Die deutsch-persische Sängerin und Komponistin Cymin Samawatie will mit dem Trickster Orchestra eine neue, gleichberechtigte Musiksprache etablieren. Im Interview spricht die Dirigentin über den herausfordernden Anspruch und wie schwierig es ist, einen Platz im Musikgeschäft zu finden.
Sie bewegt sich geschmeidig zwischen den Kulturen. Cymin Samawatie hat iranische Eltern, studierte Klassische Musik in Hannover sowie Jazz in Berlin. Mit ihrem Jazz-Quartett Cyminology kam sie beim renommierten Label ECM unter. In ihren verschiedenen Projekten geht es immer auch um den Brückenschlag zwischen Musikkulturen, Genres und Stilen.
2013 gründete Cymin Samawatie das Orchesterprojekt Trickster. Damit will sie auch den Weg ebnen für all jene Musikerinnen und Musiker, die mit außereuropäischen Instrumenten in Deutschland arbeiten. Oft werden sie als Exoten in die Weltmusik-Ecke geschoben. Dass es sich um ernst zu nehmende zeitgenössische Künstler handelt, beweist das neue Album des Trickster Orchestras, das ebenfalls bei ECM erschienen ist.
Frau Samawatie, wie ist es Ihnen in den letzten anderthalb Jahren ergangen?
Ich habe alle Höhen und Tiefen der Pandemie mitgemacht. Ich habe eine elfjährige Tochter. Es war sehr schwierig, ihre Stimmungen im Homeschooling aufzufangen. Andererseits bin ich durchaus privilegiert, weil ich nie finanzielle Schwierigkeiten hatte. Ich war positiv überrascht, wie unbürokratisch vom Senat Fördergelder ausgezahlt wurden. Ich habe zweimal Hilfen bekommen. Zwischendurch hatte ich durchaus mal Panikanfälle; die waren aber nie berechtigt.
Wie haben Sie die Pandemie als Künstlerin erlebt?
Ich hatte zumindest ein paar Projekte, die digital umgesetzt wurden. Wenig Kontakte zu haben, ist für mich als Künstlerin sehr schwierig. Ich brauche den Kontakt zu anderen Künstlerinnen, aber auch zum Publikum. Mein letzter Auftritt war im Oktober; davon zehre ich immer noch. Aber jetzt habe ich meine zweite Impfung. Ich kann wieder reisen, Projekte initiieren und sehe Licht am Ende des Tunnels.
Das neue Album mit dem Trickster Orchestra wurde im Januar 2019 aufgenommen. Bei Ausbruch der Pandemie haben Sie noch einmal mit einer großen Formation gearbeitet.
Auf der CD spielen wir mit 23 Musikern. Es ist eine große Herausforderung, dieses Ensemble am Leben zu erhalten. Das geht nicht ohne viel Leidenschaft und Selbstausbeutung. Es ist ein großer Traum von mir, das Orchester auf stabile Beine zu stellen und kontinuierlich damit zu arbeiten.
Worin liegen da die besonderen Herausforderungen?
Das Trickster Orchestra passt in keine Schublade. Man muss erst mal erklären, was trans-traditionelle Musik ist. Dieses Thema begleitet mich aber schon lange. Auch mit meinem Quartett Cyminology fallen wir durch viele Raster, obwohl das noch leichter im Jazz zu verorten ist. Wir wurden in der Jazzwelt aber nicht auf Augenhöhe akzeptiert. Ich wollte dann etwas Neues für mich finden; aber mit dem Orchester habe ich es mir leider nicht leichter gemacht …
Was ist das Markenzeichen des Trickster Orchestras?
Das ist gar nicht so einfach zu erklären. Man sollte sich am besten vorurteilsfrei die Musik anhören. Wir sind Musikerinnen und Musiker mit sehr unterschiedlicher Herkunft und musikalischer Sozialisation – sei es Jazz, Klassik oder auch außereuropäische Traditionen. Alle sind großartige Solisten und gehen auf Augenhöhe aufeinander ein.
