Über das Ein- und Abtauchen in den Mikrokosmos der Kleinanzeigen
Ich bekenne mich schuldig. Es hat mich erwischt, das Marie-Kondo-Fieber – oder zumindest ein kurzer Schüttelfrost. Hierbei handelt es sich allerdings weniger um eine ernst zu nehmende Erkrankung als vielmehr um eine grundlegende Änderung der Lebensgewohnheiten.
Die Japanerin Marie Kondo möchte, dass wir aufräumen – und zwar so richtig. Hauptfrage dabei ist: „Does it bring you joy?", was frei übersetzt so viel heißt wie „Bringt es dir Freude?" Wenn nicht, darf ein ehemals heiß geliebtes Teil aus dem eigenen Leben verschwinden.
Und was soll ich sagen? In meinem Haushalt gab es vieles, was verschwinden sollte. Manches aber noch so gut erhalten, dass es zu schade wäre, es wegzuschmeißen. Wohin also damit? Na, in die Kleinanzeigen!
Kurzum, ich mutierte zum Verkaufsprofi. Machte eifrig Bilder von den guten Stücken. Putzte noch mal die Babywiege. Polierte die Rollschuhe aus den 90er-Jahren auf Hochglanz und schmiss selbstverständlich die blau-gelb karierten Stuhlauflagen für den Sommer (ein Geschenk der Schwiegereltern) vor dem Verkauf in die Waschmaschine.
Nun schoss ich mit dem Handy semiprofessionelle Fotos, bei denen ich angestrengt versuchte, alles ins rechte Licht zu rücken. Nachdem das geschafft war und sich für den Betrachter zumindest erahnen ließ, wie toll meine alten Sachen in Schuss waren, fehlte noch ein letzter Schritt: Es galt, ein – selbstverständlich kostenloses –
Profil zu erstellen.
Schon war mein privater virtueller Flohmarkt der Nutzlosigkeiten eröffnet. Natürlich mit dem Hinweis: „Wunderschön, praktisch, aber nur zur Abholung." Zur Post schleppen wollte ich meine alten Sachen schließlich nicht, auch wenn diese Aufforderung meinen künftigen Kundenkreis gleich enorm einschränkte.
Da saß ich also nach weniger als 30 Minuten, alle Anzeigen geschaltet und malte mir schon aus, wie all der unnütze Kram für gutes Geld den Besitzer wechselte.
Und dann passierte: Nichts! Ganze 60 Tage lang. Inzwischen musste ich meine liebevoll erstellten Anzeigen sogar verlängern. Die Wartezeit verbrachte ich damit, nun meinerseits in den Angeboten anderer zu stöbern. Die Expertin des Ausmistens hätte wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen! Kaum hatte ich meine ersten Einkäufe getätigt und dabei an den Haustüren viele spannende Menschen aus meiner Kleinstadt kennengelernt, da passierte es dann doch.
Der erste Interessent meldete sich. Er nahm die Babywiege „für das Enkelkind" und versuchte, mich um zehn Euro herunterzuhandeln. Schließlich, so sein Argument, sei er mehr als 40 Minuten zu „uns hergefahren". Was soll ich sagen? Mein Mitleid für diese enorme Anstrengung war geweckt, und ich willigte zähneknirschend in den Handel ein.
Nur wenige Tage später kam dann sogar eine Anfrage zu meinen Stuhlpolstern. Immerhin vier karierte Po-Weichmacher an der Zahl. Die Nachricht war kurz: „Hallo, noch da?". Ich bejahte das und wartete gespannt. Und wartete. Und wartete. Mehr kam aber nicht, trotz immerhin 36 anonymen Besuchern auf meiner Anzeigenseite.
Auch für die Rollschuhe und andere Kleinigkeiten wollte sich niemand so recht begeistern. Zwei merkten sich zumindest meine alten Pflanzkübel vor. Dabei blieb es aber auch. Und so musste ich mir eingestehen: Echte Verkaufsschlager waren scheinbar nicht unter meinen Kellerfunden. Oder der sehr ländliche Standort der Waren war einfach nicht ideal? Wie dem auch sei …
Den Rest meiner „alten Plörren" schleppte ich schließlich zehn Wochen später zum Diakonie-Kaufhaus und spendete sie. Ob die Verkäufer dort mehr Glück haben würden? Immerhin ein Gutes hatte mein zugegeben recht kurzer Ausflug in den virtuellen Flohmarkt der Kleinanzeigen. Ich habe tolle neue Sachen gefunden, von denen ich vorher noch gar nicht wusste, dass ich sie brauche.
Wie etwa das Tipi für den Nachwuchs, das jetzt schon wieder unten stand, weil es im Kinderzimmer zu viel Platz wegnahm. Wie gut, dass der Keller nun freigeräumt war!