Der Arc de Triomphe in Paris zählt zu den bekanntesten Wahrzeichen Frankreichs. Ab Mitte September soll er sich in ein Monument der Poesie verwandeln. Nach einer frühen Idee von Christo wird der Triumphbogen dann verhüllt – allerdings nur für kurze Zeit.
Am Abend, wenn die tief stehende Sonne lange Schatten wirft, und Wind durch die Straßen zieht, wird es wohl am schönsten sein. Flatterndes Nylon wird dann die in Heldenposen erstarrten Statuen bedecken, fließendes Gewebe den harten Stein umhüllen. Das Blau des Stoffes wird leuchten, die silberne Beschichtung weiß glänzen, die roten Seile dem Ganzen Struktur geben. Wer jahrzehntelang unermüdlich daran arbeitet, seine Idee umzusetzen, überlässt nichts dem Zufall. So sind die Farben dezent, aber nicht willkürlich gewählt. „Bleu, blanc, rouge": Man könnte denken, der Triumphbogen sei in eine Art Trikolore eingepackt.
Eines der bekanntesten Symbole Frankreichs, ein Gedenkort für die Siege der Grande Armée unter Napoleon und ein Mahnmal für das Drama der Weltkriege, wird sich in ein Monument der Poesie verwandeln. Am 18. September ist es soweit: 312 Tonnen Stahl für die Unterkonstruktion, drei Kilometer Seil, 25.000 Quadratmeter Stoff werden dann verbaut sein. Kunst im großen Stil zu zeigen, war immer die Leidenschaft von Christo und Jeanne-Claude. Auch wenn beide Künstler nicht mehr am Leben sind, soll ihre letzte Idee für eine temporäre Installation jetzt verwirklicht werden. Die neben dem Eiffelturm wohl berühmteste Sehenswürdigkeit von Paris wird verhüllt – wie immer nur für kurze Zeit. „Mit dem Verhüllen verdeckt man dekorative Elemente und unterstreicht die Grundformen und Proportionen eines Objekts. Auch die Stoffgewänder vieler griechischer Skulpturen deuten ja oft nur an, ohne Details zu zeigen. Spannend wird es, wenn man etwas Bekanntes auf einem Schlag in etwas komplett Neues verwandelt", erklärte Christo in einem Gespräch seine Motivation. Angefangen hatte alles mit einem Stapel an Magazinen, einem Telefonapparat, ein paar Champagnerflaschen. Dann kamen ein Motorrad, ein VW-Käfer, ein Baum. Es gibt aber auch „packages", denen man gar nicht ansieht, was in ihnen steckt. Passten die Objekte anfangs noch in eine Galerie, wurde der Kunstgriff später auf Gebäude und ganze Landschaften übertragen. Der Verkauf von Zeichnungen und Ausstellungen brachte das Geld ein: „Wenn wir uns um Sponsorengelder oder staatliche Förderung kümmern müssten, bliebe die Kreativität auf der Strecke." Die Verhüllung des Pariser Triumphbogens wird etwa 14 Millionen Euro kosten.
Christo und Jeanne-Claude haben immer wieder scheinbar Unmögliches möglich gemacht, indem sie Bauwerke wie den Berliner Reichstag verhüllten und Landschaften in aller Welt mit Kunst im großen Stil verfremdeten. Ein mehr als zwei Kilometer langer Küstenstreifen bei Sydney wurde eingepackt. In Colorado überspannte ein fast 400 Meter breiter und bis zu 111 Meter hoher Vorhang ein Tal. Ein Zaun schlängelte sich 40 Kilometer weiß leuchtend über die hügelige Landschaft Kaliforniens, bis er im Pazifischen Ozean verschwand. In der Biscayne Bay vor Miami waren es elf Inseln, die rosafarbener Stoff umgab. Noch aufwendiger waren 3.100 Schirme, aufgestellt zeitgleich in Kalifornien und Japan. Dann kamen der verhüllte Reichstag und ein Projekt in New York, bei dem 7.500 Tore mit safrangelbem Schleier den Central Park verwandelten. Beim letzten Mammutprojekt ließen die Künstler vor fünf Jahren Besucher am italienischen Iseosee auf goldfarbenen Stegen übers Wasser wandeln.
Turmfalken-Paar und Pandemie bremsten Projekt
1985 hatten Christo und Jeanne-Claude die Pariser Seine-Brücke Pont Neuf verhüllt. Damals war der Widerstand in der Stadt noch enorm. Dieses Mal ging alles vergleichsweise flott voran, in weniger als fünf Jahren vom ersten offiziellen Antrag bis zur Realisierung. Eigentlich hätte es zwar schon im April vergangenen Jahres soweit sein sollen. Ein Turmfalken-Pärchen verzögerte aber das Projekt: Weil die Tiere am Triumphbogen nisten und im Frühling ihren Nachwuchs aufziehen, verschob man erst auf den Herbst –
und dann wegen der Pandemie auf 2021. Die Idee, den Triumphbogen zu verhüllen, ist aber deutlich älter: Christo hatte sie 1961 entwickelt, nachdem er aus dem kommunistischen Bulgarien nach Paris geflüchtet war und dort seine Partnerin Jeanne-Claude kennengelernt hatte.
„Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris." Notiert hat das ein großer Frankreich-Fan und Korrespondent zu einer Zeit, als keine europäische Stadt dynamischer und freier war als die Metropole an der Seine. Natürlich ist Paris nicht mehr die Stadt des im 19. Jahrhundert aus der Enge Deutschlands geflüchteten Heinrich Heine. Doch noch immer schlägt das Herz der Stadt auf der berühmten Champs Élysées, die auf den Triumphbogen zuführt.
