Ein nicht repräsentativer Blick auf den Wechsel im Bundestag: Das ein oder andere vertraut gewordene Gesicht aus Regierung und Opposition verlässt die politische Bühne, dafür kandidieren einige U40-Jährige.
Die Wahl eines neuen Bundestages bedeutet für Tausende Referenten, Bürokräfte, EDV-Spezialisten, Hilfskräfte, dass sie sich einen neuen Job suchen müssen. Unter den vielen gibt es einige, die man kennt. Manche wird man vermissen, andere hatte man vielleicht gar nicht mehr auf dem Schirm. Der nächste Bundestag wird anders aussehen. Zwar wird am Ende der Wähler entscheiden, doch bereits jetzt haben einige prominente Persönlichkeiten erklärt, dass sie nicht mehr antreten werden.
Natürlich am bekanntesten Angela Merkel. Seit 1990 sitzt sie im Bundestag, davon 16 Jahre als Kanzlerin. Ihr Ausstieg ist eine Zäsur. Zur Politik kam die promovierte Physikerin in der Umbruchzeit der DDR 1989/1990. Kanzler Helmut Kohl holte sie bald darauf ins Bundeskabinett – erst als Frauenministerin, dann als Umweltministerin bis zur Wahlniederlage der Union 1998. Nach dem Bruch mit Kohl in der CDU-Spendenaffäre rückte sie an die Parteispitze. 2005 zog Merkel ins Kanzleramt ein. In ihrer Amtszeit fielen weitreichende Entscheidungen wie der Atomausstieg, die Aussetzung der Wehrpflicht und der Kohleausstieg. Vor allem aber wurden ihre Kanzlerinnenjahre von Krisen geprägt. Merkel steuerte das Land durch Weltfinanz- und Eurokrise, mit ihrer Willkommenspolitik in der Flüchtlingskrise 2015 polarisierte sie. In der Corona-Krise zeigte sie Entscheidungsschwächen. Und ganz zum Schluss muss sie sich auch noch der Afghanistan-Krise stellen. Was sie in ihrem Ruhestand macht, lässt die offen: „Ich werde keine Langweile haben."
Merkels Ausstieg ist eine Zäsur
Martin Schulz, der Merkel einmal besiegen wollte, hielt seine Abschiedsrede im Bundestag bereits im Juni 2021. Er werde sich weiter einsetzen „für eine klare Haltung gegen Rechts, für eine gerechte Gesellschaft, für Vielfalt, für Respekt und Toleranz und vor allen Dingen für ein starkes, ein friedliches, soziales und demokratisches Europa". Seit 1974 SPD-Mitglied, hatte sich Schulz, der aus Würselen an der deutsch-niederländischen Grenze stammt, auf Europa konzentriert. Von 2012 bis 2017 war er der Präsident des Europäischen Parlaments. Als ihn die SPD nach Berlin holte, wählten ihn auf einem Parteitag 100 Prozent der Delegierten zum Kanzlerkandidaten. Er scheiterte krachend, die SPD fuhr ihr schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsgeschichte ein. Nach einem knappen Jahr als Bundesparteichef kündigte Schulz seinen Rücktritt als Parteichef an. Heute ist der 65-Jährige als Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung versorgt.
Er hat viele Schlachten geschlagen. Als Verteidigungsminister beim Einsatz für den Bau der Aufklärungsdrohne, als Innenminister mit der Forderung, Sicherheitsbehörden sollten verschlüsselte Daten lesen können, mit immer neuen Sicherheitsgesetzen. Doch 2009 war er einer der ersten, der strengere Regeln für das Verhalten im Internet forderten. Thomas de Maizière, der 1990 den Einigungsvertag mit der DDR verhandelte, galt immer als korrekt, aber auch als harter Hund. 2005 holte ihn Angela Merkel als Chef ins Kanzleramt, danach war er zwei Mal Innenminister. „Ich bin jetzt 67", sagt er, „und war lange genug dabei, da sollten Ältere den Jüngeren Platz machen, gerade in so einer Krise." De Maizière will sich weiter in verschiedenen Funktionen engagieren, aber auch mehr Zeit zum Reisen und für die Familie haben; er und seine Frau sind kürzlich zum ersten Mal Großeltern geworden.
