Für Borussia Mönchengladbach und den neuen Trainer Adi Hütter lief der Auftakt in die neue Bundesliga-Saison mehr als durchwachsen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand – und bestanden auch schon vor dem Trainerwechsel.
Es lief die letzte Minute der vergangenen Saison. Borussia Mönchengladbach steht auf dem Platz, der sie für die Conference League qualifiziert. Doch Max Kruse ist im Trikot von Union Berlin zur Stelle und köpft die Köpenicker in den ungeliebten Wettbewerb – und die Gladbacher aus dem internationalen Geschäft. Für viele war das eine Momentaufnahme, eine kleine fußballromantische Geschichte, in der die kleinen Berliner den Gladbachern die Party vermiesen konnten. Denn Gladbach spielte im Vorjahr noch in der Champions League und Union spielt jetzt das dritte Jahr in der Bundesliga. Nach dem 2:1-Erfolg der Berliner über Adi Hütters Gladbacher am letzten Bundesligaspieltag vor der Länderspielpause sind sich viele Fans dieser Sache nicht mehr so sicher. Die Saison ist noch jung, erst drei Spieltage gespielt, nichtsdestotrotz ist der Start der Borussia alarmierend.
Roses Abgang hinterließ offene Wunden
Ein kleines Pünktchen hat die Borussia in drei Spielen ergattern können und steht auf einem ernüchternden 15. Platz. Zur Wahrheit gehört auch, dass es das Anfangsprogramm durchaus in sich hatte. Zuerst Rekordmeister und Liga-Primus Bayern München, danach zwei Auswärtspartien hintereinander bei den heimstarken Teams Bayer Leverkusen und Union. Gegen die Münchner sah es zudem ordentlich aus, mit ein bisschen mehr Fortune und ein wenig mehr Fingerspitzengefühl des Schiedsrichters hätten es am Ende sogar drei Punkte sein können – doch Fußball findet nicht im Konjunktiv statt. Beim deutlichen 0:4 in Leverkusen waren die Gladbacher chancenlos, verschossen sogar noch einen Elfmeter.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen spielt sicherlich die Verletzungsmisere mit hinein. Gegen Union fehlten Hütter Matthias Ginter (Corona), Marcus Thuram (Innenbandriss), Stefan Lainer (Knöchelbruch), Breel Embolo (Trainingsrückstand) und Manu Kone (Innenband). Trotzdem: Auf dem Platz ist vieles, was die Gladbacher so spielen, ansehnlich, immerhin hat Hütter taktisch auf Experimente verzichtet, sondern setzt auf das für den zusammengehaltenen Kader etablierte 4-2-3-1. Leider sind auch die Probleme auf dem Platz aus der Vorsaison allzu bekannt: Trotz viel Ballbesitz (in Berlin 68 Prozent) und mehr Torschüssen (18:12) überbieten sich die Borussen in Harmlosigkeit. Der Gegner war schnörkelloser – und dabei effizienter und entschlossener. Hinzu kommen naives Verhalten, zahlreiche individuelle Fehler, wie von Jordan Beyer beim 0:1 – als Ersatz-Innenverteidiger. I-Tüpfelchen: Unordnung bei Ballverlusten und Kontern. „Eine unglückliche und bittere Niederlage", befand Trainer Adi Hütter, „weil sie meiner Meinung nach in dieser Form nicht verdient war." Tatsächlich war die Borussia zwar über weite Strecken des Spiels feldüberlegen, dadurch werden aber keine Spiele gewonnen. Sicherlich kombinierten die Gladbacher ganz ordentlich, jedoch nur bis kurz vor die Gefahrenzone – dann hatte es sich mit Ideen und Kreativität. Dabei zeigte Union, wie es auch aussehen kann, mit Entschlossenheit. Union hatte viel weniger Ballbesitz, machte aber in jedem Angriff deutlich, dass sie mit dem Ball so schnell wie möglich Richtung Yann Sommers Tor wollen. Quasi das Gegenteil der Gladbacher. Mittelfeldmann Christoph Kramer wurde deutlicher als der Trainer: „Wir können damit nicht zufrieden sein und müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen", so der Ex-Nationalspieler.
Ein Teil der Wahrheit sei allerdings auch, „dass unser Auftaktprogramm auch nicht ganz einfach war. Alle drei Gegner waren in der vergangenen Saison nicht zu Unrecht vor uns, da hängen die Trauben entsprechend höher", so Kramer. Für Hütter werden die kommenden Wochen nicht leicht, so ist das eben im Haifischbecken Profifußball. Dass nach drei Spieltagen schon von wachsendem Druck die Rede sein wird, ist klar. Hütter kam mit hohen Erwartungen nach Gladbach, aufgrund der freudlosen Rückrunde unter Marco Rose. Nach dessen beschlossenem Abgang sollte Hütter der Neuanfang sein. Innerhalb des Fanlagers macht sich jedoch auch eine gewisse Skepsis breit. Der Abgang von Rose zur anderen Borussia aus Dortmund hat eine enorme Fan-Wut nach sich gezogen, weil Rose sich zuvor noch zum Verein bekannt hatte. Das gleiche Bild gab Hütter in Frankfurt ab, bevor er dann urplötzlich doch zur Borussia wechselte. Beide, Rose und Hütter, haben dies mit einem ungewöhnlichen Formabfall ihrer bisherigen Teams und einem spürbaren Imageverlust ihrer Person bezahlt. Das hat nicht unbedingt geholfen, bei den Fans im Sommer Euphorie auszulösen. Hütter ist sozusagen in einer gewissen Bringschuld – und da helfen nur Erfolge.
