Fahrräder sind teurer geworden – aber nur relativ. Zwar werden für ein Bike immer mehr Euro hingeblättert, dafür sind selbst die Brot-und-Butter-Räder von heute mit Technik ausgestattet, die sich vor einigen Jahren nur an High-End-Rädern fand.
Am Fahrradmarkt ist ein Doppeleffekt zu beobachten, der Fahrräder teurer macht: Die anhaltend wachsende Nachfrage nach E-Bikes treibt seit Jahren die Durchschnittspreise der in Deutschland vermarkteten Fahrräder. 2020 lag er nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) bei 1.279 Euro. Obendrauf setzt sich ein Corona-Effekt mit Lieferengpässen, der die Preise aktuell um 20 Prozent oder mehr hat steigen lassen. „Die Produktion kommt nicht hinterher", sagt ZIV-Sprecher David Eisenberger. Entspannung am Fahrradmarkt erwartet er nicht vor Ende 2022.
Doch die aktuelle Lage täuscht darüber hinweg, dass viele, einst kaum erschwingliche Komponenten am Fahrrad viel günstiger geworden sind. Es sei mittlerweile Technik am Rahmen, die einst nur in höchsten Preissegmenten zu haben war, sagt Fahrradexperte Marco Brust vom Prüfinstitut Velotech in Schweinfurth. Veit Hammer von Trek, einem der größten Fahrradhersteller der Welt, sagt: „In Summe lässt sich verallgemeinernd sagen, dass die Performance eines 2.000-Euro-Bikes von heute besser ist, als jene eines 6.000 Euro-Bikes von vor zehn Jahren." Es hat eine Art vom allgemeinen Preisanstieg getarnte Demokratisierung von Hightech stattgefunden. Vier Beispiele.
Scheibenbremsen verdrängen Felgenbremsen
Leichtbau: Leichte und zugleich robuste Fahrräder zu bauen, ist aufwendig. Fertigungsverfahren wie „Hydroforming" und das „Konifizieren" ermöglichen Stahl- und Aluminiumrahmen mit dünnen Wandstärken, die zugleich stabil sind. Nur in stark belasteten Bereichen wie den Rohrenden wird das Material noch verdickt. Doch wurden die Fertigungsverfahren nicht nur verbessert, sie sind auch günstiger geworden. „Leichtbau im Allgemeinen ist billiger geworden", sagt Marco Brust. Am deutlichsten zeigt sich der Preisverfall bei Carbon. Rahmen aus dem zugfesten und leichten Kohlefasermaterial waren einst schier unerschwinglich. Vor fünf bis sechs Jahren, sagt Brust, habe beispielsweise ein Rennrad mit Vollcarbon-Rahmen noch mehr als 6.000 Euro gekostet. „Heute starten die Preise bei etwa 2.500 Euro."
Der Grund: Mittlerweile erfolgt die Fertigung auch bei Carbon, das viel Handarbeit erfordert, zum Teil automatisch. Mittlerweile würden beispielsweise Kohlefasermatten, aus denen Rahmen laminiert werden, preisgünstig auf Webapparaten hergestellt. Zudem werden immer mehr Fahrräder mit Teilen aus Carbon auf Leichtbau getrimmt – vor allem Gabeln, Sattelstützen und Lenker.
Bremsen: Scheibenbremsen am Fahrrad sind fast so alt wie das Fahrrad selbst. Große Komponentenhersteller nahmen sie in den 60ern ins Programm; in den 90ern kamen sie in Mode, zunächst am Mountainbike. Früher hätten Scheibenbremsen rund 2.000 Mark gekostet, sagt Brust, „jetzt gibt es gute Scheibenbremsen-Systeme für 300 Euro." Und es geht noch günstiger.
Die fester zupackende und gegenüber Nässe unempfindlichere Scheibenbremse verdrängt die in dieser Hinsicht defizitäre Felgenbremse zusehends. „Selbst in der letzten Bastion der Felgenbremsen, dem Rennrad", würden mittlerweile mehrheitlich Scheibenbremsen montiert, sagt Michael Wild vom Shimano-Generalimporteur Paul Lange in Stuttgart. Nur an Einsteiger-Fahrrädern im Preisbereich bis 1.000 Euro kämen oft noch Felgenbremsen zum Einsatz. „Doch auch hier nehmen Scheibenbremsen einen immer größeren Anteil ein."
Fahrradexperte Brust schätzt die Quote an hydraulischen oder mechanischen Scheibenbremsen bei nicht elektrifizierten Fahrrädern auf mittlerweile 50 Prozent, Tendenz steigend. E-Bikes würden mittlerweile zu etwa 80 Prozent mit hydraulischen Scheibenbremsen ausgerüstet. Dabei ist Bremstechnik von Shimano zufolge zuletzt wieder etwas teurer geworden. „Scheibenbremsen derselben Serie sind in den vergangenen fünf Jahren im Preis tatsächlich eher gestiegen", sagt Wild. Grund seien allerdings nicht einfach Preiserhöhungen, sondern verbesserte Technik an Nachfolgemodellen. „Könnte man theoretisch eine Leistungsbereinigung vornehmen, wäre es sicherlich eher umgekehrt."
Beleuchtung: Eine flackernde Halogen-Funzel, die Strom von einem Dynamo erhält, der sich surrend an der Reifenflanke abrackert: So sah Fahrradbeleuchtung früher aus. „Vor 20 Jahren war der Seitenläufer-Dynamo noch Standard", sagt Prüfingenieur Brust. Längst aber bezieht die Beleuchtung am Fahrrad ihren Strom aus leicht laufenden Nabendynamos oder Akkus, die statt Halogen-Birnchen moderne LED-Leuchtmittel versorgen.
