Wenn beim Hören von True-Crime-Storys knuffige Häkeltierchen entstehen, dann kann es sein, dass gerade Kathrin Gräser am Werk ist. Die 29-jährige Krankenschwester stellt auch Pullis, Mützen und Taschen her.
Langeweile muss nicht per se schlecht sein. Aus Langeweile ist schon so manche gute Idee entsprungen. So auch bei Kathrin Gräser. Die 29-jährige Krankenschwester entdeckte nämlich eine ihre bislang unbekannte Leidenschaft fürs Häkeln.
Wer jetzt die Augen rollt und an die Topflappen seiner eigenen Großmutter denkt, dem sei gesagt: Häkeln anno 1921 ist nicht vergleichbar mit Häkeln anno 2021. Die moderne Handarbeiterin lässt sich von Instagram, Pinterest und Facebook inspirieren und nicht von Burda-Schnittbögen.
„Ich bin durch einen Post auf Pinterest angefixt worden, zu Häkelnadel und Wolle zu greifen", erzählt die charmante Saarbrückerin, während sie ihren Ehemann samt Stafford-Mischling und Thailand-Ridgeback galant zum Spaziergang verabschiedet, um in Ruhe von ihrer neuen Passion zu erzählen. Also: „Vor vier Jahren habe ich auf Pinterest gesehen, wie jemand Disney-Prinzessinnen gehäkelt hat. Das fand ich ganz toll. Ich bin nämlich ein großer Fan von Disney. Da dachte ich mir, das versuche ich auch. Meine Oma hat mir vor vielen Jahren mit viel Hingabe versucht, stricken beizubringen. Aber irgendwie hat es mit den Stricknadeln und mir nicht sein sollen. Aber Häkeln, so wie die Frau auf Pinterest, das habe ich mir schon eher zugetraut."
Mit einem Puppen-Häkelset für fünf Euro hat sie losgelegt
Ein paar Tage später sei sie beim Einkauf im Saarbasar über ein Puppen-Häkelset gestolpert, wo alles dabei war: Wolle, Häkelnadeln, Häkelanleitungen und Füllmaterial für fünf Euro. Für Gräser war das wie ein Fingerzeig. Drei Wochen habe sie daran herumgedoktert. „Das Ganze sah aus wie von einer Dreijährigen", erzählt sie.
Doch so schnell wollte sie nicht aufgeben. Daraufhin habe sie sich diverse Youtube-Videos angesehen. Und sie habe sich immer wieder gesagt: So schwer könne es doch nicht sein, eine gerade Naht hinzubekommen. „Ich habe weiter experimentiert, genau studiert, wie häkelt man feste Maschen, Stäbchen, halbe Stäbchen, Luftmaschen, Kettmaschen", sagt Gräser.
Am Anfang habe in ihren Augen alles wie Kraut und Rüben ausgesehen. Je länger sie sich damit beschäftigt habe, desto mehr Spaß habe es ihr gemacht. Mittlerweile sind aus „Kraut und Rüben" unzählige Pullis, Handschuhe, Mützen und Taschen und vor allem lustige Tierfiguren geworden, die Kathrin Gräser regelrecht aus den Händen gerissen werden. Bären mit Latzhosen, Giraffen mit grünem Schal, graue Hasen mit rosa Röckchen und bunte Raketen tummeln sich im Wandregal im Wohnzimmer, in dem eine bunte Auswahl an Häkelkreationen steht.
Nicht nur Freunde und Familie sind ganz verrückt danach. Auch Kollegen und Beobachter der Facebook- oder Instagram-Seite von Kathrin Gräser wollen diese gehäkelten Wohlfühl-Tierchen ihr Eigen nennen. Gehäkelt wird in jeder freien Minute.
