In der Schwerelosigkeit des Alls breiten sich Flammen entgegen der Luftströmung aus. Zudem bilden sich große Mengen von unverbranntem Rauchgas als Basis für Verpuffungen. Bei Löschversuchen an Bord einer bemannten Weltraumfähre kann das gravierende Folgen haben.
Ein Feuer in einer bemannten Raumfähre dürfte als Worst Case der Alptraum jeglicher Weltraummissionen sein. Kein Wunder daher, dass die Nasa die Forschungen eines aus 25 internationalen Wissenschaftlern bestehenden Teams unter wesentlicher Mitwirkung des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen unter Federführung von Diplom-Ingenieur Christian Eigenbrod finanziert hat. Die Verbrennungsforscher hatten es sich zum Ziel gesetzt, in einem Experiment im Rahmen des sogenannten Saffire-Projekts die Ausbreitung und Wirkungsweise von Flammen im All zu ergründen. Da offenes Feuer im Weltraum schon immer ein großes Risiko darstellt, haben die Wissenschaftler schon seit 2016 den Cygnus-Transporter für ihre heiklen Untersuchungen benutzt. Der Transporter bringt auf seinem Hinweg Versorgungsmaterialien zur Weltraumstation ISS, vor seiner Rückreise wird er mit Abfällen beladen und bei Eintritt in die Erdatmosphäre zum Verglühen gebracht.
Da sein Schicksal daher nach dem Abdocken von der ISS besiegelt ist, kann wenig später an Bord bedenkenlos ein künstliches Feuer entzündet werden.
Flammen entgegen der Luftströmung
Genau das hat das Bremer ZARM-Team am 6. Januar 2021 durch Verwendung einer strukturierten, mit Rippen unterschiedlicher Breite überzogenen, 20 Zentimeter langen, 40 Zentimeter breiten und zehn Millimeter dicken Plexiglasprobe in einer über 23 Stunden laufenden Versuchsanordnung getan. Dabei wurde die Flamme durch einen kontinuierlichen, dem normalen Lüftungssystem in einem Raumschiff entsprechenden Luftstrom angeblasen – bei einem im Transporter herrschenden Luftdruck, der 70 Prozent des irdischen betrug und einer um 26 Prozent erhöhten Sauerstoffkonzentration. Das entspricht genau den Rahmenbedingungen, die für künftige astronautische Erkundungsflüge vorgesehen sind.
Zufall und Glück spielten den Forschern bei ihrem Experiment nach eigenem Bekunden in die Hände. Denn zunächst sollte eine Flamme ganz am Ende des Plexiglases gezündet werden, die jedoch wegen der zugeführten Luftströmung ganz vorne lag. Die Wissenschaftler waren davon ausgegangen, dass sich das Feuer mit der Luftströmung über die gesamte Fläche des brennenden Objektes ausbreiten würde. Doch nachdem die Zündung wegen eines vermuteten Kontaktfehlers nicht funktioniert hatte, gelang dem ZARM-Team das Entfachen eines Feuers am anderen Ende der Plexiglasscheibe, gewissermaßen im Luftgegenstrom. Was folgte, war für die Wissenschaftler eine riesige Überraschung: „In der Schwerelosigkeit breitete sich die Flamme rasch aus, indem sie der Luftströmung entgegenkam –
ein Prozess, der unter ‚normalen’ Gravitationsbedingungen so kaum stattfände. Da die Plexiglasscheibe durch den Ausfall des ersten Zünders noch unversehrt war, konnte dieses Verhalten sehr deutlich und über die gesamte Probenlänge hinweg beobachtet werden." Die wesentlichste Erkenntnis war also, dass sich Feuer in der Schwerelosigkeit, entgegen der intuitiven Vorstellung, nicht mit der Luftströmung ausbreiten kann.
