Ein Jahr nach Eröffnung, Lockdown und Restart setzen Inhaber und Sommelier Serhat Aktas sowie Koch Ronny Marx neue Akzente im „Weinlobbyist". Die Gäste danken es mit vielfachem Besuch und Buchungen für Events.
Der „Der Weinlobbyist" sagt, denkt sofort oft auch: „Der Innenhof!" Damit hatte es Inhaber und Sommelier Serhat Aktas in diesem wetterwankelmütigen Sommer nicht ganz einfach. Doch jeder halbwegs warme und trockene Abend wird seit der Eröffnung im Juli 2020 und dem Restart ziemlich genau ein Jahr später genutzt, um in dem italienisch anmutenden Exklusiv-Innenhof an der Kolonnenstraße zu sitzen und es sich bei ein, zwei, fünf Gläsern Wein und einem Happen gut gehen zu lassen. Die Stammgäste steuern ihr Ziel mit einer Reservierung sicher an. Doch selbst wer im Vorübergehen einen Blick auf die Hof-Fotos in den Fenstern geworfen hat, tritt häufig spontan ein oder kommt später wieder. Am Abend unseres Besuchs wird dort in vielen Sprachen über Wein und Welt geplaudert. Wohlsein! Serhat Aktas schenkt zur Begrüßung einen Sekt Weißburgunder Brut von Emrich-Schönleber ein. Die Winzer von der Nahe gehören ebenso wie Münzberg, Wegeler oder Van Volxem zu den Hausweingütern. Das Sortiment wuchs von vorsichtigen 100 Positionen zum Start auf inzwischen 350. Eine Vorliebe des Chefs für deutschen Riesling ist unübersehbar. Wir freuen uns zum Sekt über einen Teller Brot mit Kürbiskernöl-Butter. Das knusprige und innen fluffige Brot scheint ein Neuzugang zu sein. Tatsächlich: Ronny Marx, neuer Koch im kleinen „Weinlobbyist"-Team, backt täglich das Sauerteigbrot aus Weizen und Roggenmehl. Köstlich! Es ist ebenfalls die Unterlage für selbst eingelegte italienische Sardellen. Ich darf mich sogar an zwei Hälften erfreuen, denn die begleitende Freundin isst keinen Fisch.
Der „Weinlobbyist" wäre nicht er selbst, wenn er nicht sofort reagieren würde. Anstelle eines Kammmuschel-Carpaccios erhält die Freundin ein von Ronny Marx „spontan gezaubertes" Rindercarpaccio, das mit Champagneressig und Olivenöl übergossen wird und von roter Rettich-Kresse, Rucola und einer Miso aus dem Schwarzwald getoppt ist. Der Fokus liegt mit der erneuerten Karte auf Speisen aus heimischeren Gefilden. „Es soll weiterhin einfach bleiben und den Wein begleiten", sagt Serhat Aktas. „Wir sind eine Weinbar und kein Restaurant."
Aber eben doch ausgefeilt genug, um Alternativen zu der weiterhin angebotenen hervorragenden Schinken- oder Käseplatte, Flammkuchen oder ein paar Oliven zu bieten. Meine Muschel-Scheibchen sind sanft mit Ayran mariniert sowie mit Miso und Daikon-Kresse umstreut. Ein kleiner, zartgrüner Gurkensalat-Hügel liegt obenauf. Angemacht ist er mit Limette und Haselnussöl. Eine sehr schöne Kombi, die die Leichtigkeit der Muschel aufgreift und eigenständig akzentuiert. Dazu fließt ein apfelaromatischer, straighter und angekräuterter 2020er Grüner Veltliner Stein aus dem österreichischen Kamptal von Jurtschitsch ins Glas.