Auch hier hat eine Verbreitung von oben in die Niederungen stattgefunden: Bei High-End-Spezialrädern wie Liegerädern sowie teureren City- und Trekkingrädern seien LEDs schon früh vertreten gewesen, sagt Sebastian Göttling, Sprecher bei Busch und Müller, einem führenden Hersteller von Fahrradbeleuchtung mit Sitz im sauerländischen Meinerzhagen. „Nur bei Billigsträdern findet man heute noch Halogenlicht." 2005 kostete der erste LED-Scheinwerfer der Firma noch 50 Euro, heute liegt das – zudem heller leuchtende – Einstiegsmodell bei 20 Euro.
Spiegeltechnik verteilt Licht auf größere Fläche
Doch der technische Fortschritt hat Fahrradlampen auch teurer gemacht. Die leistungsstärkeren Modelle arbeiten nicht mehr mit linsenbasierter Optik, sondern mit Spiegeltechnik, die das Licht laut Göttling auf einer größeren Fläche auch deutlich homogener verteilt. Heute kann man für einen Fahrradscheinwerfer mehrere Hundert Euro ausgeben – das App-gesteuerte Flaggschiff beim Konkurrenten Supernova, der bereits 2004 sein erstes LED-Modell brachte, mit vergoldeten Steckverbindungen kommt nicht nur auf 275 Lux, sondern kostet samt Software-Updates nach dem Kauf und Akku-Pack satte 539 Euro.
Dabei wandelt sich Fahrradbeleuchtung vom reinen Anbauteil immer mehr zu einem integrierten Merkmal: Fahrradhersteller wie Bianchi, Urwahn, Vanmoof oder Furo Systems lassen LEDs im Rahmen verschwinden, Teilehersteller wie Lightskin bauen Sattelstützen und Lenker mit integrierten Dioden. „Integrierte Beleuchtung" ist Marco Brust zufolge ein Trend, der an Fahrt aufnehmen wird – auch weil es dank der LED-Technologie möglich ist, in der Bauform sehr kleine Leuchten zu bauen.
E-Bikes und ihre Komponenten: Allein der seit Jahren wachsende Anteil von E-Bikes am Gesamtfahrradmarkt markiert eine Demokratisierung: ZIV-Angaben zufolge landeten die Pedelecs in Deutschland im vergangenen Jahr bei einem Anteil von 38,7 Prozent, ein historischer Höchstwert. Als Komponente ist der Akku günstiger geworden – obwohl nach wie vor teuerstes Teil am Elektrorad. „Die Kosten pro Wattstunde sind in den vergangenen fünf Jahren um etwa 50 Prozent gesunken", sagt Experte Brust.
Den grundsätzlichen Trend bestätigt auch Armin Harttig, Vertriebsleiter bei Bosch E-Bike Systems, einem der Marktführer bei Pedelec-Komponenten. So habe Bosch im Jahr 2012 für einen 288-Wattstunden-Akku einen Aftermarket-Preis von 599 Euro empfohlen, heute koste ein 500-Wattstunden-Pack beim Fachhändler 739 Euro (UVP). Damit sank der Preis bei Bosch auf die Wattstunden bezogen in den vergangenen zehn Jahren von gut zwei Euro auf knapp 1,50 Euro pro Watt. Allerdings geben die Kunden auch hier oft mehr Geld aus, da sie sich für größere Akkus entscheiden.
Schwer absehbar ist laut ZIV-Sprecher Eisenberger, wie sich die Preise von E-Bike-Akkus weiterentwickeln, gerade in der aktuellen Lage mit Lieferengpässen und Rohstoffverknappung. „Auch Skalen-Effekte werden weiterhin eine Rolle spielen" – ob also steigende Stückzahlen Produktionskosten und Preise senken.
Mindestpreis für vernünftiges E-Bike liegt bei 1.800 Euro
E-Bike-Motoren sind laut Harttig „über die Jahre auf einem vergleichbaren Niveau geblieben, während sie zugleich leichter und kompakter wurden". Allerdings weisen viele Antriebe heute mehr Drehmoment auf – und sind damit ebenfalls teurer als schwächere Motoren von einst. Genaue Preise nennt der Zulieferer nicht, da Motoren nicht einzeln an Endkunden verkauft, sondern als Teil des Antriebssystems von Fahrradherstellern verbaut werden.
Dass E-Bikes – aktuelle Corona-Effekte ausgenommen – grundsätzlich günstiger geworden sind, belegen die Zahlen des Zweirad-Industrie-Verbandes allerdings nicht – im Gegenteil. Aktuell koste ein E-Bike in Deutschland durchschnittlich rund 2.600 Euro, für das Jahr 2015 ermittelte der Verband noch den Durchschnittspreis von 2.000 Euro. Dennoch sind E-Bikes günstiger zu bekommen als noch in den Anfangsjahren: So kosteten E-Modelle von Marken wie Scott und Cannondale, die die ersten Bosch-Antriebe verbauten, 2011 noch mindestens 2.600 Euro beziehungsweise 2.800 Euro. Derzeit werden E-Bikes mit Bosch-Technik ab rund 1.800 Euro gehandelt. Das ist exakt der Richtwert, den Branchenexperten als Mindestpreis nennen, zu dem qualitativ gute E-Bikes verkauft werden.