Als ein Land, das von einem Genozid gezeichnet ist, steckt Ruanda in einer Teufelsspirale aus Lockdowns und Hungersnot. Dr. August H. Leugers-Scherzberg und Dr. Linda Balzer engagieren sich mit ihrem Verein zur Förderung der Erziehungs- und Friedensarbeit von APAX-Rwanda für die Menschen.
Man geht als Weißer in Butare über die Straße, und Kinder, die aus der Schule kommen, möchten einem die Hand schütteln. Sie lächeln einen an und schütteln die Hand. Man hat uns erklärt, was dieses Händeschütteln bedeutet. Die Kinder tun das, um zu sagen: Wir verstehen uns. Wir sind Brüder", erzählt August Leugers-Scherzberg, erster Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Erziehungs- und Friedensarbeit von APAX-Rwanda mit Sitz in Saarbrücken. Er und seine Frau Lucia Scherzberg arbeiten am Lehrstuhl für Katholische Theologie an der Universität des Saarlandes (UdS) und kamen im Sommer 2017 erstmals nach Ruanda. Katharina Peetz, eine Mitarbeiterin des Lehrstuhls, hatte ihre Habilitationsschrift über den Genozid in Ruanda 1994 und dessen Folgen für den Glauben und das Gottesbild der einfachen Menschen geschrieben und beide daraufhin nach Ruanda eingeladen. „Wir haben die Schönheit von Ruanda kennengelernt und vor allem die unmittelbare Herzlichkeit der Menschen. Die Menschen in Ruanda haben zum Teil ihr Leben riskiert, um anderen zu helfen. Die Menschen vor Ort sind dazu bereit, alles zu geben für den anderen", erzählt der Historiker.
Menschen vor Ort helfen auch
Im Jahre 1994 wurde die Tutsi-Minderheit in Ruanda von der Hutu-Mehrheit angegriffen. In Folge des Genozids starben circa eine Million Menschen. Auch nach dem Genozid blieb Ruanda weiter von Bürgerkriegen erschüttert, was den Frieden zwischen Überlebenden, Tätern und Traumatisierten vor Ort bis heute erschwert. Eine Heilung durch staatliche Politik konnte nicht erreicht werden, da sie den Genozid instrumentalisierte und Vorurteile zwischen Hutus und Tutsis bis heute nicht vollständig aufgearbeitet wurden. Auch die Tatsache, dass einige Hutus ihr Leben riskierten, um Tutsis zu schützen, ist vielen unbekannt. August Leugers-Scherzberg und Linda Balzer fördern einen Orden namens APAX (Association de la Paix du Christ-Roi Rwanda), der 2001 von der Ordensschwester Sr. Donata Uwimanimpaye in Ruanda gegründet wurde. Sr. Domina ist ebenfalls Teil des Ordens. Sie hat in Fribourg Psychologie studiert, einen akademischen Titel erworben und ihr Leben der Heilung der Wunden des Genozids in Ruanda verschrieben. Sie lebt vor Ort gemeinsam mit den Menschen und möchte die Herausbildung des Friedens untereinander fördern. „Was man braucht sind NGOs. Kleine Organisationen, wie den APAX-Orden. Sie schreiben uns beispielsweise, welche Projekte sie planen und wie viel Geld sie dafür brauchen. Und für unsere Verhältnisse sind das kleine Mengen", erklärt Leugers-Scherzberg. Ruanda befindet sich seit dem 21. Juni 2021 erneut im Lockdown. Für die Menschen vor Ort bedeutet dies, dass die Schulen geschlossen sind, und die Erwachsenen keine Möglichkeit haben für ihre Ernährung zu sorgen. „Im Unterschied zur Situation in Deutschland besteht die Gefahr, dass die Menschen in Ruanda im Lockdown verhungern, denn sie haben keine Erwerbsmöglichkeiten mehr. Das sind Tagelöhner und wenn sie nicht arbeiten, haben sie kein Geld und haben auch nichts zu essen", schildert der erste Vorsitzende und fährt fort: „Unser Anliegen ist es, hier direkt zu helfen. Denn wenn wir jetzt erst eine große Aktion starten und Regierungsstellen mobilisieren, wissen wir, wo das Geld am Ende landet. Und hier wissen wir ganz genau, wir können direkt auf die Bank nach Butare überweisen. Dann haben die Schwestern das Geld zur Verfügung und können damit sofort helfen". Der Verein fördert schon seit einigen Jahren die qualitative Aus- und Weiterbildung von Schwestern sowie verschiedene Projekte vor Ort. „Jetzt sind wir allerdings wirklich so weit, dass es an den elementarsten Dingen fehlt", gibt August Leugers-Scherzberg zu verstehen.
