Eine Scheibe allein können sich die Kunden von „Grutto"-Paketen von Rind, Schwein, Fisch oder Geflügel nicht abschneiden oder bestellen. Per Crowdbutching wird das ganze Tier online verkauft. Erst dann wird geschlachtet und das Fleisch in unterschiedlich dimensionierten Paketen verschickt.
Kuh 9425 aus Gunzenhausen ist auf dem Weg nach Berlin. Genauer gesagt befindet sich das „Kuh-Paket Mini" im Übernacht-Versand und trifft am nächsten Morgen bei den mit Tiefkühlung, Grill und Terrasse ausgestatteten Freunden ein. Steaks, Grillspieß-Würfel, Würstchen, Hack und Hamburger-Patties pausieren anschließend im Tiefkühlfach, bis sich die Freundesfamilie, Fotograf und Autorin nach diversen Urlauben zum Grillabend vereinen können. Wir sind so Teil des „Crowdbutching" von „Grutto", vormals „Kauf ne Kuh". Das Unternehmen hat sich die nachhaltige und ressourcenschonende Tierhaltung und den Online-Direktverkauf von Fleisch auf die Fahnen geschrieben.
Es ist ein bisschen wie früher, als sich Familien beim nahen Bauern ein halbes Schwein sicherten, nach der Schlachtung Fleisch und Würste für die Tiefkühltruhe bekamen und alles nach und nach verbrauchten. Direkt, verschwendungsfrei und bezahlbar, im Wissen darum, dass ein Tier nicht nur aus Filet besteht. Die Idee hinter „Grutto" ist ähnlich: Der Weg von Kuh 9425 vom Hof der Familie Weger in Mittelfranken ist transparent nachvollziehbar. Das ganze Tier wird, je nach bestellter Paketgröße, an 30 bis 50 Kunden verkauft. Dann erst wird es auf einem nahen, nach Bio-Standards arbeitenden Schlachthof geschlachtet. „From Nose to Tail", von der Schnauze bis zum Schwanz, werden alle Stücke genutzt. Was nicht als Grill-, Brat-, Schmor- oder Suppenfleisch verzehrt wird, wird anderweitig verarbeitet: die Innereien zu Tierfutter, die Knochen zur Leim- und die Haut zur Lederherstellung. „Unsere" Kuh wurde nach „Grutto"-Standards artgerecht auf der Weide sowie im Laufstall mit Stroh und ohne präventive Antibiotikagaben gehalten sowie mit gentechnikfreiem und überwiegend selbst erzeugten Futter ernährt. So weit, schon mal so gut.
Die Tiere werden artgerecht gehalten
Es mutet zunächst etwas bizarr an, wie kleinteilig Mitarbeiterin Laura per Newsletter mitteilt, ob und wo sich das Tier auf dem Weg zur Tötung befinde oder dass das Fleisch noch drei Wochen reifen müsse. Doch wer Fleisch essen will, muss sich über den Tod eines Tieres bewusst sein. Also ist es besser, den Prozess in klare Worte zu fassen. Die Freundin hat nach reibungsloser Anlieferung schließlich den gut gepolsterten und mit Trockeneis-Blöcken gekühlten Karton ausgepackt. 3,3 Kilo Fleisch für 64,95 Euro befinden sich darin und sind für 26 Portionen gedacht. Das ist schon eine Dimension für Fleisch-Wenigesser. Damit könnten wir einen etwas größeren Grillabend ausrichten. Deshalb verzichten wir nur zu fünft auf das Hack und die Hamburger-Pattys. Die Freundin mariniert die Steaks und die Grillspieße mit Paprikastücken und Zwiebeln noch mit Olivenöl, Rauchpaprika und Kräutern.
Die Merguez- und Chipolata-Würstchen benötigen nach dem Auftauen keine weitere Vorbereitung. Der Freund hat für einen grünen Blatt- sowie einen Tomatensalat mit frischem Koriander, selbstgemachte Kräuterbutter und marinierte Chilis gesorgt.
Die Tochter des Hauses geht mit langer Zange bewaffnet am Gasgrill an den Start. Steak und Entrecôte werden so lange an unterschiedliche Stellen mit unterschiedlicher Hitze geschoben, bis sie Medium rare und Medium sind. Rasch drapieren wir die aufgeschnittenen Stücke fürs Foto auf ein Brett während Spieße und Würstchen ihrem Finish entgegenrösten. Die Grillparty beginnt nun auch auf dem Tisch; wir probieren. Die dünneren Steaks sind uns gut gelungen. Sie sind schön zart. Das Entrecôte bleibt deutlich bissiger. Wir wissen nicht, ob es an unserer nicht ganz so ausufernden Fleisch-Grillerfahrung liegt. Hätten wir es lieber noch länger nachziehen lassen sollen? Oder war Kuh 9425 einfach besonders gut durchtrainiert? In jedem Fall aber bringen beide Cuts einen schönen, puren Rindfleisch-Geschmack mit, der uns allen gefällt. Naturgemäß ist das bei den Grillspießen mit ihren starken Begleitakkorden von Zwiebel und Paprika nicht ganz so ausgeprägt. Schmackhaft sind sie dennoch.
