Das Zuhause wird in Deutschland zur sozialen Frage: Mieten, Wohnungen, Grund und Boden werden teurer – nach neuen Studien auch über die Schmerzgrenze hinaus.
Die Faustregel ist bekannt: Die Miete sollte in der Regel nicht mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens ausmachen, sagen Sozialwissenschaftler oder Experten aus der Immobilienbranche. Wer mehr zahlt, hat logischerweise weniger für andere wichtige Dinge des Lebens zur Verfügung, zum Beispiel für Rentenvorsorge, für Versicherungen, für den Urlaub. Mehrere Studien kommen nun zu dem Schluss, dass immer weniger Mieter diese Regel in Deutschland einhalten können. Das Immobilienportal Immobilienscout24 fand bereits im vergangenen Jahr heraus, dass dies nur noch für ein Drittel der Städte und Kreise gilt. In 223 von 331 untersuchten deutschen Städten und Landkreisen sind Suchende bereit, mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete auszugeben.
Eine Studie der Uni Potsdam und der Hans-Böckler-Stiftung ergab nun, dass mittlerweile jeder vierte Haushalt jetzt schon bis zu 40 Prozent des Nettoeinkommens als Miete zahlen muss. Dies betrifft vor allem ärmere Haushalte, die teils bis zu 46 Prozent für Wohnraum zahlen, während reichere Haushalte nur 20 Prozent zahlen müssen. Besonders betroffen: die deutschen Ballungszentren Berlin, München, Hamburg und Köln. Mittlerweile aber greife das Problem von hoher Nachfrage bei gleichzeitig niedrigem Wohnungsangebot auch auf mittelgroße Städte über.
Werkswohnungen werden attraktiv
Ein Grund dafür bleibt nach wie vor die zu geringe Anzahl an Wohnungen. Die Zahl der Baugenehmigungen in Deutschland ist im ersten Halbjahr gestiegen. Die Behörden bewilligten den Neu- oder Umbau von 189.781 Wohnungen. Das waren 7,7 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Ein besonders kräftiges Plus von 37,5 Prozent gab es im Neubau von Zweifamilienhäusern. Die aus Sicht der Bauindustrie für die breite Bevölkerung besonders wichtigen Neubaugenehmigungen von Mehrfamilienhäusern stiegen um 1,9 Prozent. Dennoch bedeuten genehmigte Wohnungen nicht gleich neue Wohnungen – viele werden zunächst gar nicht gebaut, weil die Nachfrage nach Handwerkern gleichbleibend hoch und deren Kapazitäten niedrig sind.
Auch die steigenden Bodenpreise in Deutschland verteuern den Grunderwerb. 2019 kostete ein Quadratmeter Bauland durchschnittlich 189,51 Euro und damit so viel wie noch nie zuvor. Dadurch wird Wohneigentum zu einem neuen Faktor der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich – und zu einem Standortfaktor für Unternehmen. Im Februar bereits meldete der Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft, dass der Bestand von Werkswohnungen in Deutschland mittlerweile wieder auf 100.000 gestiegen sei. In den 80er-Jahren lag er noch bei 450.000. Deutsche Bahn, Automobilhersteller wie Volkswagen, BASF oder Bosch nutzen das Argument eigener, bezahlbarer Wohnungen, um Fachkräfte anzuwerben.
Attraktiv ist dies wieder seit 2020, denn seither gilt: Wenn Arbeitnehmer verbilligt eine Wohnung von ihrem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt bekommen, müssen auf diesen Vorteil keine Steuern mehr bezahlt werden.
Im aktuellen Wahlkampf spielt der Wohnraum in Deutschland aber kaum eine öffentlichkeitswirksame Rolle, obwohl fast jede Partei sich in ihrem Programm dazu äußert. Ein Problem für den Standort Deutschland bleibt es dennoch.