Am 3. September 1971 wurde das „Viermächteabkommen über Berlin" beschlossen – und damit die faktische Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik. Zudem wurde die Basis für einen ungehinderten Transitverkehr gelegt sowie der Ausbau von Reise- und Besuchsrechten für die West-Berliner in die DDR festgeschrieben.
Der völkerrechtliche Status West-Berlins Anfang der 1970er-Jahre als besetztes Gebiet ist angesichts der späteren Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten immer mehr in Vergessenheit geraten. Zwar galt West-Berlin damals staatsrechtlich als Teil der Bundesrepublik, allerdings nicht in konstitutiver Hinsicht. Das Besatzungsrecht der vier alliierten Siegermächte blieb zudem dem bundesdeutschen Staatsrecht übergeordnet. Wenn Grundlegendes am West-Berliner Status verändert werden sollte, mussten die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges dafür vorab ihre Zustimmung erteilen. Dies schien Ende der 1960er-Jahre sogar möglich, als westliche Entspannungsinitiativen auf Beendigung des Kalten Krieges abzielten und die sozialliberale Bundesregierung mit Kanzler Willy Brandt unter dem Motto „Wandel durch Annäherung" eine neue Ostpolitik einleitete.
Doch ohne das Wohlwollen der Sowjetunion konnte sich nichts bewegen. So hatte die Bundesregierung zunächst bilaterale Verhandlungen mit dem Kreml aufgenommen, die im Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 mündeten. Egon Bahr, Brandts Chef-Unterhändler in Sachen Ostpolitik, erklärte: „Das von vielen europäischen Nachbarstaaten gefürchtete deutsch-russische Gespräch über ihre Köpfe hinweg war unvermeidbar, weil nur Moskau entscheidungsfähig und gesprächsbereit war." Die Ratifizierung des Moskauer Vertrages, der im Wesentlichen die Anerkennung der bestehenden europäischen Grenzen und einen Gewaltverzicht vorsah, machte die Bundesregierung allerdings klar und deutlich von Fortschritten und Zugeständnissen der Sowjetunion in ihrer West-Berlin-Politik abhängig. Denn, so Kanzler Willy Brandt: „Wenn wir Entspannung wollen, dann darf Berlin nicht ein Punkt des Kalten Krieges bleiben."
Durch dieses Junktim konnte die Bundesregierung Druck auf die Sowjetunion aufbauen. Zumal parallel dazu Verhandlungen der Alliierten – USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – über die drängende West-Berlin-Problematik liefen, die auf mehr Freizügigkeit und die Sicherung der politischen Lebensfähigkeit der Stadt abzielten. Zudem versprach die Bundesregierung der Sowjetunion für ein Entgegenkommen in der West-Berlin-Frage die Unterstützung bei Moskaus damaligem politischem Lieblingsprojekt: der Abhaltung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Diese nahm ihre Arbeit als KSZE Ende November 1972 in Helsinki auf.
Ohne Abkommen kein Moskauer Vertrag
„Das Berlin-Abkommen wurde zum Nadelöhr der ganzen Ostvertragspolitik", hieß es zum Viermächteabkommen im Deutschlandfunk. „Das Berlin-Abkommen", so der Bonner Politikwissenschaftler Prof. Christian Hacke, „war sozusagen die Spinne im Netz und gleichzeitig der dynamische Moment für die zukünftige Ostpolitik". Ohne die Unterzeichnung des Viermächteabkommens über Berlin, für das auch die Bezeichnung Berliner Viermächteabkommen gebräuchlich ist, hätte der Moskauer Vertrag nicht in Kraft treten können. Auch wären weder der Abschluss des sogenannten Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR sowie der Warschauer Vertrag mit Polen und der Prager Vertrag mit der Tschechoslowakei möglich geworden. Unterzeichnet wurde das Viermächteabkommen durch die Außenminister der vier Siegermächte im Gebäude des ehemaligen Alliierten Kontrollrats in West-Berlin am 3. September 1971.
Aus bundesdeutscher Sicht mussten bei den am 26. März 1970 aufgenommenen Alliierten-Verhandlungen über ein „Berlinabkommen" Lösungen für drei wesentliche Problemkomplexe gefunden werden. Die hatte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) als die „drei Z" bezeichnet. Zuordnung West-Berlins zur Bundesrepublik stand zuerst. Trotz der engen Bindungen West-Berlins zur Bundesrepublik sollte die Zugehörigkeit der Stadt zu Westdeutschland endgültig gesichert werden, am besten durch finale Klärung des rechtlichen Status. So sollten Zugriffe seitens der östlichen Machthaber künftig möglichst endgültig ausgeschlossen werden. Das zweite „Z" war ungehinderter Zugang nach West-Berlin von der Bundesrepublik aus. Dann war da noch der Zutritt von West-Berlinern nach Ost-Berlin.
