Die Basketball-Bundesliga legt wieder los – doch die Favoriten-Frage ist schwer zu beantworten. Überall wurden die Kader neu zusammengestellt.
Die wichtigste Personalie im deutschen Basketball ist geklärt. Gordon Herbert, ein 62 Jahre alter Kanadier, wird neuer Bundestrainer. Herbert war zuletzt Assistenztrainer der Nationalmannschaft seines Heimatlandes, doch er führt auch gute Beziehungen zur Basketball-Bundesliga BBL. Kein Wunder, schließlich arbeitete er als Trainer bei s. Oliver Würzburg, Alba Berlin und gleich mehrfach für die Skyliners aus Frankfurt. „Die Liga ist exzellent. Sie hat die beste Infrastruktur von allen Ligen in Europa", schwärmte Herbert vor dem Startschuss der BBL-Saison 2021/22 mit dem Auftaktspiel von Alba gegen die Telekom Baskets Bonn am 23. September.
Der Titelkampf verspricht jedenfalls Spannung. Macht Alba Berlin mit einem neuen Trainer den Titel-Hattrick perfekt? Erobert sich der Branchenprimus Bayern München mit Wut im Bauch den Thron zurück? Können die Ludwigsburg Riesen diesmal ihrer Rolle als Geheimfavorit gerecht werden? Oder gelingt einem Überraschungsteam der große Coup? Vieles scheint möglich, denn einen großen Favoriten gibt es nicht.
Bei Titelverteidiger Berlin gab es im Sommer einen Umbruch – wieder einmal. Die Leistungsträger Niels Giffey, Simone Fontecchio, Jayson Granger und Peyton Siva, die maßgeblich an den jüngsten Erfolgen des Clubs beteiligt gewesen waren, verabschiedeten sich ins Ausland. Und auch auf der Trainerposition gab es eine bedeutende Veränderung: Der bisherige Associate Headcoach Israel Gonzalez stieg zum Cheftrainer auf, weil sich der 74 Jahre alte Meistermacher Aito Garcia Reneses ein Sabbatical gönnt. Die Umstellungsprobleme dürften sich aber in Grenzen halten, Gonzalez führt die Basketballlehre seines Mentors Reneses fast eins zu eins weiter. Zumindest in der Theorie.
„Ich möchte dieses schöne und begeisternde Basketballspiel weiter voranbringen", sagte der 46-Jährige, der nicht komplett ins kalte Wasser geworfen wird. Schon während Reneses’ Corona-Erkrankung war er wochenlang hauptverantwortlich für Spiele und Trainingseinheiten, außerdem wurde ihm viel Eigenverantwortung gewährt. Die Alba-Bosse betonen, dass sie vom neuen Chef an der Seitenlinie nicht erwarten, sofort die großen Fußstapfen auszufüllen. „Es geht nicht darum, Israel mit Aito zu vergleichen", meinte Alba-Geschäftsführer Marco Baldi. Der bisherige Schatten-Mann soll seine eigenen Qualitäten „ausleben", so Baldi, denn er sei „ein Trainer mit Erfahrung, einer eigenen Persönlichkeit, einem eigenen Temperament".
Neues Kapitel bei Alba Berlin
Und bald auch mit eigenen Erfolgen? „Mit Israel als Headcoach schlagen wir bei Alba ein neues Kapitel auf", sagte Sportdirektor Himar Ojeda. Doch in der Vorbereitung war deutlich zu erkennen, dass sich das junge Team erst noch finden muss. Missverständnisse, Ballverluste, Fehlwürfe und Probleme unter dem Korb kennzeichneten die ersten Testspiele. „Es war am Anfang noch etwas holprig", gab Center Johannes Thiemann zu. Bei den Neuzugängen ruhen viele Hoffnungen auf Tamir Blatt und Yovel Zoosman. Die beiden Israelis harmonieren schon im Nationalteam ihres Heimatlandes perfekt – was kein Wunder ist: Beide kennen sich seit ihrer Schulzeit, schon ihre Väter hatten sich vor 30 Jahren bei der Makkabiade, der größten jüdischen Sportveranstaltung, kennengelernt. „Einen guten Freund dabeizuhaben, ist ein großes Plus", sagte Blatt (24), und der ein Jahr jüngere Zoosman meinte: „Wir verstehen uns mit den Augen."
