Bis Ende Juli sah es gut aus für die Berliner CDU und ihren Spitzenkandidaten Kai Wegner. Auf niedrigem Niveau war man mit 21 Prozent in den Umfragen zeitweise auf Platz eins. Nun bewahrheitet sich die Faustformel, Bund schlägt Land, wenn die Bundestags- mit der Landtagswahl zusammenfällt.
Es ist der Termin-Klassiker im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl: die Einladung zur Freischaltung des Wahl-O-Mat. Auch CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner war der Einladung der Landeszentrale für Politische Bildung gefolgt und stellte sich den Fragen. Dabei sind alle Spitzenkandidaten bemüht, die größtmögliche Übereinstimmung mit der eigenen Partei hinzubekommen. Als wenig authentisch gelten dabei 100- Prozent-Ergebnisse, richtig gut klingt irgendwas zwischen 90 und 95 Prozent. Franziska Giffey von der SPD, FDP-Mann Sebastian Czaja oder die Grüne Bettina Jarasch schafften das zielgenau. Nur Kai Wegner von der CDU fiel etwas aus dem Rahmen. Nicht mit 100, sondern mit „nur" 78 Prozent Übereinstimmung zum CDU-Wahlprogramm. Ein großes Hallo der politischen Konkurrenz war ihm damit sicher. Wegner grinste trotzdem unter seiner Maske und begründete gegenüber FORUM sein Ergebnis damit, dass er mehrfach neutral angeklickt hätte, obwohl er ja, zum Beispiel zur Enteignung Deutsche Wohnen, den Standpunkt seiner Partei bestens kennen würde.
Insgeheim ärgerte sich Wegner über seine vornehme Zurückhaltung. Er ist seit mehr als 30 Jahren bei der CDU dabei und weiß nur zu gut: Der heutige Wahlkampf lebt vor allem von Bildern. Strahlende Sieger will der Wähler sehen. Mit seiner Zurückhaltung ist der 48-Jährige allerdings bislang ganz gut gefahren, denn die CDU-Berlin ist schon seit Jahren eher ein beschaulicher Ort der Mittelmäßigkeit. Die Zeiten eines Polit-Haudraufs der Kategorie Klaus-Rüdiger Landowsky sind seit 20 Jahren vorbei. Bundesweit hatte er Ende der 90-Jahre für Schlagzeilen in seiner Beurteilung von Sozialbau-Quartieren mit dem Satz gesorgt, „wo Müll ist, sind auch Ratten".
Kai Wegner sitzt zwar seit 16 Jahren im Bundestag, trotzdem ist er bis heute den Vorturnern in seiner Bundespartei nicht weiter aufgefallen. Nicht nur das, auch den Berlinern, für die er ja Politik macht und deren Bürgermeister er nun werden will, ist er weitgehend unbekannt. Ursprünglich gab es einen ganz anderen Plan, bei dem Kai Wegner als Spitzenkandidat gar nicht vorgesehen war. Bis Mai 2019 war die Kulturstaatsministerin im Kanzleramt, Monika Grütters, Vorsitzende der Berliner CDU. Nicht ganz freiwillig. Es war ihre direkte Vorgesetzte, Bundeskanzlerin Merkel, die Grütters im Herbst 2016 eindringlich darum bat, den Berliner Problemverband endlich zu befrieden, nachdem Frank Henkel nicht mehr antrat. Grütters tat ihrer Freundin den Gefallen und wurde tatsächlich mit 78,4 Prozent zur Landeschefin gewählt.
Bundestrend macht der Berliner CDU zu schaffen
Der damalige Generalsekretär der Berliner CDU, Kai Wegner, schmiss nach der Wahl der Merkel-Freundin hin. „Ich wollte damals der inhaltlichen Veränderung der Berliner CDU nicht im Wege stehen", beschreibt Wegner seinen Rückzug. Das Ergebnis bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September 2016 war mit 17,6 Prozent das schlechteste, was die Berliner Christdemokraten je eingefahren hatten. Grund dafür waren die andauernden Querelen. Das sollte nun mit Grütters an der Spitze anders werden. Das Problem: Sie hatte beinah keinen Bezug zur Berliner Landespolitik und war in der Berliner CDU auch nicht wirklich vernetzt. Damit gingen die Sticheleien munter weiter. Nach nicht mal zweieinhalb Jahren gab Grütters schließlich entnervt auf, und Kai Wegner war am Ziel.