Neben dringend benötigten Materialien zum Schutz gegen die Pandemie, wie Masken, Corona-Tests und Medikamente, ist eines der elementarsten Probleme vor Ort zurzeit die Bereitstellung von Lebensmitteln für Kinder und Kranke. Der Genozid und die Pandemie haben viele Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen zurückgelassen. Psychisch kranke Menschen und Menschen mit Behinderung werden in Ruanda von der Gesellschaft ausgegrenzt. Auch um deren Kinder kümmert sich niemand. „Es ist dieses Gefühl innerhalb dieser Gesellschaft: Wer nicht hundertprozentig gesund ist, wird ausgegrenzt. Und auch darum kümmern sich die Schwestern vor Ort", erzählt der Historiker. Doch auch dies ist momentan nicht möglich, da die Schulen für eben diese Kinder aufgrund des Lockdowns geschlossen werden mussten.
Auch Linda Balzer, zweite Vorsitzende und Mitbegründerin des Vereins, setzt sich entschieden für die Friedensförderung in Ruanda ein. Als Leiterin der Lernwerkstatt „Religion Plural" an der UdS für angehende Lehrer leistet sie im Saarland einen Beitrag zur Friedensarbeit, so auch im bildungspolitischen Bereich. „Das Interesse an dieser Thematik war bei mir immer schon vorhanden, das heißt, eine gewisse Toleranzförderung umzusetzen und Friedensarbeit zu praktizieren. Eine entscheidende Rolle spielt die Ausdrucksweise, generell die Kommunikation der Menschen untereinander. In meinen Lehrveranstaltungen leite ich die Studierenden dazu an, sich situationsadäquat auszudrücken und auf bestimmte ‚Problemwörter‘, die diskriminierende Konnotationen beinhalten, zu achten. Auch die Alltagssprache ist durch Stereotypen gekennzeichnet", sagt sie. „Natürlich ist die Arbeit im Verein ein Ehrenamt, aber ich mache es mit Leidenschaft und für mich gehört es dazu. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, sich für diese Thematik einzusetzen und dementsprechend lebe ich genau diese Werte, die hier im Vordergrund stehen privat und beruflich im Rahmen meiner Lehrveranstaltungen." Vor allem die Inklusion der Menschen mit Behinderung in Ruanda liegt ihr am Herzen. „Das Problem ist, dass viele Menschen sich im Grunde nur wünschen, ‚normale‘ Menschen um sich zu haben. Und alles, was nicht ‚normal‘ erscheint, ist einem fremd. Das ist dieses typische Schwarz-Weiß-Denken. Aber was ist denn normal? Es gibt keine Definition für einen ‚normalen Menschen‘. Das Thema Inklusion stellt auf mehreren Ebenen einen Bildungsauftrag dar, dem wir nachgehen wollen und müssen. Jeder Mensch ist eine Bereicherung für sich, und man sollte jeden Menschen so anerkennen, wie er ist. Den meisten Menschen fehlt es, genau das zu sehen. Jeder Mensch, auch wenn er eine Behinderung hat, kann trotzdem für einen bestimmten Bereich – und vor allem menschlich gesehen – eine Bereicherung sein."
Auch Inklusion ist ein Thema
Die Folgen eines Genozids von außen zu erfassen, scheint beinahe unmöglich. Denn nur vor Ort kann man ein Gespür für das Leid und die Gefühle der Betroffenen bekommen. „Hier können die APAX-Schwestern, da sie wirklich mit den Leuten vor Ort arbeiten, sehr viel mehr an Verständnis füreinander und auch an Vergebungsbereitschaft untereinander schaffen", erklärt August Leugers-Scherzberg. Auch in Deutschland hat die Demokratie im Zuge der Pandemie stark gelitten, was die Frage aufwirft, wie sie Länder getroffen haben mag, in denen kaum demokratische Strukturen herrschen. Aus diesem Grund ist die Friedensförderung in Ruanda gerade jetzt so wichtig. „Es geht aber auch um Frieden im umfassenderen Sinne. Der Orden bemüht sich um die Integration ausgegrenzter Menschen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für eine Pazifizierung der Gesellschaft", erklärt der Vorsitzende des Vereins. „Eine friedliche Gesellschaft kann die Unterschiedlichkeit auch im Hinblick auf Gesundheit aushalten und produktiv einsetzen. Diverse Gruppen sind produktiver als nicht-diverse Gruppen. Auch dazu gibt es wissenschaftliche Untersuchungen und das sind auch die Erfahrungen, die die Schwestern vor Ort machen." Nur wenige Menschen vermögen sich vorzustellen, wie hart eine Pandemie ein Land trifft, das noch immer an den Folgen eines Genozids leidet, der kaum 30 Jahre zurückliegt. Helfen kann man auf viele Arten und Weisen. Dem Leid der Menschen Gehör zu schenken, ist möglicherweise ein erster Schritt.