Frisch, saisonal und gemüsig ist das Essen im „Bonvivant" schon immer. Mit dem neuen Küchenchef Nikodemus Berger wird es nun sogar lokal und klimafreundlich. Barchef Elias Heintz sorgt mit passenden Drinks für intensive Pairings sowie mit Erlebnisdrinks für besonderen Spaß im Glas.
Nikodemus Berger ist „der Neue" im „Bonvivant". Gerade einmal fünf Minuten Fußweg wohnt er von dem Schöneberger Lokal entfernt. „Ich war aber früher nie dort", sagt Berger. Reiner Zufall, denn am nördlichen Ende der Goltzstraße wird seit der Eröffnung vor zwei Jahren schon immer so gekocht, wie es der neue Küchenchef schätzt: gemüsefokussiert, regional und saisonal. Dazu kommen die aufs Essen abgestimmten Pairing-Drinks oder solche zum ereignisreichen „So-Trinken" von Barchef Elias Heintz.
Mit Nikodemus Berger hält eine stärkere Menübetonung auf der Karte Einzug. „Wir haben festgestellt, dass 80 bis 90 Prozent der Gäste nach Menüs fragen", sagt Mitinhaber Jules Winnfield, der das „Bonvivant" gemeinsam mit The Anh Nguyen betreibt. Die Teller sind aber weiterhin einzeln bestellbar. Schließlich wollen gerade die später oder spontan einfallenden Gäste am Abend manchmal nur eine Kleinigkeit zu den Drinks verzehren. Unübersehbar ist auch eine neue, schmucke Tellerkunst à la Casual Dining. Dem Küchenchef ist die Pinzette definitiv nicht fremd. Das verblüfft wenig: Berger kochte unter Felix Mielke, René Klages und zuletzt Sebastian Leyer im „Le Faubourg". Mit letzterem ist er befreundet, und über ihn kam der Kontakt zum „Bonvivant" zustande.
Wenn Berger nicht auf Leyers Hof in der Uckermark in seiner Freizeit beim Unkrautjäten oder bei der Gemüseernte hilft, treibt er sich mit seinem Küchenteam regelmäßig im nahen Grün herum. „Wir sind einmal in der Woche in der Natur und sammeln fleißig", sagt Berger. Im Gleisdreieckpark ließen sich etwa Kiefern- und Fichtensprossen finden, die beispielsweise zu Sirup verarbeitet werden. Kräuter wie Beifuß, wilde Möhre, wilde Pastinake oder Scharfgarbe sind dort ebenfalls zu finden. Sie kommen verarbeitet und verfeinert auf die Teller.
„Bald ist unser Team groß genug, um selbst zu fermentieren." So schafft Berger Vorräte für den Winter, in dem Holunder oder Nüsse nicht frisch vom Baum, aber aus den eigenen Gläsern zu haben sind. Vegetarisch und saisonal ist alles ohnehin. Regional bis lokal und damit möglichst klimafreundlich soll es ebenfalls sein. Aber bitte unverkrampft, sagt Berger: „Es darf auch Zitrone dabei sein." Scharfgarbe, Kornelkirsche, Johannesbeerholz und wilder Apfel aus eigener Sammlung spielen dieser Tage im „Stadtmenü" eine Rolle: Die „Berlin Food Week" setzt vom 20. bis 26. September ganz auf klimafreundliche Gerichte und Menüs. Das „Bonvivant" ist mit einem Drei-Gang-Menü für 45 Euro dabei – Sammelroute zum Nachmachen inklusive. Die Restaurants spenden ein Prozent ihres Umsatzes an die internationale Initiative Zero Foodprint. Sie unterstützt damit Betriebe vor Ort bei der Umstellung auf eine regenerative Landwirtschaft.
Schon das Amuse im „Bonvivant" zeigt sich so hübsch wie es klingt. Auf einem Nori-Algen-Chip tummeln sich ein Klecks vom mit Wermut-Apfelbalsam angemachten Kohlrabisalat und Karottenkaviar. Eine Bronzefenchelblüte schaut uns auffordernd an. Sie weiß, dass sie auf drei Quadratzentimetern einen hocharomatischen eigenen Akzent in der Gemengelage von Texturen und Geschmacksnoten setzt. Die Karotte verwandelte sich für die Miniperlen zunächst in ein Gelee, das aus einer Spritztüte getropft wurde. Eine ganze feine Aromenwelt tut sich in einem Happen auf. Was für ein vielversprechender Auftakt!
Pairings aus Essen und Trinken
Es folgt das Brot – schon immer kommt Sauerteigbrot von der „Keit"-Bäckerei. Ein Langos dagegen ist hausgemacht. Dazu gibt’s aufgeschlagene Salzbutter und Purple-Curry-Aioli. Das Warten auf den ersten „richtigen" Gang und die erste Getränkebegleitung vergeht rasch. Zur „Gurke vom Biohof Zielke" serviert Elias Heintze einen… ja, was denn? „Unsere Drinks zum Essen haben keine eigenen Namen", erklärt er. Teller und Glas sind durch eine gemeinsame Zutat verbunden, in diesem Fall Holunder. Der mittelgroß dimensionierte Drink ist die Ergänzung des Tellers und nicht regulär bestellbar. Zu jedem Gericht werden also neue Pairings entwickelt.
