Die Vorfreude auf die neue Handball-Saison ist trotz der kurzen Pause für viele Spieler groß. Vor allem die Rückkehr der Zuschauer sorgt für Euphorie.
Die vergangene Marathon-Saison mit bis zu 60 Pflichtspielen allein auf Clubebene steckt den Profis noch immer in den Knochen. Vor allem denjenigen, die nach kräftezehrenden Monaten auch noch bei Olympia in Tokio um Medaillen kämpfen mussten. Der anschließende Urlaub war sehr kurz – zu kurz, um Körper und Geist wieder in einen gesunden Wettkampfmodus zu bekommen? In jedem Fall geht die neue Saison in der Handball-Bundesliga (HBL) mit einem Doppelspieltag sofort wieder in die Vollen. Viel Zeit zum Einspielen bleibt nicht, schon früh stehen Top-Duelle auf dem Plan.
Auf Titelverteidiger THW Kiel wartet drei Tage nach dem Auftaktspiel am 8. September gegen HBW Balingen-Weilstetten gleich der erste große Prüfstein: MT Melsungen ist sportlich sehr ambitioniert und mit zahlreichen Nationalspielern in den Reihen ein gefährlicher Gegner. Am selben Spieltag treffen die Rhein-Neckar Löwen auf den SC Magdeburg – Spannung ist auch da garantiert. Und das prickelnde Nord-Derby zwischen Kiel und dem ewigen Rivalen SG Flensburg-Handewitt gibt es schon eine Woche später. Doch nicht nur wegen des Spielplans fiebern die Fans der 55. HBL-Saison entgegen: Die Rückkehr der Zuschauer in die wegen Corona zuletzt arg verwaisten Hallen steigert ebenso die Vorfreude bei Anhängern und Profis gleichermaßen.
TITELKAMPF
Keine Frage: Kiel ist auch in dieser Saison der größte Favorit auf den Meistertitel. Der 22-malige Champion stand zwar zwei Wochen vor Saisonstart noch ohne Neuzugänge dar, konnte seinen exquisiten Kader aber zusammenhalten, was angesichts finanzieller Einbußen durch zwei Corona-Spielzeiten auch für den Branchenprimus keine Selbstverständlichkeit war. Top-Profis wie Niklas und Marcus Landin, Sander Sagosen, Hendrik Pekeler oder Domagoj Duvnjak stehen für spielerische Extraklasse und absolute Siegermentalität. Außerdem dürfte der lange verletzte Niko Bilyk für mehr Durchschlagskraft im Rückraum sorgen.
„Wir wollen natürlich unseren Titel verteidigen", sagte Kapitän Patrick Wiencek: „Wir bekommen ja eh von allen den Status des Titelfavoriten zugeschustert. Das nehmen wir auch gerne an." An der notwendigen Fitness soll die Titel-Mission nicht scheitern – dafür sorgte Trainer Filip Jicha mit einer knallharten Vorbereitung. „Filip ist schon ein Schleifer", verriet Wiencek. Hart gearbeitet wurde natürlich auch in Flensburg, denn die SG will nach der in letzter Sekunde verpassten Meisterschaft 2020/21 erneut angreifen. Doch die Vorbereitung lief schleppend an, beim Trainingsstart konnte Coach Maik Machulla gerade mal vier Profispieler begrüßen. Die Verletzten und Olympia-Teilnehmer stießen erst später dazu, Machulla richtete seinen Ärger an die HBL. „Es wäre kein Problem gewesen, zwei, drei Wochen später zu starten. Die Spieler hätten es verdient", sagte Machulla: „Wir kommen aus einer harten Saison und müssen schnell erfolgreich sein, ohne uns richtig vorbereiten zu können." Flensburg stellte mit zehn Spielern das größte Olympia-Kontingent aller Bundesligisten.
Mit Außenseiterchancen auf den Titel gehen die SG Magdeburg, die Füchse Berlin und die Rhein-Neckar Löwen ins Rennen. Zumindest ist es der Anspruch der Trios, in dieser Spielzeit den Rückstand auf die Top-Clubs aus dem hohen Norden deutlich zu verkleinern. „Wir wollen um die oberen Plätze kämpfen und vielleicht springt ja wieder ein Titel raus", sagte Magdeburgs neuer Torhüter Mike Jensen.
Die Füchse halten sich mit Kampfansagen zurück, nachdem diese Taktik in der Vorsaison nicht aufgegangen war. „Wir müssen jetzt erst einmal etwas leisten, und dann schauen wir, ob es passt", sagte Geschäftsführer Bob Hanning trotz der Star-Verpflichtung von Viran Morros (siehe Transfers) ungewohnt reserviert.
Die Löwen, bei denen sich Linksaußen Uwe Gensheimer nach seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft komplett auf die Club-Aufgaben konzentrieren kann, wollen sich zunächst als Team besser präsentieren als in der Vorsaison. „Wir müssen jetzt wieder alle in eine Richtung gehen", appellierte Mikael Appelgren. Der Torhüter fällt nach Operationen an Knie, Schulter und Finger vorerst weiter aus. Auf Abschiedstournee ist Andy Schmid, der fünfmalige MVP hört nach der Saison bei den Löwen auf und kehrt in seine Schweizer Heimat zurück. Bis dahin ist für ihn Vollgas und Genießen angesagt: „Die HBL war, ist und bleibt für mich das Nonplusultra!"