Wofür das Team natürlich sogleich nach Erklärungen suchte. Unter irdischen Bedingungen werden laut den Verbrennungsforschern die eine Flamme umgebenden Luftschichten erhitzt und dehnen sich dabei aus. Die daraus resultierende geringere Dichte führe unter Einfluss der Erdanziehungskraft zu einem Aufsteigen dieser leichteren Luftschichten, wodurch sie unten Platz für neue sauerstoffreiche Luft machten. Die bei diesem Prozess laut den Forschern auftretenden großen Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den Luftschichten haben eine Faltung der Strömung zur Folge, was sich im Lodern der Flamme niederschlägt. Gleichzeitig wird weiterer Sauerstoff auch aus anderen Bereichen des Umfelds als jener der Luftströmungsrichtung an die Flamme herangeführt. Längst bekannt sei, so die Forscher, dass es im All wegen der Schwerelosigkeit keine Gewichtsunterschiede zwischen Luftschichten und daher keinen Auftrieb geben könne. Die heißen Gasbereiche dehnten sich zwar ebenfalls aus, ihre Schichtung bleibe jedoch in Strömungsrichtung erhalten, es komme daher nicht zu einer Faltung mit dem bekannten Lodern der Flamme. Ohne Luftströmung würde die Flamme sogar in ihrem Abgas ersticken. „Durch die vorhandene Luftströmung beim Saffire-Experimentaufbau wird aber ausschließlich die vordere Flammenbasis – dort wo der Luftstrom auf die Flamme trifft – ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Dementsprechend ist die Flamme hier am aktivsten und propagiert überraschend schnell der Luftströmung entgegen."
Verpuffungen durch Rauchgasbildung
Neben der unerwarteten Ausbreitungsrichtung der Flamme lieferte das Experiment den Forschern auch noch neue Erkenntnisse bezüglich einer erheblichen Gefahr einer Verpuffungsexplosion. Denn das Feuer schützt den unter ihm aufgeheizten und ausgasenden Bereich vor Luftzutritt und Verbrennung. „Die gegen die Anströmung propagierende Flammenfront hinterlässt also keine brennende Fläche. Stattdessen wird unter ihr viel brennbares, aber unverbranntes Rauchgas produziert. Das bedeutet weiterhin, dass die kleinste Störung der Schichtung, die dieses heiße, unverbrannte Rauchgas mit Sauerstoff versorgen würde, zu dramatischen Verpuffungen führt", so die Forscher. Es sei vergleichbar dem irdischen Phänomen, bei dem sich nach Ausbruch eines Feuers in geschlossenen Räumen unter der Decke eine Schicht heißer und brennbarer Gase zu bilden pflegt, die beim Öffnen einer Tür oder dem Bersten eines Fensters durch Sauerstoffzufuhr zu einer explosionsartigen Verpuffung führe. Mit diesem neuen Wissen konnten die Forscher auch das bis dahin unverständliche Ereignis eines Vorgängerexperiments erklären. Hierbei war die Luftzufuhr nach dem vermeintlichen Erlöschen der Flamme in dem Transporter wieder eingeschaltet worden und dem Experiment wurde wegen der Verpuffung ein vorzeitiges Ende bereitet.
Der US-Weltraumbehörde Nasa dürften die neuen Ergebnisse schlaflose Nächte beschert haben. Denn inzwischen weiß man zwar, welche Maßnahmen man bei einem Feuerausbruch in einer Weltraumfähre oder auch auf der ISS besser nicht ergreifen sollte. Dennoch hat man keine wirksamen Alternativen zum Löschen der Flammen an Bord zur Hand. Ein schlichtes Auspusten würde den Flammenstrahl direkt in Richtung eines damit befassten Crew-Mitglieds lenken. Der Einsatz eines Feuerlöschers könnte mit seinem einen Luftstrom erzeugenden Strahl die plötzliche Verbrennung aller akkumulierten Rauchgase zur Folge haben. „Bei der Auswahl der Feuerlöschtechnik wird man also ganz anders abwägen müssen, ob ein aktives Eingreifen überhaupt sinnvoll sein kann", so das ZARM-Team.