Bei Albas Dauerrivalen Bayern München gibt es auch reichlich neues Personal, die Ziele sind aber gleich geblieben: Alles andere als die Rückkehr auf den Basketball-Thron wäre für die Rot-Weißen eine Enttäuschung. Dafür sorgen soll Trainer Andrea Trinchieri, der in den Bayern „einen schlafenden Riesen und eine lodernde Glut" sieht, und sein Job sei es, „den Riesen zu wecken und das Feuer zu entfachen".
Trinchieri spricht vor allem den Umzug in die neue Arena Ende 2022 an, die dem Club die Möglichkeiten gibt, auch in der Euro League eine noch größere Rolle zu spielen. Bis dahin muss der Italiener ein wenig improvisieren, denn Stammspieler wie Jalen Reynolds und Wade Baldwin konnte der Pokalsieger aus finanziellen Gründen nicht halten. „Ich kenne die Größe des Rahmens, habe die Farben, aber noch nicht entschieden, was für ein Bild ich malen werde", sagte Trinchieri anschaulich: „Vielleicht wird es ein Picasso oder ein Kandinsky. Mal sehen."
Und einmal in Fahrt gekommen, wählte der Trainer gleich ein zweites Bild, um die nicht ganz problemlose Kader-Zusammenstellung zu beschreiben: „Wenn ich nicht mit Claudia Schiffer ausgehen kann, dann gehe ich eben mit Heidi oder Anna." Heißt: Auch die finanzstarken Bayern konnten sich längst nicht jeden Spieler leisten, den sie haben wollten. Die Liste der Neuzugänge kann sich dennoch sehen lassen, Leute wie Andreas Obst, Ognjen Jaramaz, Corey Walden oder Othello Hunter verfügen über viel Erfahrung. Außerdem blieb der Kern der Mannschaft bis auf die US-Profis zusammen, was Trinchieri als „Glück" bezeichnete. Spieler wie Vladimir Lucic, Leon Radosevic und Paul Zipser kennen seine Spielphilosophie.
Die Rückkehr von Nationalspieler Zipser ist aber noch nicht absehbar. Zwar trainiert er bereits wieder, doch überstürzen will bei den Bayern ein Comeback niemand. Zipser war beim Saisonfinale wegen einer Gehirnblutung notoperiert worden, dabei wurde ihm ein gutartiger Tumor entfernt. „Es ist gut, dass Paul bei der Mannschaft ist. Das wird ihm helfen, auch mental zurückzukommen", sagte Geschäftsführer Pesic, der mit Rückschlägen rechnet: „Aber das Wichtigste ist, dass er gesund ist."
Auch die MHP Riesen Ludwigsburg wird in diesem Jahr jeder auf dem Zettel der Meisterkandidaten haben. Der Club überraschte in der Vorsaison mit dem Hauptrundensieg, in den Play-offs scheiterte er aber im Halbfinale am späteren Champion Alba Berlin. Für den ersten Meistertitel der Vereinsgeschichte trimmt Trainer John Patrick das Team auf Zusammenhalt. Wer beim US-Amerikaner aus der Reihe tanzt, hat keine Chance. Zu spüren bekamen das seine Landsmänner Scottie James jr. sowie Quinton Hooker: Beide Sommer-Neuzugänge arbeiteten für Patricks Empfinden viel zu nachlässig in der Defensive mit – und wurden schnell wieder vor die Tür gesetzt.