Er übernahm von Grütters den Landesvorsitz, sorgte halbwegs für Ruhe im Berliner Laden, obwohl auch der gebürtige Spandauer als Bundestagsabgeordneter mit der Berliner Landespolitik weniger Schnittstellen hat. Aber nach 30 Jahren in der Berliner CDU verfügte Wegner über ein weitgestricktes Netzwerk, was seinem parteiinternen Konkurrenten Burkard Dregger als westdeutschem Neuzugang komplett fehlt. Dregger ist Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, gilt als sehr umgänglich und ebenfalls eher als Hardliner denn als Liberaler, wie Grütters oder ihr Vorgänger Henkel. Doch Dregger steckte zurück, obwohl ihm aus mehreren CDU-Kreisverbänden eine Kampfkandidatur zum Spitzenkandidaten der CDU zur Abgeordnetenhauswahl gegen Wegner nahegelegt wurde.
Dregger kennt den Berliner Unions-Laden seit zehn Jahren und geht davon aus: Unterstützt er jetzt Wegner, wird ihm das zukünftig politisch mehr helfen als schaden. Im Zweifelsfall steht er bei der nächsten Bundestagswahl ganz vorne auf der Berliner Landesliste. Diese Finessen der Politik hat Dregger von seinem Vater gelernt, dem unvergessenen CDU-Hardliner Alfred Dregger, der immer unter Helmut Kohl zu leiden hatte. Wie der Vater so der Sohn, und auch er geht eher den konservativen Weg.
Doch die Berliner CDU wäre nicht die Berliner CDU, wenn selbst im anstehenden Wahlkampf nicht plötzlich wieder einer aus der Reihe tanzen würde. Der ehemalige CDU-Gesundheitssenator Mario Czaja wirft Kai Wegner einen „riskanten Rechtskurs" vor. Sein Vorwurf: Wegner stehe nach seinem Eindruck dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz und CDU-Direktkandidaten in Thüringen Hans-Georg Maaßen näher als Bundeskanzlerin Merkel und dem Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Wegner aber wollte sich von Maaßen nicht so klar distanzieren, wie das von Mario Czaja gefordert wurde. Doch der Frontal-Angriff gegen den Berliner CDU-Spitzenkandidaten aus den eigenen Reihen kommt nicht von ungefähr. Mario Czaja wurde und wird von Monika Grütters protegiert. Politisch kämpfen die beiden ums Überleben, und es sieht nicht gut aus. Der Bundestrend macht nicht nur ihnen, sondern auch der Berliner CDU insgesamt zu schaffen.
Dabei sah es zeitweise für die Berliner Christdemokraten richtig gut aus. In den Umfragen stürzten, aufgrund des fortgesetzten „Baerbockens", zuerst die Grünen im Bund und damit in der Folge auch in Berlin ab. Je nach Umfrage lag die Berliner CDU zeitweise auf Platz eins, selbst Spitzenkandidat Kai Wegner rieb sich verwundert die Augen. Doch nun macht auch ihm der „Laschet-Effekt" zu schaffen. Die Berliner CDU liegt in den Umfragen zwar weitgehend stabil auf Platz zwei, diesmal allerdings nicht hinter den Grünen, sondern der SPD. Jetzt könnte sich bei der Berliner CDU rächen, dass man selbst den ursprünglichen Plan fallen gelassen hat. Mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters hätte die CDU jetzt ebenfalls eine prominente Bundespolitikerin als Spitzenkandidatin, die SPD-Spitzenkandidatin Giffey in nichts nachsteht.
Ganz im Gegenteil: Grütters verfügt über einen persönlichen und vor allem politisch unbescholtenen Ruf, während sich Giffey nach dem Verlust ihres Doktortitels nun erneut mit Plagiatsvorwürfen ihrer Magisterarbeit rumärgern muss. Doch stattdessen kämpft jetzt der halbwegs unbekannte Kai Wegner gegen die Frau mit dem reichlich ramponierten, aber sehr prominenten Ruf um den Job des Regierenden Bürgermeisters.