„Mittlerweile verkaufe ich meine Handarbeiten, habe deshalb auch ein Kleingewerbe angemeldet und eine CE-Kennzeichnung. Ohne Letzteres geht in Deutschland nämlich so gut wie nix." Mit der CE-Kennzeichnung bürge sie dafür, dass sie alle besonderen Anforderungen an das von ihr vertriebene Produkt kennt und dass ihre Produkte diesen entsprechen. So zum Beispiel sei sie dafür verantwortlich, dass von ihren Produkten keine Gefahren für Kinder ausgehen. Verständlich, dass es gar nicht so leicht für sie war, sich „in diese Verordnungen und Bestimmungen reinzufuchsen".
Mittlerweile weiß sie, wie sie vorgehen, was und wie sie die Anfertigung ihrer Schmusetierchen dokumentieren muss. „Ich häkele einen Dummy, schreibe dazu genau auf, welche Materialien ich verwende, wie ich alles zusammenhäkle und nähe, machen einen Feuer- und Reiß-Test. Dafür halte ich ein Feuerzeug an den Dummy und stoppe die Zeit, bis er zu brennen anfängt. Dann messe ich die Kraft, mit der ich an den Nähten ziehen muss, bis sie reißen", schildert sie. Jeder kleinste Schritt muss exakt dokumentiert und in einem Ordner abgeheftet werden. Zwar sei der Aufwand enorm, aber sie möchte sich auch nie dem Vorwurf aussetzen, die Richtlinien nicht eingehalten zu haben oder etwas herzustellen, was für Kinder unter drei Jahren nicht geeignet ist.
Verarbeitet nur für Babys geeignetes Holzmaterial
Ändert Kathrin Gräser die Farbwahl, spielt das keine Rolle, ändert sie das Muster, muss sie einen neuen Test durchführen. „Das alles begrenzt meine Kreativität und erschwert es mir, auf individuelle Wünsche einzugehen, doch der Aufwand ist es mir wert." Aus diesem Grund verarbeitet sie auch nur für Babys geeignetes Holzmaterial, damit es nicht splittern kann. Dass chemische Produkte verwendet werden, kommt erst recht nicht infrage.
„Die Tests mache ich alle selbst, drucke das CE-Siegel dann aus und klebe es auf. Ich tue das zur eigenen Sicherheit." Eine Selbstverständlichkeit im Produktverkauf, doch für so manches Start-up-Unternehmen oder Business-Neuling erst einmal eine Herausforderung.
Ihre Häkelprodukte vertreibt die Krankenschwester über Facebook und Instagram. „Eine eigene Webseite habe ich noch nicht, dennoch kann ich mich vor Anfragen nicht retten." Am liebsten würde die Häkel-Aktivistin Figuren aus „Die Schöne und das Biest"‘ oder „Arielle – die Meerjungfrau" oder „Pocahontas" häkeln, doch bisher hat das nicht geklappt. Denn zu groß sei einfach die Nachfrage nach Löwen und Giraffen. Weitere Bestseller von Kathrin Gräser sind Rasseln und Schnuffeltücher in Hase- und Fuchs-Optik.
Unerfüllbare Wünsche, die gab es auch schon mal. So wollte ein Kunde einen Schäferhund nach dem Vorbild seines eigenen Schäferhundes. Das war dann aber wegen der CE-Kennzeichnung ein zu großer Aufwand, das wäre unbezahlbar geworden. „Aber meine Idee, eine Löwen-Rassel oder einen richtig großen Elefanten, Lamas und Pinguine herzustellen, die möchte ich vorantreiben."
Ein neuer Entwurf dauert oft sehr lange, macht aber auch den Reiz des kreativen Häkelns aus. „Bisher hatte ich noch keine Reklamationen, das heißt, dass die Nähte gut halten bei meinen Püppchen", freut sie sich.
Kunden, die zum Beispiel für ihr zu erwartendes Kind oder Enkelkind besondere Wünsche haben, sollten sich rechtzeitig melden. Denn vom Entwurf über die Zertifizierung bis zum fertigen Produkt kann es lange dauern. Das geht nicht im Handumdrehen.
Übrigens: Beim Häkeln sitzt Kathrin Gräser gern im Garten und hört Podcasts mit so richtig blutigen Thrillern oder True-Crime-Storys. Dass dabei so knuffige Tierchen entstehen, wer hätte das gedacht?