Die Gurke selbst wird als Salat mit Holunderblütenemulsion sowie als fermentierte Gurke mit Rauchmandeleis und einer Vinaigrette aus Holunderblütenkombucha und -öl gereicht. Im Glas wird Calvados mit Holunderblütensirup, Limettensäure, Kaffirlimettenblättern und Brło-Cider angereichert. Dass Elias Heintze aber auch ganz ohne Essen Großes kann, ist seit Februar klar: Das „Bonvivant" bot zum Valentinstag eine fein abgestimmte, liebevoll durchdachte und verpackte Cocktailbox mit sechs Drinks zum Zuhause-Finishen an, die unverzüglich Lust aufs Nochmal-Bestellen oder baldiges Wiederhingehen machte. Die frischen Gemüsegerichte pausierten in den Lockdowns; sie funktionieren nicht im Take-Away.
Ob „Tomate von Paddys Biolandhof", „Lauch von Bioland Bauers Garten" oder „Blumenkohl von der Bioland Gärtnerei Ulenburg": Die
Lieferanten sind wohlbekannte Namen in der ersten Liga der regionalen, nachhaltigen Produzenten. Wenn Nikodemus Berger und Team sich über Gemüse, Obst und Kräuter hermachen, werden diese so raffiniert verarbeitet, wie es kaum jemand selbst zu Hause nachzumachen vermag.
Charakteristische Noten bleiben immer erkenn- oder schmeckbar. Puffbohnen, halbgetrocknete Tomaten, Bohnenchips, Oreganocreme, Peperoni und Mozzarella Fior di Latte sind im Ring als rot-grünes Hack mit weißem Gezupfe und Knuspersegeln arrangiert. Sie werden lässig als „Bohnensalat" angekündigt und schmecken wie eine feine, komplexe Ausgabe davon.
Alles eine Frage des Geschmacks
Das Spiel mit Understatement, Raffinesse und Bodenständigkeit macht allen Beteiligten offenkundig Spaß. Ich mag die mit Misolack überzogenen Lauchröllchen mit süß-sauer eingelegten Zwiebelchen, fermentierter Senfsaat, gebratenen Pfifferlingen, Oreganocreme und Misoschaum besonders gern. Sommer, Umami und eine ordentliche Portion verspielter Hübschheit sind genau mein Ding. Ein Miso von „Mimi Ferments" kommt quasi von gleich ums Eck. Die Würzpaste aus fermentierten Sojabohnen, Reis, Getreide und Salz wird in Moabit hergestellt. Miso kann das, was in der „normalen" Küche der Job vom Tier ist. „Fleisch bringt intensive Geschmäcker", erläutert Nikodemus Berger. „Wir lösen das mit Miso und arbeiten viel damit." Zum Lauch-Teller gibt’s einen Hochlandsake. Er wird mit „genau sechs Tropfen Reis-Essig" abgerundet, die Elias Heintz am Tisch aus der Pipette hineingibt.
Den Weg zum Dessert nehmen wir durch Nachbars Kirschgarten. Eine Sauerkirsch-Mousse und eingelegte Früchtchen von Rolker Ökofrucht schmeicheln sich an ein Drachenkopf-Eis, Nussbutterganache und Hafercrumble heran. Auf der Wiese standen ein paar Ziegen herum, die ihre Milch für ein Eis gaben. Ach nein. Der Ziegenjoghurt als Basis dafür stammt von der Molkerei Andechs verrät der Blick auf die Karte.
Ganz ehrlich: Das ist nicht so meins. Die in Mezcal eingelegten Aprikosen sowie eine Aprikosencreme mit dem Agavenschnaps sind mir zu rauchig. Sorry, Limettenbaiser, sorry Küche, damit könnt ihr’s mir nicht recht machen. Es ist eine reine Geschmacks- und Präferenzsache. Viel mehr meins wiederum sind die Petit Fours: Himbeerküchlein mit einem Bonsai-Bergpanorama aus violetter, fermentierter Beerencreme und Lavendelblütenspitzen. Gelungene Rausschmeißerchen!
„Trinken mit Erlebnissen"
Nach so viel dienstlichem Schmecken und Teilen wünschen sich die Freundin und ich noch einen ganzen Cocktail für uns allein zum „Durchtrinken". Kein Problem für Elias Heintz: „Ich weiß genau, welcher Drink für dich ist", kündigt er meine Überraschung an. Ich bekomme im Weinglas ein apricotfarben opakes Getränk mit Zuckerfäden-Haarpuschel on top gereicht. „Masala und Steinfrucht" heißt es sparsam. Der Clou zur Kreuzung aus Weißwein, Bergpfirsich, Vanille und Chai ist eine alte schwarze Polaroid-Kamera. Passt! Jenseits der Profi-Liga bin ich diejenige, die ständig Essen als Erinnerungsstütze zum Schreiben und für Insta-Stories ablichtet. Elias Heintze macht ein Foto mit uns und Nikodemus Berger – was für eine schöne Erinnerung an diesen Abend!
Die Freundin clipst Pappkärtchen von ihrem Longdrink-Becher mit „Rhabarber & Ziege" ab. Der Barchef liebt die Kombi aus Ziegenkäse und Rhabarbermarmelade „Ich habe versucht, die Ziege in den Drink zu bekommen." Die Freundin sagt: Das gelang. Erfolgreich per Ziegenfrischkäse und mit Vodka solide alkoholisch grundiert. Wir rufen uns unsere Antworten unter anderem auf die Frage „Was war deine schlimmste Modesünde als Teenager?" zu und geraten über verschiedenste Jahrzehnte und ihre optischen Entgleisungen länger ins Gespräch. Das „Trinken mit Erlebnissen" funktioniert also ganz hervorragend. Wie lautete doch der Spruch zu meinem Polaroid-Drink auf der Karte? „Collect memories, not things. Keep them precious and cherish them." Das haben wir im „Bonvivant" gemacht und wiederholen es gern.