Die unauffällige Rechtsanwältin Christine Lambrecht gewann gehörig an Profil, als ihr nach dem Amt als Bundesjustizministerin nach Rücktritt von Franziska Giffey auch das Familienressort übernahm und sich mit der Impfpolitik beschäftigen musste. Sie stammt aus Südhessen, war 1998 zum ersten Mal für den Wahlkreis Bergstraße als Abgeordnete in den Bundestag gewählt worden. Ihren Entschluss, nicht mehr zu kandidieren, begründete Lambrecht so: „22 Jahre Bundestag bedeuten 22 Jahre zweiter Wohnsitz, 22 Jahre aus dem Koffer leben. Mit 55 bin ich in einem Alter, wo man noch was Neues beginnen kann."
Für den deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller ist das Ende der politischen Laufbahn in Berlin zugleich ein Anfang. Im Juli gewann der 65-Jährige die Wahl zum neuen Chef der UN-Organisation Unido, die sich um die industrielle Entwicklung ärmerer Staaten kümmert und dabei Armutsbekämpfung und Nachhaltigkeit im Blick hat. Müller bleibt also bei seinem zentralen Thema der Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt, mit dem er acht Jahre lang das Christliche in der Union bekräftigte und – baumlang gewachsen – auch in fernen Ländern zur Marke wurde. Er selbst fasst es so: „Unser Ziel ist eine gerechte Globalisierung, eine nachhaltige industrielle Entwicklung sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen und Zukunftsperspektiven in den Entwicklungsländern." Müller gehörte dem Bundestag seit 1994 an.
Die FFF gehen nächste Schritte
Mit Fabio de Masi verliert die Linke- Fraktion einen ausgewiesenen Kenner in Sachen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung. Er hat sich bis an die Belastungsgrenze in die Themen Cum-Ex- und Wirecard-Skandal oder Vermögensabgabe eingearbeitet. Das gibt er auch als Grund an, weswegen er nach vier Jahren im Bundestag aufhört. „Insbesondere mein Sohn musste daher zu häufig zurückstehen." Davor war der 41-Jährige seit 2014 Abgeordneter im Europäischen Parlament, wo er sich etwa im Panama-Papers-Untersuchungsausschuss zu Geldwäsche einsetzte. Doch der Hamburger Linken-Bundestagsabgeordnete scheidet auch im Unfrieden mit seiner Partei: Sein Abschiedsbrief ist eine Anklage gegen die „Identitären" und die „Selbstgerechten": „Identität ist wichtig im Leben. Sie darf aber nicht dazu führen, dass nur noch Unterschiede statt Gemeinsamkeiten zwischen Menschen betont werden und sich nur noch „woke" Akademiker in Innenstädten angesprochen fühlen."
Nach einigen internen Querelen hat es die Berliner SPD noch geschafft: Der Regierende Bürgermeister steht auf einem sicheren Listenplatz 1 für den Bundestag. Kevin Kühnert ist auf Platz drei, und außerdem Direktkandidat im Bezirk-Tempelhof-Schöneberg. Die Klimabewegung Fridays for Future (FFF) geht den nächsten Schritt, um sich in der bundesdeutschen Politik zu etablieren: Die Aktivisten Jakob Blasel (19) und Urs Liebau (25) wollen für einen Sitz im Deutschen Bundestag kandidieren – beide für die Grünen. Ex-Bundessprecher Blasel strebt dabei einen Platz auf der Landesliste des schleswig-holsteinischen Landesverbands an. Liebaus Kandidatur ist dagegen schon gesichert. Er tritt auf Listenplatz zwei der Grünen in Sachsen-Anhalt an. Wenn der amtierende Juso-Vorsitzende antritt, darf natürlich der Chef der Jungen Union nicht fehlen. Tilman Kuban (33) kündigte bereits im Mai an, kandidieren zu wollen. Als Nachfolger von Maria Flachsbarth, die nicht mehr antritt, will er den Wahlkreis Hannover-Land II für die CDU erobern. Kubans Kandidatur gilt allerdings als sicher. Der frühere Verdi-Chef Frank Bsirske will für die Grünen in den Bundestag. Ralf Stegner, markanter SPD-Streiter, will über die schleswig-holsteinische Landesliste ins Parlament.