Mit dem Grand Prix von Belgien am Sonntag startet die Formel 1 in ihre zweite Saisonhälfte. FORUM blickt nicht nur voraus, sondern auch zurück auf eine Halbzeitbilanz voller interessanter Teams und teils verrückten Statistiken und Zahlenspielen.
Drei rennfreie Wochenenden seit dem elften Saisonrennen in Ungarn (1. August), 25 freie Tage für Piloten und ihre Teams bis zum Antrittsbeginn zur Pressekonferenz, dazwischen zwei Wochen Stillstand in den heiligen, eiligen Hallen, in denen sich kein Rad drehen durfte. 14 Tage waren die Fabriken der zehn Teams zugesperrt, sie befanden sich in einem sogenannten Shutdown. Das heißt: Kein Mechaniker durfte schrauben, kein Ingenieur berechnen und kein Fahrer in den Simulator steigen. Diese Urlaubszeit soll der reinen Erholung dienen, alle „Zirkusangestellten" sollten ihre Akkus aufladen und Kraft tanken für die verbleibenden zwölf Rennen in der zweiten Saisonhälfte. Und diese startet gleich mit einem „Triple Header". Das heißt: Der Corona-D-Zug düst mit zunächst drei „Schnellschüssen" an drei aufeinanderfolgenden Wochenenden in Richtung Ende Europa.
Den Auftakt dieser F1-Reise macht der GP Belgien (29. August, um 15 Uhr auf Sky). Auf dieser Natur-Achterbahn sind die Piloten dem Himmel so nah wie auf keiner anderen Rennstrecke. Von der berühmt-berüchtigten Kurve „Eau Rouge" (Rotes Wasser), der Mutter aller F1-Kurven, geht’s hoch hinaus zur „Eigernordwand", zum Himmelstor. Und alle lieben sie, diese „Mutti"-Mutkurve. Eingebettet ist „Mutti" in einer Nervenkitzel-pur-Strecke, die den Piloten auf einer der aufregendsten Rennpisten alles abverlangt. Auf dieser 7,004 Kilometer langen Berg- und Talbahn mit ihren zehn Links- und neun Rechtskurven, ihren Spitzkehren und langen Geraden, was einer Distanz von 308,052 Kilometer (44 Runden) entspricht, müssen die Fahrer ihren Mann stehen. „Diese Rennstrecke trennt Männer von Knaben", urteilte schon Ende der 60er-Jahre Neuseelands Weltmeister Dennis Hulme. Viermal war Lewis Hamilton auf dieser letzten freien Wildbahn Sieger (2010 mit McLaren, 2015, 2017, 2020 mit Mercedes), Sebastian Vettel gewann dreimal (2011, 2013 mit Red Bull, 2018 mit Ferari). 2019 feierte Vettels Teamkollege Charles Leclerc seinen ersten F1-Premieresieg auf diesem Traditionskurs. Noch ohne Sieg nach seinen sechs Rennen in den Ardennen ist Bullen-Pilot Max Verstappen.
Nur eine Woche nach dem Belgien-GP ist der „stramme Max" der Nationalheld bei seinem ersten „richtigen" Heim-Grand Prix im holländischen Zandvoort (5. September, 15 Uhr auf Sky). Nach 36 Jahren kehrt der F1-Zirkus auf den Dünenkurs zurück. Der Hype um den Red Bull-Superstar und WM-Titelaspiranten kennt seit Monaten keine Grenzen. Der Herausforderer von Hamilton wird für ein Oranje-Meer sorgen, die Oranjes werden wie eine Mauer hinter und vor ihrem Helden stehen. 75.000 Zuschauer pro Tag dürfen an der Dünenstrecke ihrem Lokalmatador zujubeln. Die Verstappen-Festspiele können beginnen. Orga-Chef und Ex-F1-Pilot Jan Lammers hofft auf gastfreundliche und friedliche Oranje-Fans. Zuletzt hatte es wüste Beschimpfungen gegen Verstappen-Rivalen Hamilton gegeben. Die Fans sollen dem Weltmeister mit Respekt begegnen. Der GP der Niederlande hätte schon 2020 ausgefahren werden sollen, war aber der Corona-Pandemie geschuldet. 1952 wurde erstmals das Zandvoort-Rennen in den F1-Kalender aufgenommen. 30 Rennen mit Unterbrechung (1954, 1956, 1957, 1972) wurden bisher ausgefahren. Rekordsieger ist der Schotte Jim Clark mit vier Lotus-Triumphen, gefolgt von Niki Lauda mit drei Siegen und letzter Belgien-Gewinner (1985/McLaren).
