Die Keramikerin Carolin Wachter erschafft im brandenburgischen Werder Gebrauchsgegenstände und Kunstobjekte aus Porzellan.
Ihre Fingernägel sind ganz kurzgeschnitten, die Nagelhaut ist teilweise eingerissen und am rechten Daumen hat sie eine Schnittwunde, notdürftig geschützt von einem Pflaster. An den Handinnenflächen hat sie Schwielen. Carolin Wachter betrachtet ihre Hände, dreht sie einmal um. „Als Handmodel würde ich mich wohl nicht eignen", meint sie mit lachender Stimme. Und über das Gestreicheltwerden von schwieligen Händen habe sich schon einmal ihre Tochter beschwert. Sie gießt ihrem Gast und sich selbst jetzt dampfend grünen Tee in zwei Porzellanbecher. Das Licht der Nachmittagssonne schimmert sanft hindurch. Der Becher fühlt sich gut an in der Hand. Anschmiegsam und leicht. Sie hat ihn selbst gemacht. So wie all die anderen Tassen, Becher, Kannen, Vasen und Schüsseln, die in ihrer Werkstatt stehen. Carolin Wachter ist Keramikerin. Ihre Hände samt ihren Blessuren sind die stummen Zeugen ihrer Arbeit.
Auf dem Areal der Keramischen Werkstätten Glindow wird alles von Hand gemacht. Das Atelier der Keramikerin ist eines von sechs des Werkstattensembles, untergebracht in einer umgebauten Remise im Werder’schen Ortsteil Glindow. Mitten in Brandenburg, knapp 60 Kilometer südwestlich von Berlin. Dort hat sich Carolin Wachter mit vier weiteren Keramikerinnen, einem Keramiker sowie einer Schmuckdesignerin zu einer Ateliergemeinschaft zusammengeschlossen. Auch an diesem Wochenende wird gearbeitet. Carolin Wachter nimmt erneut ein Trinkgefäß in die Hand. Diesmal ist es ein unfertiger Becher nach dem ersten Brand. Sie putzt ihn sorgsam mit einem kleinen Schwamm, bevor er ein weiteres Mal in den Ofen kommt. „Gebrannt wird im ersten Gang bei 960 Grad Celsius", erläutert sie. Dann wird noch ein oder zwei weitere Male gebrannt. Der letzte Brand ist die Veredelung: „Der Glasurbrand findet bei mir bei 1.300 Grad Celsius statt." Carolin Wachter sagt über ihren Arbeitsstil, dass sie sehr genau und fein drehe. Denn Porzellan habe ein gutes Gedächtnis, es sei gnadenlos. Spätestens nach dem zweiten Brand zeigten sich zum Beispiel Deformationen oder Risse. Porzellan ist ein eigenwilliges Material. Es sei chemisch stabil, mit allen Säuren behandelbar, aber eben auch „zerbrechlich".
Angefangen hat alles, nachdem Carolin Wachter ihr Abitur in der Eifel gemacht hat. „Ich wollte, bevor ich studiere, etwas Handfestes lernen", erinnert sie sich. So begann sie mit einer Scheibendreherausbildung in Königswinter. Danach wollte sie etwas in Richtung Sozialpädagogik studieren. Es kam anders. Carolin Wachter hatte bereits Gefallen an der Töpferscheibe gefunden. „Es ist mir leicht von der Hand gegangen und fühlte sich richtig an." Nach ihrer Gesellenprüfung wollte sie ihre Fähigkeiten vertiefen und ihrem neu entdeckten Faible für Porzellan nachgehen. Ebenso wie bei Steinzeug wird Porzellan auf einer Töpferscheibe gedreht. Doch das Material ist anders, „es hat eine andere Lebendigkeit", so die Keramikerin. Auch sei ihr die Transluzenz von Porzellan sehr wichtig.
