie geriatrischen und neurologischen Erkrankungen. Ich empfehle den Schwerkranken und ihren Familien, sich frühzeitig an ein ambulantes Hospiz zu wenden. Es ist uns wichtig, dass die Palliativversorgung nicht erst in der letzten Lebensphase beginnt. Sie bietet bei sehr langen Krankheitsverläufen eine wichtige Unterstützung.
Kann die palliativmedizinische Versorgung Schwerstkranker in jedem Fall auch zu Hause gewährleistet werden?
Zumindest im Saarland ist das medizinisch möglich. Leider wird die „Spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ noch nicht in allen Regionen Deutschlands angeboten. Es braucht aber auf jeden Fall Pflegende oder Angehörige, die bei Bedarf sehr schnell Medikamente verabreichen können. Deshalb sollten die Sterbenden in den letzten Tagen rund um die Uhr betreut werden.
Wie lassen sich Schmerzen optimal lindern?
Es gibt programmierbare Medikamentenpumpen, die Schmerzmittel kontinuierlich abgeben. Die Dosierung wird vom Arzt festgelegt. In einem bestimmten Rahmen kann der Patient die Zufuhr bei Bedarf selbst erhöhen. Werden Angst, Schmerzen und Atemnot unerträglich, besteht die Möglichkeit der palliativen Sedierung mit stark beruhigenden und schmerzmindernden Medikamenten. Das Bewusstsein wird gedämpft, um belastende Symptome auszuschalten.
Schwerstkranke fürchten sich vor Schmerzen. Gibt es weitere Ängste?
Die Angst vor Schmerzen steht an erster Stelle. Die Kranken haben aber auch Angst zu ersticken, Angst nicht mehr wach zu werden und Angst vor dem Unbekannten. Ältere Christen erzählen manchmal von ihrer Angst vor dem strafenden Gott. Die Patienten fürchten sich auch vor dem Verlust der Autonomie und der Abhängigkeit von anderen Menschen. Außerdem belastet es sie, ihre Familie alleine zu lassen und in Trauer zu stürzen.
Palliativstationen, stationäre Hospize, ambulante Hospize, Seniorenheime – es gibt viele Einrichtungen, in denen Schwerkranke ihren letzten Lebensabschnitt verbringen können.
Allein lebende Menschen fragen wir sehr früh, wo sie sterben wollen. Und wir erklären ihnen die Unterschiede zwischen den verschiedenen Einrichtungen. Die Palliativstationen der Krankenhäuser nehmen Menschen in akuten Krisensituationen auf. Immer dann, wenn zu Hause oder im Seniorenheim eine optimale Versorgung oder Behandlung nicht mehr gewährleistet ist. Manche Patienten sterben auf der Palliativstation, andere werden nach der Behandlung wieder entlassen. Für ein Hospiz entscheiden sich Menschen wegen des multiprofessionellen Fachpersonals, das sehr gut mit schweren Symptomen umgehen kann. Außerdem ist der Personalschlüssel höher als im Pflegeheim. Und der Aufenthalt kostet den Patienten nichts. Aber auch Altenpflegeeinrichtungen haben ihre Vorzüge: Wer körperlich noch nicht so stark eingeschränkt ist, freut sich über die Gemeinschaftsaktivitäten, die dort angeboten werden. Außerdem gibt es Doppelzimmer für Menschen, die nicht alleine sein wollen. Da es viel mehr Seniorenheime als Hospize gibt, haben die Angehörigen oft kürzere Wege. Im Seniorenheim ist eine palliativmedizinische Betreuung ebenfalls möglich.
Wie finanziert sich Ihre Arbeit? Werden alle Kosten von den Krankenkassen übernommen oder müssen die Patienten zuzahlen?
Unsere Begleitung ist für die Patienten und ihre Angehörigen kostenlos. Wir finanzieren uns durch Zahlungen der gesetzlichen Krankenkassen und Förderungen vom Land. Grundlage ist das Sozialgesetzbuch V, Paragraf 39a. Um alle Kosten decken zu können, sind wir aber zusätzlich auf Spenden angewiesen. Es gibt auch einen Förderverein, der uns finanziell unterstützt.