Das letzte Rennen dieses „Triple Headers" und gleichzeitig letzter Saison-Lauf auf europäischem Boden wird in Monza ausgefahren (12. September, 15 Uhr auf RTL und Sky). Fünfmal hieß seit 2012 der Sieger in der Motorsport-„Kathedrale" Lewis Hamilton, zuletzt 2018. Unvergessen in dem ehrwürdigen Park der letztjährige Triumph des Außenseiters Pierre Gasly im Alpha Tauri. Es war der erste Sieg des damals 25-jährigen Franzosen in seinem 60. Grand Prix.
37 Punkte in Ungarn für Alpine
Womit wir bei unserem Rückblick bei seinem Landsmann Esteban Ocon wären. Der 24-Jährige war beim letzten WM-Lauf in Ungarn der Überraschungssieger. Allerdings hatte der Alpine-Renault-Pilot bei seinem Sensationstriumph und ersten GP-Sieg viele Helfer benötigt. Den besten und schnellsten Helferjob verrichtete Valterri Bottas. Nach seinem ausgelösten Start-Crash räumte der Mercedes-Pilot beim Auto-Bowling gleich zwei Bullen-Boliden ab. Das Rennen war auf den Kopf gestellt. Edelhelfer aber war Ocons-Teamkollege Fernando Alonso, der kurz vor Rennende alle Attacken des heranstürmenden Hamilton zwölf Runden lang abblockte und so dem Franzosen nach seinen fünf Nullrunden seinen brillanten, makellosen F1-Premierensieg rettete – auch unter höchstem Druck von Vettel im Schlepptau. Der Spanier fährt in seiner 18. F1-Saison, war bei 322 Grand Prix am Start und siegte 32-mal. Mit 40 Jahren ist zweitälteste Pilot (Kimi Räikkönen, 41) nach eigenen Angaben besser unterwegs als mit 23 und 24 Jahren. In dieser Zeit hatte der heißblütige Asturier aus Oviedo 2005 und 2006 seine beiden WM-Titel mit Renault gewonnen. Aus Renault wurde 2021 Alpine, aus Gelb ein strahlendes Blau. Es war jetzt der erste Sieg unter dem Namen Alpine. Und zum ersten Mal seit dem GP Japan 2007 hat ein Teamkollege von Alonso ein Rennen gewonnen – damals war es ein gewisser Lewis Hamilton in seinem F1-Debütjahr. Nach Anfangsschwierigkeiten ruckelte sich der Werksrennstall immer mehr ein. Mit Platz eins von Ocon und Rang vier von Alonso hat Alpine in Ungarn 37 Punkte eingesammelt, nur drei Zähler weniger als in den zehn Saisonrennen zuvor. „Wir sind uns bewusst, dass wir nicht gewonnen haben, weil wir alle anderen und die schnelleren Autos um uns herum geschlagen haben, sondern weil wir auch ein bisschen Glück mit den Umständen hatten", gibt Alpine-Direktor Marcin Budkowski. Dies mache den Sieg jedoch nicht weniger wertvoll, räumt der Pole ein. „Wir haben bestenfalls ein Auto, das bei den Rennen für den siebten Platz taugt, aber wir werden unsere Chancen nutzen, wenn sie auf der Straße liegen", analysierte Altstar Alonso seinen Dienstwagen. In der Konstrukteurswertung steht das Team mit 77 WM-Punkten auf Platz fünf – hinter Mercedes (303), Red Bull-Honda (291), Ferrari (163) und McLaren (163).
Esteban Ocon geht als 111. Sieger der Formel 1 in die GP-Geschichte ein. 38 Jahre nach Alain Prost (Österreich 1983) ist Ocon wieder der erste Franzose, der mit einem französischen Motor für einen französischen Rennstall gewann. Zum ersten Mal in seiner Karriere sammelte er auch Führungsrunden – und dann gleich 65 von 70 Umläufen. Im Niemandsland der staubigen magyarischen Puszta haben bei 36 Ungarn-Rennen fünf Piloten ihren F1-Premierensieg eingefahren: Hill (1993), Alonso (2003), Button (2006), Kovalainen (2008) und Ocon (2021).