Wir trinken uns zum Essen weiter durch die Auswahl des Interessensvertreters für Flüssigtrauben durch. Ganz gleich, ob Einzelglas, Flasche zum „So-Trinken" oder zur Essensbegleitung: Serhat Aktas und Mitarbeiterin Antje Ewald merken sich die Vorlieben ihrer Gäste. Deshalb weiß ich schon vorab, welcher Lieblingswein zum Schluss aus dem Schrank genommen werden wird – Serhat Aktas und ich hegen eine gemeinsame Vorliebe für die lange gereiften Rieslinge von den Weingütern Wegeler.
Bis zu 30 Weine sind, je nach Tagespräferenz vom Lobbyisten, im offenen Ausschank. In der Kühlung finden sich von so manchen Winzern Lagen und Jahrgänge sogar in ganzer Tiefe. Speziellere und preisintensivere Tropfen werden mit der Luft ausschließenden Coravin-Methode glasweise ausgeschenkt. Nachfragen hilft: Aktas und Ewald filtern die zu den Geschmackspräferenzen passenden Weine aus dem Sortiment oder denken mit überraschenden Empfehlungen um die Ecke. Langweilig wird der Besuch nie.
Die Gäste rückten das Essen immer mehr in den Vordergrund. „Wir haben in den ersten Monaten drei- bis viermal mehr Speisen verkauft als im Businessplan vorgesehen", sagt Serhat Aktas. Wohl dem, der seine Zahlen im Blick hat und trotz Corona-Zeiten und Lockdown eine so freudige Überraschung erlebt. „Es kommen jetzt auch jede Menge Anfragen für Events herein." Viele Gastgeber wollten ihren Gästen „richtig was zu essen und zum Hauptgang Fleisch" bieten. Die Entscheidung, einen Koch einzustellen war zum Ende des Lockdowns hin rasch getroffen. „Ronny bringt uns echte Erleichterung. So routiniert und schnell wie er können wir gar nicht sein", sagt Aktas.
Bis zu 30 Weine gibt es hier im offenen Ausschank
Er und seine Mitarbeiterin hatten zuvor die von David Kikillus entwickelte kleine Karte selbst umgesetzt. „Und ich kann mich wieder dem widmen, was ich besonders gut kann." Dem Gastgeben, Beraten, Mit-den-Gästen-Sprechen und Netzwerken etwa. Das hat sich in der Stadt rasch herumgesprochen. „Der Weinlobbyist" war kürzlich in der Kategorie „Berliner Barkultur" bei den Berliner Meisterköchen 2021 nominiert.
Ronny Marx ließ eine frische Meeresbrise über die Karte wehen. Jetzt stehen „Austrian Sushi" darauf. Lachszucht oder Wildfang aus dem Wolfgangsee? Wohl eher nicht. Der Lachs wird aber mit Wacholder, Meersalz, Zucker und Dill in Schöneberg hausgebeizt. Erst danach darf er sich mit Gurkenstückchen in italienischen Sushi-Reis und Algenblatt einrollen. Gehobelter Kren verbreitet milde Meerrettich-Schärfe on top. Das ist eine den echten Wasabi-Wurzeln deutlich näherkommende Alternative als das übliche überscharfe, angerührte grüne Instantpulver!
Waschechte Österreicher dagegen sind das steirische Kürbiskernöl zum Binden und Aromatisieren des mit Gölles Apfelessig leicht gesäuerten Reises sowie die handwerklich hergestellte Bio-Sojasauce von Heinz Reisetbauer und Roland Trettl. Mit dieser leichtfüßigen, etwas malzigen Flüssigwürze im Extraschälchen bekommen die Röllchen einen sanften Geschmacksbooster.
Wir trinken einen fein koordinierten Gamlitz Sauvignon Blanc 2019 von Lackner Tinnacher aus der Südsteiermark dazu. Die präsentere Würze mit ihren Noten von Paprika, Mango und Pfeffer im mineralisch angehauchten Weißen passt prima zur Austria-Nippon-Kreuzung.