TRANSFERS
Der spektakulärste Coup gelang den Berlinern, in den Medien war oft von einem „Hammer-Transfer" zu lesen. Die Füchse angelten sich den europaweit begehrten Dänen Mathias Gidsel, der in Tokio nach 46 Treffern und 34 Assists zum wertvollsten Spieler des olympischen Handball-Turniers gewählt wurde. Der einzige Haken daran: Gidsel kommt erst in der Saison 2022/23, bis dahin erfüllt der Rückraumspieler noch seinen Vertrag bei GOG Handbold. Die Vorfreude auf „eines der größten Talente unserer Zeit", wie Füchse-Sportvorstand Stefan Kretzschmar den 22-Jährigen nannte, ist in der Hauptstadt schon jetzt riesig.
„Er ist ein unglaublich cleverer Spieler, der wenige Fehler macht", schwärmte Kretzschmar, der sich schon auf das Zusammenspiel mit Fabian Wiede und Nils Lichtlein freute. An Gidsel hatte der Klub schon lange gebaggert, „und das hat am Ende auch den Ausschlag gegeben", glaubt Kretzschmar. Neben dem Weltmeister verpflichteten die Füchse für das kommende Jahr auch den schwedischen Top-Spieler Max Darj, und der aktuelle Kader wird durch den spanischen Europameister Viran Morros, der vom französischen Spitzenteam Paris St. Germain kommt, verstärkt. Die Berliner, bei denen das große Trainer-Talent Jaron Siewert (27) kürzlich bis 2023 verlängert hat, sind eindeutig im Angriffsmodus.
Bei Flensburg setzen sie große Hoffnungen auf Kreisläufer Anton Lindskog, der aus Wetzlar mit großem Titelhunger kommt: „Ich bin schon schwedischer Meister, U23-Weltmeister und Vize-Weltmeister, aber ich möchte unbedingt Deutscher Meister werden." Die Löwen angelten sich in Juri Knorr einen Spielmacher, der nicht nur bei den deutschen Top-Clubs auf dem Zettel stand. Sportdirektor Oliver Roggisch bezeichnete den 21-Jährigen als „absolutes Ausnahmetalent", der Andy Schmid entlasten, viel von ihm lernen und ihn in einem Jahr komplett auf der Spielmacher-Position beerben soll. Magdeburg erhofft sich von der Rückholaktion von Philipp Weber (aus Leipzig) neue Impulse.
ZUSCHAUER
Die Leere auf den Rängen und damit auch in den Kassen war ein Riesenproblem in der Vorsaison. Und auch wenn vieles noch unsicher und nicht in Stein gemeißelt ist, eines ist klar: Eine Geistersaison wird es nicht mehr geben. Die Hallen dürften wohl mindestens bis zur Hälfte gefüllt werden, selbst eine Komplett-Auslastung bei einem entsprechenden Hygiene-Konzept ist nicht ausgeschlossen. Der gesamte Profisport hat in den vergangenen Wochen und Monaten großen Druck auf die Politik geübt – und sogar mit Klagen gedroht.
„Unsere Wunschvorstellung ist es, dass wir die Arenen in der kommenden Saison wieder bis zu 100 Prozent auslasten dürfen", sagte HBL-Boss Frank Bohmann, der nicht glaubt, dass der jeweilige Inzidenzwert vor Ort noch eine große Rolle bei der Zuschauer-Zulassung spielen wird: „Dies ist in unseren Augen nicht der Ansatz, der die neue Wirklichkeit widerspiegelt."
Dafür spricht auch der Kieler Modellversuch, der mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein erarbeitet und von der Stadt genehmigt wurde. Der Meister verkaufte Dauerkarten an 9.000 Fans, die er auch alle gleichzeitig in die 10.285 fassenden Arena begrüßen will. Voraussetzung ist, dass nur Geimpfte und Genesene Zutritt erhalten. „Es ist wichtig, dass es auch in den Hallen wieder sportliche Events mit Zuschauern gibt", sagte Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer: „Wenn alles klappt, kann das Modellprojekt des THW Kiel die Blaupause für weitere Sportarten und Großveranstaltungen sein."
In diesem Sinne ist die HBL natürlich daran interessiert, dass so viele Menschen wie möglich geimpft sind. Daher unterstützt die Liga diverse Impfkampagnen, die Clubs wollen zudem selbst beim Heimspielen Impfangebote vor den Arenen anbieten.
FERNSEHEN
Auch in dieser Saison überträgt Pay-TV-Sender Sky – seit 2016 im Besitz der Rechte – alle 306 Spiele live. Das brisante Nord-Derby zwischen Kiel und Flensburg am 3. Spieltag wird zudem auch im Free-TV bei NDR zu sehen sein. Die ARD darf über eine Sublizenz bis zu zwölf Begegnungen live übertragen. Diese Vereinbarung zwischen Sky und dem öffentlichen-rechtlichen Sender wurde bis zum Ende der Saison 2022/23 verlängert.
Während die Spieltage weitestgehend unverändert bleiben, haben sich die Anwurfzeiten leicht verändert. Die Donnerstag-Spiele beginnen nicht mehr um 19 Uhr, sondern fünf Minuten später. Das Topspiel am Sonntag startet bereits um 13.30 Uhr und damit eine halbe Stunde früher als gewohnt. „Wir möchten für den Fan kompakter sein, ein gestrafftes Programm bieten und neue Impulse setzen", begründet die HBL die Veränderungen. Am Donnerstag sei nun „eine kompaktere Vorberichterstattung" möglich, der Sonntag bekomme „mehr Tempo durch schnellere Übergänge zwischen Topspiel und Konferenz". Eine Befragung habe ergeben, dass jeder zweite Zuschauer das Topspiel und die Konferenz schaue, eine kürzere Pause dazwischen sei daher zuschauerfreundlich.