Jedes Instrument hat seine eigene Stimmung und Intonation. Das stelle ich mir schwierig vor.
Es geht ja auch darum, die eigene Komfortzone zu verlassen und gemeinsam eine Musik zu kreieren, die man nicht gleich kategorisieren muss. Als Dirigentin bemühe ich mich, eine Balance zu finden: allen Mitgliedern die Freiheit zu lassen – und dann auch wieder das Ruder in die Hand zu nehmen und zu formen. Das ist eine sehr intuitive, sensible Arbeit. Eine große Herausforderung, die nur mit Vertrauen funktioniert.
Haben Sie allein den Hut auf?
Keineswegs. Wir sind vier gleichberechtigte Leiter. Mit dem Schlagzeuger Ketan Bhatti arbeite ich schon seit 2004 intensiv zusammen; ich liebe seine Kompositionen. Wir beide haben gemeinsam die musikalische Leitung. Philip Geisler und Elisa Erkelenz unterstützen uns mit dramaturgischen Inhalten, schreiben Texte und helfen uns, ein Netzwerk aufzubauen. Und natürlich lenken auch die Musikerinnen und Musiker unseren gemeinsamen Weg.
Wie lange gibt es das Trickster Orchestra schon?
Die Premiere war 2013 mit 16 Musikern. Etliche Gründungsmitglieder sind immer noch dabei. Wir sind kein festes Orchester, sondern verstehen uns eher als Kollektiv mit einem Pool von 30 bis 40 Musikern. Wir kooperieren aber auch mit anderen Ensembles. Letztes Jahr gab es zum Beispiel eine Kooperation mit Musikerinnen der Komischen Oper. So langsam öffnen sich die Institutionen für die freie Szene; da passieren spannende Sachen.
Aus welchem Grund sprechen Sie so sorgfältig von „MusikerInnen"?
Das ist mir ein Bedürfnis. Ich möchte, dass alle gesehen und wertgeschätzt werden. Seit anderthalb Jahren bin ich kulturpolitisch aktiv und habe zum Thema Gendern und Diversity viele Bücher gelesen. Darin finde ich auch meine eigene Geschichte. Außerdem bin im Sprecher*innen-Kreis der Koalition der Freien Szene und im Vorstand der IG Jazz.
Wo zeigt sich die Gender-Problematik im Musikbereich?
Zum Beispiel haben wir in Deutschland drei Jazz-Bigbands, was ohnehin wenig ist. Da spielen beschämend wenige Frauen mit. Und schauen wir mal auf die Musikhochschulen: Der Anteil der Professorinnen könnte auch größer sein. Gerade tut sich da in Deutschland aber etwas. Solche Dinge werden thematisiert. Allerdings drehen sich diese Mühlen sehr langsam.
Inwiefern sind Sie persönlich betroffen?
Ich habe schon als Kind unter Ausgrenzung gelitten. Und es hat nie aufgehört. Früher dachte ich, wenn ich Musikerin bin, dann wird das kein Thema mehr sein. Aber das stimmt nicht. Warum bin ich keine Deutsche, nur weil ich anders aussehe? Ich arbeite schon seit vielen Jahren sehr hart und habe zwei vierjährige Studiengänge abgeschlossen: klassische Musik und Jazz. Aber trotz meiner Expertise muss ich mich immer wieder beweisen und um mein Ansehen kämpfen. Sowohl in der Klassik als auch im Jazz wurde mir immer wieder nahegelegt: Du gehörst nicht zu uns.
Wie zeigt sich das konkret?
Ich kriege zum Beispiel bei den Veranstaltern den Exoten-Platz im Programm ab und werde gebucht, wenn noch etwas „Untypisches" gesucht wird. Ich bin in der Regel Rahmenprogramm; das verletzt manchmal auch. Ich würde gern dazugehören, ohne dass ich mich musikalisch anpassen muss. Ich fühle mich oft als Musikerin, teilweise auch als Mensch zweiter Klasse.