Über eine Neudefinition der verfassungsrechtlichen Stellung West-Berlins zur Bundesrepublik konnte letztendlich in dem dreiteiligen Vertragswerk keine Einigkeit erzielt werden, das nicht einmal in deutscher Sprache, sondern lediglich in Russisch, Französisch und Englisch verfasst war. In den „Allgemeinen Bestimmungen", Teil 1 des Vertrags, wurde sogar die Verwendung des Namens Berlin, des eigentlichen Vertragsgegenstandes und Geltungsbereichs, vermieden und nur von „dem betreffenden Gebiet" gesprochen. Das sollte später zu unterschiedlichen Interpretationen führen, weil die West-Alliierten darunter Groß-Berlin verstanden wissen wollten, während die Sowjetunion nur das Gebiet der drei Westsektoren im Blick hatte.
Interpretationen des Gebietes schwankten
Immerhin konnte man sich darüber verständigen, dass die bestehende Situation „nicht einseitig verändert" werden durfte, was allerdings implizierte, dass West-Berlin auch künftig kein Bestandteil der Bundesrepublik sein konnte. „Die Berlin-Regelung war typisch für die neue Ostpolitik überhaupt", so die Bundeszentrale für politische Bildung: „Zugunsten einer pragmatischen Politik des Ausgleichs und der Verständigung verzichtete man auf die Vertretung von Rechtsstandpunkten, die im Augenblick ohnehin nicht zu realisieren waren, ohne sie allerdings preiszugeben."
Die praktischen Bestimmungen, die den zweiten Teil des Abkommens ausgemacht hatten, betrafen lediglich die drei Westsektoren Berlins. Im dritten Teil, den Schlussbestimmungen, wurden einzelne Punkte der beiden ersten Vertragswerkteile durch Anlagen erläutert. Auch im zweiten Teil des Viermächteabkommens gab es wieder sehr unterschiedliche Auslegungen der Bestimmungen bezüglich der Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der Bindungen zwischen den Westsektoren und der Bundesrepublik. Während die Sowjetunion darunter lediglich eine Verbesserung der verkehrstechnischen und postalischen Situation zusagen wollte, interpretierte man die Passage im Westen im Sinne einer Stärkung der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und juristischen Bindungen. Das wichtigste Zugeständnis seitens der Sowjetunion war die verbindliche Zusage, den Transitverkehr von Reisenden und Gütern zwischen den Westsektoren und der Bundesrepublik durch das DDR-Territorium künftig nicht mehr behindern, sondern sogar fördern zu wollen. Die zweite „Z"-Anforderung von Schütz wurde damit erfüllt.
Genauere Einzelheiten sollten durch zweiseitige Vereinbarungen zwischen den beiden deutschen Staaten getroffen werden, was zum Abschluss des sogenannten Transitabkommens vom 17. Dezember 1971 führen sollte. Dies war das erste deutsch-deutsche Vertragswerk auf Regierungsebene und wurde von den Staatssekretären Egon Bahr und Michael Kohl in der Bundeshauptstadt Bonn unterschrieben. Die bis dahin üblichen Schikanen und Durchsuchungen durch DDR-Grenzbeamte waren damit Geschichte geworden. Auch das dritte „Z", der Zutritt von West-Berlinern nach Ost-Berlin, war Gegenstand des Viermächteabkommens. Die Sowjetunion sprach Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren die Erlaubnis aus, Besuche in Ost-Berlin oder anderen Regionen der DDR künftig aus humanitären, familiären, kulturellen oder rein touristischen Gründen unternehmen zu können. Auch hier sollten die konkreten Regularien innerdeutsch ausgehandelt werden. Dies sollte zum Abkommen des Senats von West-Berlin mit der DDR vom 20. Dezember 1971 führen. West-Berliner durften sich fortan insgesamt 30 Tage pro Jahr im Ostteil der Stadt oder in der DDR aufhalten, ohne dafür einen Grund angeben zu müssen. Sogar zusätzliche Reisetage aufgrund dringender humanitärer oder familiärer Anlässe waren möglich.
Willy Brandt wollte Bundestag überzeugen
Willy Brandt verteidigte das Abkommen in einer Bundestagsrede gegen Angriffe aus den Reihen der von Rainer Barzel (CDU) angeführten Opposition: „Der erfolgreiche Abschluss der Viermächte-Abmachungen über Berlin hat gezeigt, dass Entspannung doch nicht nur eine Wunschvorstellung ist, sondern dass dieser Begriff mit konkretem Inhalt erfüllt werden kann." Letztlich war das am 3. Juni 1972 in Kraft getretene Viermächteabkommen gemeinsam mit dem Transitabkommen, dem Grundlagenvertrag und den am 3. Juni 1972 im Bundestag verabschiedeten Ostverträgen laut der Bundeszentrale für politische Bildung auch „der Preis für die westliche Anerkennung der DDR". Der ostdeutsche Staat wurde von den drei Westmächten diplomatisch anerkannt, was auch die Rolle Ost-Berlins als Hauptstadt des ostdeutschen Teilstaats mit einschloss. Infolge des Berlin-Abkommens entspannte sich die Lage um die drei Westsektoren. Alle Beteiligten gewöhnten sich an den Status quo. Ernsthafte politische Krisen sollten bis zur deutschen Einheit in und um die geteilte Stadt nicht mehr auftreten.