Wie sind die Rückmeldungen der Patienten und der Angehörigen?
Die Reaktionen sind durchweg positiv. Die Kranken und ihre Angehörigen sind dankbar, dass wir in dieser besonderen Zeit für sie da sind. Die Patienten freuen sich, wenn sie sich mal mit jemandem unterhalten können, der keine Tränen in den Augen hat. Wir bringen ein Stück Normalität in ihren Alltag. Manchmal erzählen die Kranken eine halbe Stunde lang von ihren Urlaubsplänen. Ich weiß, dass sie die Reise nicht mehr machen werden. Ich weiß aber auch, dass es ihnen während des Erzählens gut geht. Die Ablenkung tut den Patienten gut. Manchmal vergessen sie während des Gesprächs sogar, dass sie krank sind.
Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit beeinflusst?
Bei unseren Hausbesuchen kommen wir den Patienten und deren Angehörigen auch körperlich nahe. Eine spontane Berührung oder eine Umarmung spendet Trost. Während der Pandemie ist das tabu. Hygiene- und Abstandsregeln müssen eingehalten werden, unsere Patienten gehören zur Risikogruppe. Corona war eine zusätzliche Belastung für sie. Die Kranken wissen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Umso mehr schmerzt es, wenn sie liebe Menschen nicht sehen können. Das ist schwer auszuhalten. Manche wussten: Wenn der Lockdown zu Ende ist, werde ich nicht mehr da sein. Oder es wird zumindest Dinge geben, die ich nicht mehr machen kann. Wir haben sehr viel telefoniert, um mit allen in Kontakt zu bleiben. Die Treffen mit unseren Ehrenamtlichen haben uns gefehlt. Auch Schulungen mussten ausfallen.
Sie sind täglich mit dem Tod konfrontiert. Niemand, der von Ihnen betreut wird, verlässt irgendwann wieder gesund das Haus. Wie gehen Sie mit den psychischen Belastungen um?
Wir haben gelernt, dass der Tod zum Leben gehört. Er hat für uns an Schrecken verloren. Natürlich erleben wir viel Leid und Trauer bei unseren Patienten. Die schwierige Situation verstärkt manchmal bereits bestehende soziale Probleme: Einsamkeit, Armut, Zwietracht. Und trotzdem geben uns die Menschen viel Dankbarkeit, Vertrauen und Lebensfreude zurück. Sie lehren uns, nichts aufzuschieben, im Hier und Jetzt zu leben und sich über kleine Dinge zu freuen.
Wie erleben Sie die Menschen in ihrer letzten Lebensphase?
Oft begegnen uns Trauer, Verzweiflung, Angst und Wut. Die Emotionen wechseln häufig, das macht die Situation schwierig. Die Patienten und ihre Angehörigen werden sehr dünnhäutig. Außerdem stehen sie unter einem gewissen Zeitdruck, verschiedene Dinge sollen noch geklärt werden. Wir erleben aber auch viel Ruhe, Offenheit, Klarheit, Annahme, Dankbarkeit und Zufriedenheit, liebevolle Begegnungen und eine besondere Spiritualität.
Worauf sollten Angehörige beim Umgang mit Sterbenden achten?
Angehörige sollten auf die Bedürfnisse der Sterbenden eingehen. Diese sind natürlich sehr individuell. Häufig gibt es den Wunsch nach Ruhe. Fragen helfen, die Bedürfnisse herauszufinden: Was willst du? Was willst du nicht? Nicht immer decken sich die Wünsche der Kranken mit den eigenen Vorstellungen vom letzten Lebensabschnitt. Dann sollte man den Sterbenden nicht zu etwas überreden, sondern seinen Weg akzeptieren. Am besten ist es, mit dem Kranken offen über alle Themen zu reden, auch wenn es traurig wird. Ganz wichtig: Angehörige sollten sich Auszeiten gönnen und Dinge tun, die ihnen Freude bereiten.