Vieles dem Zufall überlassen
Fachleute unterscheiden zwischen Weich- und Hartporzellan. Beide Varianten bestehen aus den drei Rohstoffen Feldspat, Quarz und Kaolin. Hartporzellan hat einen 50-prozentigen Kaolinanteil, während er bei Weichporzellan nur etwa ein Drittel ausmacht. Zudem wird Hartporzellan bei höheren Temperaturen gebrannt. Carolin Wachter hat sich für französisches Hartporzellan entschieden, weil ihr der Farbton besser gefällt. „Hartporzellan wird kühlweiß und Weichporzellan oft eher gelblich."
Nach der Lehre direkt nach der Jahrtausendwende kommt die fertige Gesellin an die Fachhochschule Koblenz. Dort studiert sie vier Jahre lang freie Kunst und Keramik: „Das war ein sehr freies Studium, dort konnte ich meine eigene Sprache entwickeln", erinnert sie sich. Der rote Faden eines künstlerischen Lebensweges zeichnet sich immer mehr ab. Nach ihrem Abschluss in Koblenz schreibt sie sich an der renommierten Kunsthochschule in Berlin-Weißensee ein und studiert Bildhauerei. Sie experimentiert mit Fotografie und Keramik, lotet das Verhältnis von Porzellan und Raum aus. Und ein paar Jahre später, nach der Geburt ihrer Tochter und der Familienpause, wird sie sogar Meisterschülerin an der Weißensee Kunsthochschule.
Nach ihren Lehr- und Studienjahren ist die 42-Jährige heute beides: Künstlerin und Handwerkerin. So stellt sie auf der einen Seite alltagstaugliche Gebrauchsgegenstände her wie Becher, Tassen und Kannen. Sie verkauft sie in der Werkstatt und auf Keramikmärkten. Auf der anderen Seite erschafft sie raumgreifende Installationen aus dem fragilen Etwas, das manche auch weißes Gold nennen. Dabei war die künstlerische Auseinandersetzung anfangs noch gar nicht ihr Thema. Zugang zur Kunst hat sie erst nach und nach durch ihre eigene Arbeit mit der Materie gefunden. Als Kunstschaffende beschäftigt sich die Wahl-Brandenburgerin mit dem Spannungsverhältnis von Natur, Kultur und Mensch. „Keramik ist genau das Medium dafür", sagt sie. „Es sind natürliche Materialien, der Mensch kann sie gestalten." Doch dann kämen chemische Prozesse hinzu und „an der Ofentür endet der Gestaltungswille". Vieles sei dem Zufall oder dem Feuer im Holzofen überlassen. So hat der Mensch oft weniger Einfluss auf die Umwelt, als er oft meint. Das Verhältnis von Mensch und Umwelt zeigt sich unter anderem auch bei Carolin Wachters Installation „Draußen und Drinnen". Aus 144 Porzellanblöcken hat sie einen 1,25 Meter hohen Iglu geschaffen. Das Paradoxe an diesem Exponat ist, dass es mit den Gewohnheiten des Betrachters bricht. Derw keramische Iglu hat weder Fenster noch Tür. Es ist vollkommen verschlossen. Im Jahr 2018 stellte sie im Berliner Bröhan Museum „Shaping Errors" aus: Porzellangefäße, die trotz Beschädigung weiter im Produktionsprozess belassen wurden und in ihrer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit ihre ganz eigene Ästhetik haben. Die Lieblingsform der Künstlerin ist allerdings der Zylinder. „Seine Grundform ist der Beginn eines Gefäßes und beinhaltet doch schon alles. Der Verzicht auf Spezifizierung der Form macht ihn zu einer Projektionsfläche", sagt sie und nippt noch einmal an ihrem Tee. „Mein Weg ist ein gewachsener Prozess", resümiert sie ihre bisherige Vita. „Ich bin dankbar, diesen Weg mit Familie gehen zu können." Dann lächelt sie, verabschiedet ihren Gast und setzt sich wieder an ihre Drehscheibe.