Schwere Wochen stehen bevor
Dass Hütter nicht gerade optimale Voraussetzungen vorfand, dafür kann der Fußball-Lehrer nichts. Denn sein Start wurde in den vergangenen Wochen von einer permanenten Unruhe innerhalb des Kaders begleitet. Bis auf Torwart Yann Sommer waren fast sämtliche Leistungsträger Spekulationen auf dem Transfermarkt ausgesetzt, von Denis Zakaria über Alassane Pléa und Florian Neuhaus bis Marcus Thuram, zuletzt wurde in der Gerüchteküche über ein Interesse der Bayern an den Nationalspielern Jonas Hofmann und Matthias Ginter berichtet. „Ich habe mit Brazzo nie wegen Jonas verhandelt. Es gab nie ein konkretes Angebot von Bayern, es gab nie konkrete Gespräche mit Bayern München wegen Jonas Hofmann. Deswegen kann ich‘s heute auch sagen. Es gab nichts", sagte der 47-Jährige vor dem Spiel bei Union. Ginters Vertrag hingegen läuft im nächsten Sommer aus, bislang konnten ihm die Gladbacher kein neues Angebot vorlegen. Dennoch sieht Eberl aktuell auch hier keinen Wechsel beispielsweise im Winter kommen: „Wir haben Stand heute keine ernsthaften Gespräche. Unser Kader steht." Bislang sind alle diese Wechselspekulationen zerstoben, der hochwertige Kader aus dem Vorjahr ist noch vollständig erhalten, aber all die Gerüchte haben Spuren hinterlassen. Zumal die genannten Spieler selbst wenig getan haben, den Spekulationen entgegenzutreten und sich zur Borussia zu bekennen.
Da nun das Transferfenster geschlossen ist, hat Hütter endlich die Planungssicherheit. Am Wochenende kommt Arminia Bielefeld in den Borussia-Park, es wird das erste Spiel sein, bei dem ein Sieg wirklich Pflicht ist. Sollte es dann erneut nicht klappen, könnte es noch ungemütlicher werden. Weil auch in Sachen Neuzugänge nichts mehr passiert ist. „Wir werden nicht mehr aktiv. Niemand ist an uns herangetreten, dass er sich verändern möchte."
Vereine wie Union ziehen vorbei
In Gladbach schauten sie am letzten Spieltag ein wenig neidisch auf den Gegner aus Berlin und das, was Urs Fischer als Trainer der Eisernen aufgebaut hat. Fischer war übrigens auch mal als Rose-Nachfolger im Gespräch. Das hat sich jedoch schnell erledigt, Fischer weiß, was er an Union hat. Hütter weiß das bis jetzt noch nicht. Doch so schnell der Verein in eine Krise rutschen kann, so schnell kann er auch wieder rauskommen. Vor allem dann, wenn erst drei Spieltage gespielt sind. Zudem sind die Probleme eher als eine Fortsetzung der Misere aus der vergangenen Saison als ein reiner Fehlstart zu betrachten.
Schon in der Vorsaison waren die Erwartungen mit dem teuersten Kader der Vereinsgeschichte größer als ein biederer Platz acht und das Last-Minute-Aus im Kampf um die neue Conference League – selbst das Trostpflaster wurde kläglich verpasst. Sollte das Spiel gegen Arminia Bielefeld gewonnen werden, würde das die Gemüter in Gladbach wieder beruhigen. So richtig ruhig wird es aber erst, wenn die Geister aus der vergangenen Saison komplett vertrieben sind. „Ich möchte nicht verwalten, sondern gestalten", hat Max Eberl im Interview mit der „Rheinischen Post" gesagt, als es um seine „Visionen" ging.
Er hat feststellen müssen, dass die Realität momentan eine andere ist. Matthias Ginter und Denis Zakaria sind mit auslaufenden Verträgen geblieben, ohne dass nun das Geld da wäre für eine Verlängerung. Die andere Frage ist, wie zufrieden sie sind. „Selbst wenn der Markt sich wieder normalisiert, drohen zwei ablösefreie Top-Abgänge, Wermutstropfen im Wert von 60 Millionen Euro. Auch der nächste Sommer wird wahrscheinlich keiner, wie er früher einmal war", analysiert die Lokalzeitung. Rosige Aussichten sind das keine.