Der Geschmack findet Gefallen
Bei den Würstchen dagegen geht es etwas durcheinander zu. Wir haben vergessen, sie zu sortieren. Größe und Farbgebung sind ähnlich. Die Würste sind schmal und nicht zu lang. So fällt tatsächlich die Merguez in meiner Wahrnehmung etwas hinten herunter. Sie ist nicht so charakteristisch pikant abgeschmeckt wie ich es erwartet hätte. Die Chipolata ist ähnlich würzig, der Unterschied aber nicht recht herauszuschmecken. Außerdem sind beide Sorten etwas trocken. Traditionell besteht die aus dem Maghreb stammende Merguez aus gemischtem Rind- und Lammfleisch. Vielleicht hätte ihr eine Mischung aus beiden Fleischsorten sowie ein noch beherzterer Griff ins Glas mit dem Cayennepfeffer und eine zusätzliche Handvoll Kreuzkümmel und Knoblauch gutgetan. Wir haben dennoch unseren Spaß. Und was übrig bleibt, wird aufgeteilt: Der Freund schneidet den Rest der Steaks in hauchdünne Scheiben. Sie dürfen sich am kommenden Tag mit dem Koriander und Chili in einen thailändischen Salat mischen. Bei mir kommen die Würstchen aufgeschnitten anderntags mit roten Paprika und Frühlingszwiebeln in ein schnelles Pseudo-Ratatouille. Weggeworfen wird nichts.
Das gewolfte Fleisch bleibt im Tiefkühler – Burger, Bolo oder Bouletten gibt’s ein anderes
Mal. Hilfreich für die Vorratshaltung: Die diversen Pakete, die über www.grutto.com bestellt werden können, sind in Zentimetern auf einer Schemazeichnung und einem Foto von einem TK-Fach angegeben. „Für dieses Paket brauchst du nur ein halbes Gefrierfach", heißt es bei unserem Mini-Kuh-Paket. Wer hat schon ständig mit 26 Portionen zu tun und kann deren Dimensionen kalkulieren? Zumal bei einem Maxi-Paket gleich 6,7 Kilo und 54 Portionen Fleisch geliefert werden und die Grillparty vielleicht nicht sofort am nächsten Tag stattfinden soll. Es gibt außerdem Kombi-Pakete mit Rind und Huhn. Im Schweinepaket wiederum sind nicht nur Bratwürste sondern auch Leberwurst und Lyoner enthalten. In der Abteilung Rind ist sogar Fleisch vom Wagyu zu haben.
Aktueller Stand wird stets angezeigt
Wir haben ein konventionelles Paket erhalten. Das bedeutet keinesfalls „schlechteres" Fleisch. Vielleicht hält ein Bauer nur wenige Tiere im Nebenerwerb und scheut die nicht geringen Kosten für die regelmäßige Zertifizierung. „Grutto" gibt die eigenen Haltungs- und Ernährungskriterien auf der Website jedenfalls transparent vor. Für unser Mini-Paket ist eine Portion mit 2,50 Euro veranschlagt. „Mit Bio" würde ein Mini-Paket 79,95 Euro insgesamt oder 3,07 Euro pro Portion kosten. Wer bei nicht ganz so gut gefülltem Portemonnaie einen Umstieg auf vernünftig erzeugtes Fleisch erwägt, findet mit den konventionellen Paketen in jedem Fall gute Alternativen zu Supermarkt oder Discounter. Saisonal gibt es ebenfalls Reh und Lamm. Selbst ein Wildfisch-Paket mit frischem Kabeljau- und Sockeye-Lachsfilet sowie geräuchertem Sockeye-Filet in Scheiben ist erhältlich. Es wird auf der Produktseite immer der aktuell verkaufte Stand angezeigt: „Sehr begehrt! 74 Prozent von Fischnetz 4021 sind bereits verkauft." 19 Käufer haben in diesem Moment zugeschlagen, nur sechs Pakete für 99,95 Euro von der isländischen Fischerei Rif und Bolungarvík sind noch erhältlich. Danach startet der Verkauf von vorn.
Vielleicht ist das „Grutto"-Prinzip mit Paketen und Vorratshaltung nicht unbedingt für Singles mitten in der Großstadt so sehr attraktiv; Liefer-Affinität hin oder her. In vielen Bezirken gibt’s inzwischen wieder handwerklich und ethisch sauber arbeitende Fleischereien und Fischhändler. Ob „Bünger", „Kumpel & Keule", „Bachhuber", „Blutwurstritter Benser" oder der „Fish Klub" – dort gibt es alles, was des Mittendrin-Berliners Herz begehrt, einzeln, frisch und in sehr guter Qualität. Als Familienvorrat oder an Orten, in denen die letzte ordentliche Fleischerei dichtgemacht hat, kann „Grutto" seine Stärken sicher bestens ausspielen. „Zum Liefern ist das richtig gut", ist die Freundin überzeugt. „Es ist nicht teuer und bietet gesicherte Qualität." Ein Tiefkühlfach voller „Kuh", Schwein, Geflügel, Wild oder Fisch und das Wissen, eine vertretbare und wohlschmeckende Form des Tiere-Essens zu praktizieren, ist gewiss nicht das Schlechteste für alle Beteiligten.