Keine andere Prachtstraße hat das Flair der knapp zwei Kilometer langen und 70 Meter breiten Avenue, die vom Louvre nach Westen führt. Früher war hier eine Sumpflandschaft, später entstanden königliche Gärten und noble Wohnungen, dann kamen mit der Weltausstellung 1900 die Geschäfte. Heute gibt es hier alles: Michelin-Restaurants und eine McDonald’s-Filiale, Billigklamotten-Shops und Nobelmarken, kleine Boutiquen und die prächtige Dependance des Kaufhauses Galeries Lafayette. Nicht alles wird bleiben, manches wird anders werden.
Blumen statt Beton: Das ist die Devise von Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Ein grünes Band aus Bäumen und Gärten soll sich auf der Avenue zu einer Parkanlage verbinden. Schon jetzt ist der erste Sonntag im Monat autofrei: Stühle stehen dann auf der Fahrbahn, es gibt Filmvorführungen unter freiem Himmel. Bis zum Beginn der Olympischen Spiele 2024 soll der Place de la Concorde begrünt werden, dann ist der Rest der wichtigen Hauptverkehrsader an der Reihe.
Nach Umbauten ist der restaurierte Arc du Carrousel, ein kleiner Triumphbogen aus der Zeit Napoleons, wieder das Schlüsselloch für die wichtigste Sichtachse der Metropole. Sie nimmt bei der Glaspyramide im Hof des Louvre ihren Anfang, verläuft durch die Tuilerien-Gärten und endet im Geschäftsviertel La Défense, wo mit dem Grande Arche inzwischen ein futuristischer Kubus die Wolkenkratzer dominiert. Genau mittendrin, am Place Charles de Gaulle, steht der große, in aller Welt als Wahrzeichen Frankreichs bekannte Arc de Triomphe de l’Étoile.
Silbriger Stoff als Andenken
Hunderte von Arbeitern werden die nächsten Wochen schuften, bis der Arc de Triomphe mit dem bläulich-silbrig glänzendem Stoff und rotem Seil eingepackt sein wird. Wer ein Ticket hat, wird ab dem 18. September durch die enge Wendeltreppe auf die Aussichtsplattform steigen dürfen. Alle anderen können das Kunstwerk dann von einer der zwölf Straßen sehen, die sternförmig auf den Triumphbogen zuführen. „Es wird wie ein lebendiges Objekt sein, sich im Wind bewegen und das Licht reflektieren", beschrieb Christo sein Vorhaben. Und antwortete auf die Frage, warum alles nach 16 Tagen abgebaut wird: „Unsere Projekte sind immer nur für kurze Zeit zu sehen. Wir borgen uns öffentlichen Raum und schaffen ein Erlebnis, das man nur einmal im Leben haben kann."
Helfer werden zwar vor Ort kleine Stücke des silbrig glänzenden Stoffs als Andenken verschenken. Doch war es das dann, jetzt endgültig? Bleibt von Christo und Jeanne-Claude, abgesehen von den Entwurfsskizzen in den Museen, bald nur noch die Erinnerung? Das Vergängliche war immer ihr Markenzeichen. Doch parallel arbeiteten die beiden Künstler immer auch an der Realisierung eines permanenten Projekts, obwohl das die Öffentlichkeit kaum mitbekam.
Schon 1977 hatte das Paar die Idee, im Wüsten-Emirat Abu Dhabi eine Mastaba zu errichten. „Eine Mastaba ist eine alte geometrische Form: Vorne und hinten senkrecht, an den Seiten geneigt und oben flach. Man kann sich das wie eine Bank vorstellen, auf die man sich zum Ausruhen setzt", erklärte Christo dem Reporter bei ihrem letzten Treffen in seinem New Yorker Atelier. Dann grinste der Künstler verschmitzt, denn natürlich soll es nicht irgendeine Parkbank werden. Sondern eine für einen Riesen – 150 Meter hoch, imposanter als die Pyramiden, gebaut aus 410.000 Ölfässern.
150 Arbeiter sind eingespannt
Als Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer 1961 hatte Christo in Paris in einer temporären Aktion die schmale Rue Visconti mit gestapelten Ölfässern versperrt – natürlich illegal. Für das Mastaba-Projekt in der Nähe der Liwa-Oase, also dort, wo die Dünen von Abu Dhabi am höchsten sind, braucht es nun Genehmigungen.
„Wir machen, was wir wollen, wo wir wollen, wie wir wollen. Aber nur leider nicht immer, wann wir wollen", sagte Christo. Das Mastaba-Projekt ist nun schon 44 Jahre lang in Arbeit, Ingenieure haben eine Machbarkeitsstudie entwickelt. Doch wird das Projekt nach dem Tod der Künstler noch verwirklicht? „Ich weiß noch nicht, wann und wie", meint Christos Neffe Vladimir Yavachev, der jetzt Regie führt. „Aber wir bekommen das auch noch hin."
Zunächst liegt der Fokus aber auf dem Projekt in Paris. Seit Mitte Juli sind am Triumphbogen Kräne und Kletterer im Einsatz, um die Skulpturen und Reliefs des Monuments mit Stahlkörben zu schützen. In der dritten Septemberwoche sollen dann 150 Arbeiter die Stoffbahnen ausrollen und verschnüren. Gearbeitet wird in Acht-Stunden-Schichten rund um die Uhr.
„Es ist wie bei allen Projekten: Vorher können sich die Leute nicht vorstellen, wie es aussehen wird. Wir haben uns ja nie wiederholt, sondern immer wieder etwas Neues ausprobiert", sagte Christo über die Wirkung des Vorhabens. Und gab ein Versprechen: „Die Verhüllung des Triumphbogens wird nicht nur spektakulär sein, sondern auch spektakulär schön."