Ronny Marx fand über den von Aktas bevorzugten genutzten Kommunikationskanal zum „Weinlobbyist": „Mein Freund hat das Gesuch bei Facebook gesehen und mich gefragt, ob ich nicht bei Serhat kochen möchte", sagt er. Nach der Ausbildung in „Diehls Hotel" in Koblenz arbeitete Marx als Küchenchef im vormaligen „Rizz" in Kreuzberg. „Ich gehe privat gern in Weinbars. Warum also nicht in einer arbeiten?" Er stieg zum August voll ein.
Einen Teller-Allzeitfavoriten von Aktas und mir hat Ronny Marx auf die kleine Karte gesetzt: ein handgeschnittenes Rindertatar mit Wachtelei, Kapernapfel und Brotchip. So bietet es klassisch an- und feingemacht dem knackigsten Wein Paroli. „Ich nehme lieber ein Stück aus der Hüfte. Das gibt mehr Geschmack und Biss", sagt Marx. „Man merkt, dass richtig aromatisches Fleisch im Rind steckt." Sardellen, Kapern, Zwiebeln, Senf, Cornichons, Salz und Pfeffer spielen ebenfalls mit. Und für die Finesse ein Hauch Kümmel und Cognac.
2008er Wehlener Sonnenuhr nur noch hier zu haben
Zum Tatar trinken wir einen 2016er Spätburgunder Godramstein von Gunter Keßler vom Weingut Münzberg. Die Pfalz zeigt, was ältere Reben, Handlese und heimische Eiche im Fass einem Roten Gutes tun können. Eine ähnlich fleischeslustige Richtung beim Essen wie das Tatar schlägt der klein ausschauende, aber überraschend substanzielle neue Salt-Beef-Burger ein. Wir lassen ihn uns prickelnd mit einem Riesling Brut von der Sektmanufaktur Strauch verschönern. Mit Gewürzen gepökeltes Rindfleisch ruhte zwei Wochen in Lake, bevor es weichgekocht und aufgeschnitten zwischen den Hälften eines „nicht ganz so buttrigen", hausgebackenen Brioche-Buns gelegt wurde, wie Ronny Marx verrät. Eine Dijonsenf-Mayonnaise, ein Gurken-Relish und Essigschalotten gesellen sich unterm Brioche-Deckel pikant und säuerlich hinzu. Es gibt definitiv keinen Grund, Tomaten oder Ketchup zu vermissen! Veggies halten sich bei so viel Liebe zum Fleisch alternativ an den bewährten Ziegenkäse-Walnuss-Honig-Flammkuchen, die Käseplatte, an mit Frischkäse gefüllte „Paprini" oder eine Bruschetta mit San-Marzano-Tomaten.
Oder gleich an den Orangenkuchen mit Tonkabohnen-Creme, der auch in Jerusalem beheimatet sein könnte. Auch er ist eigentlich ganz einfach – und einfach wortwörtlich schon eine Wucht. Ordentlich Orangensaft im Teig „und ganz viel Butter, die ich in den Brioches für die Burger weggelassen habe", sagt Ronny Marx, steckten in ihm. Die Tonkabohnen-Creme auf Crème-fraîche-Basis verleiht dem Kuchen eine geradezu überraschende Leichtigkeit.
Und endlich darf mein Lieblingswein ins Glas! Die Wehlener Sonnenuhr 2008 Kabinett aus der Vintage Collection mag auf dem kupferfarbenen Etikett nach historischer Mosel aussehen. Der lang gereifte Riesling von Wegeler aus Bernkastel trinkt sich aber mit dem vollmundigen Gegenspiel von Pfirsich, Apfel und Südfrüchten und kontrastierenden Säurespitzen hervorragend zeitgenössisch weg. Ich gönne mir noch ein zweites und drittes Glas von der Sonnenuhr und zähl die schönen Stunden nur. Serhat Aktas liebt’s im Wissen um den Wert seiner Schätzchen lässig: „Davon habe ich 240 Pullen exklusiv aufgekauft." Im freien Verkauf ist dieser Wein andernorts nicht mehr erhältlich. Für mich heißt das: Ich habe einen zwingenden Grund, noch öfter beim „Weinlobbyist" aufzuschlagen und meinen Lieblingswein zu trinken.