Sowohl mit James jr. als auch mit Hooker wurden die Verträge aufgelöst, beide wechselten anschließend nach Israel. In beiden Pressemitteilungen zum Aus wurde der Trainer mit dem Satz zitiert, dass er sich freue, den Spieler kennengelernt zu haben. Was nicht dort geschrieben stand: Danach hatte Patrick keine Verwendung mehr für die beiden. So ein ungewöhnliches Vorgehen bringt natürlich Unruhe in den Verein, doch es macht den anderen Spielern klar und deutlich: Disziplinlosigkeiten werden geahndet, der Mannschaftserfolg steht über allem.
Halbfinalist Ulm ist in Lauerstellung
Einen kleinen Triumph feierten die Riesen in der Vorbereitung durch den Gewinn des EMS-Cups in Nürnberg. Sollten die Ludwigsburger ihrem Trainer folgen und dessen Ideen umsetzen, können sie auch in der neuen Saison vorne mitmischen. Zumal der Champions-League-Starter Mitte September längst noch nicht alle Ausländer-Lizenzen vergeben hatte und sich noch verstärken konnte.
Gut aufgestellt hat sich auch ratiopharm Ulm. Der Halbfinalist der Vorsaison ist besonders stolz auf die Verpflichtung von Cristiano Felicio, der ein wenig Glanz und Glamour in die Domstadt bringt. Schließlich hat der Center 258 Spiele in der nordamerikanischen Profiliga NBA in seiner Vita stehen, sechs Jahre bei den Chicago Bulls machen ihn zu einem Star in der BBL. „Dies ist wirklich eine ungewöhnliche Verpflichtung", sagte Ulms Sportdirektor Thorsten Leibenath. Felicio habe „trotz Angeboten aus starken europäischen Ligen" relativ schnell klargemacht, „dass er sehr gern in Ulm spielen möchte".
Geld ist nicht sein Antrieb, der 2,11 Meter große Profi hatte einst rund 27 Millionen Euro für einen Vierjahresvertrag bei den Bulls erhalten. „Unser Glück ist, dass er schon so viel verdient hat und gar nicht mehr so viel benötigt", gab Leibenath zu. Felicio will nach zwei Jahren als Bankdrücker einfach nur wieder spielen. „Er ist ambitioniert und möchte nicht mehr Reservist sein", erklärte Ulms Sportdirektor, der selbst nur an ein einjähriges Intermezzo des Stars glaubt: „Er sucht eine Plattform, bei der er sich für den europäischen Markt empfehlen kann." Das kann Felicio bei Ulm, das auch international im Euro-Cup vertreten ist.
Bei den Brose Baskets Bamberg werden große Dinge vor allem von Trainer Johan Roijakkers erwartet. Der 40 Jahre alte Niederländer will in seinem zweiten Jahr beim einstigen Serienmeister den Erfolg zurückbringen. Dafür will er defensiv ein „aggressives Mann-gegen-Mann-Team" sehen, und offensiv soll die Verantwortung auf alle Schultern verteilt werden. Roijakkers will sein Team für den Gegner unberechenbar machen. „Mit unserer Ballbewegung versuchen wir, schneller als die andere Mannschaft zu sein und Vorteile beim Close-out zu schaffen", erklärte er: „Unser bester Spieler wird immer der freie Mann sein."
Für eine Überraschung könnten auch die Baskets Oldenburg sorgen. Der Dritte der letzten Hauptrunde hat sich auf dem Papier sinnvoll verstärkt, vor allem der Transfer von Nationalspieler Bennet Hundt beflügelt die Fantasien bei den „Donnervögeln". Der 1,80 Meter große Point Guard war in der der vergangenen Spielzeit der zweitbeste deutsche Passgeber. „Bennet hat eine Schnelligkeit, die jede Defensive vor Probleme stellt und von der unser Fastbreak und die Halbfeld-Offensive profitieren werden", sagte Trainer Mladen Drijencic stolz über den Transfer-Coup.