Wie ein Phönix aus der Asche ist der Williams-Rennstall in der Dürre der Puszta-Steppe aufgetaucht. Das mit 756 Grand Prix drittälteste Team nach Ferrari und McLaren blieb 37 Rennen punktlos. Dann fuhren Nicholas Latifi und George Russell auf die Plätze sieben (6 Punkte) und acht (4 Punkte) und bescherten dem Team mit zehn Punkten aus dem Nichts Rang acht in der Marken-WM vor Alfa Romeo (3) und Haas (0). Damit hat das Team aus Grove mehr Punkte gesammelt als in den letzten drei Jahren zusammen (2018:7, 2019:1, 2020:0). „Das Ungarn-Ergebnis fühlt sich an wie ein Sieg. Punkte für Williams sind die größere Errungenschaft", analysierte Russell im msa-Interview. Jetzt wisse er, dass wir alles perfekt hinbekommen müssen, und selbst dann sind Punkte ein bisschen außer Reichweite. Für Russel gab es jetzt in seinem 48. Rennen für Williams endlich die ersten WM-Zähler. Der Brite hatte bisher nur in einem Mercedes gepunktet (Bahrain 2020 als Neunter/2 Punkte). Für den Kanadier Latifi war es bei seinen 28 Starts das erste Top-Ten-Resultat überhaupt. Weitere Punkte in Reichweite sieht der 23jährige Russell „vielleicht in Zandvoort, weil es eine neue Strecke ist. Oder auch vielleicht in Monza. Zu unserer Überraschung waren wir dort die letzten zwei Jahre schnell, obwohl wir ein ineffizientes Auto hatten. Dieses Jahr ist es ein effizientes. Deshalb können wir in Monza gut aussehen", glaubt der Brite.
Beste Saison für Lando Norris
Ein weiterer junger Brite, der als Saisonaufsteiger auf sich aufmerksam gemacht hat, ist Lando Norris. Der 21-jährige McLaren-Pilot mit Mercedes-Motor fährt die beste seiner bisher drei F1-Saisons. Seinen erfahrenen Neuzugang Daniel Ricciardo (kam von Red Bull) mit 198 Rennen und sieben Siegen hat Norris (49 GP, viermal Dritter) locker im Griff. In den Quali-Duellen liegt er mit 8:3 vorne, ist in der Fahrer-WM sensationell Dritter (113 Punkte) hinter Hamilton (195) und Verstappen (185). Ricciardo belegt nach elf Rennen Rang neun (50). Der deutsche Teamchef Andreas Seidl ist von der Leistung seines jungen Fahrers „beeindruckt", wie er bei RTL bemerkte. Im Vergleich zum vergangenen Jahr habe Norris noch mal als Rennfahrer im Auto „nach vorne" entwickelt. Lando fahre „mit beeindruckender Entschlossenheit" und mache „so gut wie keine Fehler", schwärmte der Bayer aus Hinterschmiding.
Mehr Fehler als gedacht oder mehr Schatten als Licht gab es zur Saisonhälfte bei Sebastian Vettel und seinem Team Aston Martin. In den ersten vier Rennen brachte der Altmeister nix zustande. Fiasko, Debakel, Albtraum – für den Ex-Ferrari-Piloten setzte sich die Seuchensaison des Vorjahres fort. Es ging von der roten in die grüne „Gurke". Mit viel Tamtam wurde das Racing Point-Team unter dem neuen Namensgeber präsentiert, doch Aston Martin spielte im F1-Orchester der Großen keine bedeutende Rolle. Erst mit Platz fünf (10 Punkte) in Monte Carlo und Platz zwei (18 Punkte) in Baku/Aserbaidschan ist der Knoten geplatzt. Zuletzt in Ungarn fuhr Vettel ein brillantes Rennen, landete auf Rang zwei. Wegen zu wenig Benzin nach dem Rennen im Tank wurde Vettel disqualifiziert. Die Berufung seines Rennstalls blieb erfolglos. Vettel bleibt disqualifiziert, 18 Punkte sind futsch. Mit Platz zwei aus Ungarn hätten es 48 Zähler und Platz zehn in der WM für den Hessen sein können. Doch so steht sein Konto bei nur 30 Punkten und findet sich auf WM-Rang zwölf, sein grüner Rennstall auf Rang sieben (48 Punkte). „Ich glaube, wir hatten zu Beginn mehr erwartet. Dann habe ich wohl etwas Zeit gebraucht, und die Dinge liefen nicht so, wie wir wollten", fasst Vettel seine erste Saisonhälfte zusammen." Aber danach kamen wir immer besser in Fahrt. Hoffentlich auch in den verbleibenden zwölf Rennen der zweiten Saisonhälfte.