Wie sieht in Ihren Augen ein ideales Musikleben aus?
Meine Sehnsucht ist es, dass wir nicht mehr in Schubladen von Klassik, Jazz oder Ähnlichem denken. Wir machen doch alle Musik; das vereint uns. Ein Vorbild aus der Theaterwelt ist das Maxim Gorki Theater. Ein Orchester, das dieser Herangehensweise entsprechen würde, gibt es aber in Berlin nicht. Warum gibt es in dieser Stadt mit so vielen großartigen, diversen Musikerinnen und Musikern nicht ein solches Ensemble mit einer stabilen finanziellen Basis und eigenem Raum?
Was halten Sie von Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra?
Es ist eindeutig sehr bemerkenswert, was Daniel Barenboim mit diesem Orchester erreicht hat. Was aber dort musikalisch passiert, ist der ganz normale klassische Kanon, bestehend aus rund 50 weißen, männlichen, längst verstorbenen Komponisten, den alle anderen klassischen Orchester auch spielen.
Reisen Sie manchmal in den Iran, die Heimat Ihrer Eltern?
Ich kann einreisen, aber es ist riskant. Ich kann dort sogar arbeiten, wenn ich den Verhaltenskodex einhalte. Aber sobald ich persischen Boden betrete, löst sich quasi meine deutsche Staatsangehörigkeit auf. Ich bin dann Iranerin; und das ist nun mal kein demokratisches Land.
Wie kann man sich Ihren Alltag in Berlin vorstellen?
Ich bemühe mich darum, Alltags-Rhythmen zu entwickeln. Aber das klappt nicht immer. Ich versuche, mich jeden Tag einmal draußen zu bewegen, meine Gesangsübungen zu machen und freue mich, wenn neben dem ganzen Papierkram auch Zeit zum Klavierspielen und Komponieren bleibt.
Was hält Sie von den guten Vorsätzen ab?
Ich muss zu viel organisieren: die Proben mit den vielen Musikern koordinieren; die Noten müssen da sein, die Anträge auf Fördergelder gestellt werden. Da ist die Bürokratie sehr kompliziert. Vom Senat bekommen wir die Basisförderung Neue Musik. 25.000 Euro für ein Orchester, für ein ganzes Jahr – das ist viel zu wenig. Obwohl ich natürlich dankbar bin, dass wir überhaupt etwas bekommen. Außerdem ist es mir sehr wichtig, für meine Familie Zeit zu haben und möglichst den Sonntag freizuhalten. Wenn ich allein wäre, würde ich das nicht schaffen. Neben unserem Trickster-Team ist auch mein Mann eine große Unterstützung.
Was macht denn Ihr Mann beruflich?
Er spielt Kontrabass in meinem Orchester, ist also auch immer involviert. Ich würde mir einen dauerhaften Assistenten wünschen, sodass ich Arbeit abgeben kann. Das geht jetzt nur phasenweise, wenn das Geld dafür da ist.
Wie lief es bei den Aufnahmen für die neue CD?
In der Regel bin ich überrascht, wenn nichts schiefgeht … Bei der CD-Aufnahme habe ich es trotz langer, langer Vorlaufzeit nicht geschafft, alle Musiker für zwei Tage in einen Raum zusammenzukriegen. Aber aus solchen Vorkommnissen können auch schöne Dinge entstehen. Ursprünglich wollte ich das erste Lied auf der CD gar nicht selbst singen. Jetzt freue ich mich darüber, dass ich diesen hebräischen Test singen darf, obwohl das nicht meine Muttersprache ist.
Auf dem Album singen Sie in mehreren Sprachen.
Ich habe eine große Freude und Leidenschaft dafür und fange an, in diesem Bereich mutiger zu werden. Warum auch nicht? Bei klassischen Sängerinnen und Sängern ist es ganz normal, dass sie in anderen Sprachen singen, auch wenn sie diese gar nicht beherrschen.