Hansi Flick startete mit einem bescheidenen, einem überragenden und einem überdurchschnittlichen Sieg seine Mission deutsche Nationalmannschaft. Nicht nur die Spielweise wirkte erfrischend, sondern auch einige Aussagen des neuen Trainers.
Wie so oft zeigte die deutsche Medienlandschaft, die sich mit dem Profifußball beschäftigt, dass sie entweder schwarz oder weiß kennt. Entweder spielt die deutsche Nationalmannschaft himmelhochjauchzend oder grottenschlecht. Ein Zwischending gibt es nicht. Das ist wiederum keine neue Erkenntnis, sondern lediglich Usus im Haifischbecken Profifußball. Fußball soll unterhalten und vor allem schön anzusehen und natürlich erfolgreich sein. Dass auch die Fans in den letzten Jahren extrem gelitten haben, ist unbestritten. Zuerst formte Jogi Löw die deutsche Nationalmannschaft zu einer fußballerischen Weltmacht, krönte sie 2014 zum Weltmeister. Nach dem Klimax 2014 scheiterte er 2018 in Russland an Arroganz, dann an allerlei Irrungen, schließlich am Fortschritt des Fußballs. Woran er entgegen der allgemeinen Meinung nicht scheiterte, war der Faktor Sturheit. Den eifrig initiierten Umbruch nach 2018 begradigte er vor der EM ja mit der Rückholaktion von Thomas Müller und Mats Hummels. Sportlich die absolut richtige Entscheidung, vielleicht ein wenig zu spät. Dennoch war das ein Zeichen von Stärke. Schlussendlich fand sich seine Elf aber in einer Sackgasse wieder, sodass es Zeit für was Neues war. Auch über den Zeitpunkt des Neuen ließe sich streiten. Doch Fußball findet im Heute statt, nie in der Vergangenheit.
Heftige Kritik nach dem ersten Spiel
Im Heute braucht Nachfolger Hansi Flick nun so einiges. Zum einen kurzfristigen Erfolg, um die Dauernörgelnden ruhigzustellen, zum anderen braucht er einen langfristigen Plan, ein Konzept, welches eine erfolgreiche WM 2022 in Katar möglich macht und dann seinen Höhepunkt bei der Heim-EM 2024 erreichen soll. Nach dem Spiel gegen Liechtenstein konnte der Eindruck gewonnen werden, dass die deutsche Nationalmannschaft nicht nur in einer Sackgasse steckt, sondern diese Sackgasse auch noch mit Treibsand gefüllt ist. Das Spiel wurde 2:0 gewonnen, gegen eine Elf, die gespickt mit Amateurkickern wohl gegen jeden Regionalligisten aus Deutschland deutlicher auf die Mütze bekommen hätte. Flick hatte zuvor drei Tage Zeit, mit seiner neuen Mannschaft zu trainieren und Dinge einzuüben, reichlich viel Zeit war das nicht – dennoch muss gegen Liechtenstein ein deutlicherer Sieg zustande kommen. Wie es aussehen kann und soll, zeigte Flicks Mannschaft dann gegen den bis dato Führenden in der Qualifikationsgruppe aus Armenien. Denn die aufkeimende Debatte, ob die deutsche Mannschaft aufgrund des fehlenden echten Neuners nicht mehr genügend Tore schießen kann, wurde sofort wieder erstickt. Sicherlich fehlt dieser Spielertyp in Flicks Kader, dennoch gibt es genügend Qualität zum Toreschießen, nur eben auf verschiedenen Positionen.
Serge Gnabry jagte einen Ball in den Winkel, schob danach freistehend ein. Timo Werner legte mit der Hacke überragend auf Marco Reus ab, der den Ball am armenischen Torwart vorbeidrosch. Werner schob dann vor der Pause das vierte Tor nach. Auffallend war die Energie, die das deutsche Team ausstrahlte, denn sie schwappte sofort auf die 18.000 Zuschauer in Stuttgart über. Jonas Hoffmann besorgte dann mit einem Fernschuss das 5:0, Debütant und die neue Nummer 13 Karim Adeyemi setzte mit dem sechsten Treffer den Schlusspunkt. Währenddessen kreiste eine La-Ola-Welle durch die Mercedes-Benz-Arena. Die Torschützen dieses Testspiels stehen sinnbildlich für die Qualitäten der deutschen Nationalmannschaft – auch ohne richtigen Neuner. Werner schoss schon mal 28 Saisontore in der Bundesliga. İlkay Gündoğan hat ein Näschen für die richtige Position zum Abschluss. Reus ist zumindest gegen Teams aus der zweiten oder dritten Reihe ein verlässlicher Schütze. In den Sinn kommen einem natürlich auch Kai Havertz, Thomas Müller und Robin Gosens, die gegen Armenien fehlten. Kaum eine Nation hat so viele torgefährliche Spieler. Beim 3:0 in Island spielte Flicks Team im Stil einer internationalen Klassenmannschaft. Einzig die Anzahl an ausgelassenen Großchancen war ein Manko. Und wieder mal tat sich Timo Werner als auffälligster Fehlschütze hervor.
Viel Auswahl in der Offensive
Die Debatte um den fehlenden Mittelstürmer ist dennoch eine Scheindebatte, die herausgeholt wird, wenn eben nicht genug Tore geschossen werden. Gleichermaßen verhält es sich bei der Frage, ob Deutschland genügend Talente hat. Adeyemis Treffer war ein historischer – er ist der erste Spieler, der in diesem Jahrhundert geboren wurde und für die Nationalmannschaft traf. Die Vorlage dazu kam von Florian Wirtz, der ist 2003 geboren. Wie Jamal Musiala, der ebenfalls nach seiner Einwechslung den Strafraum unsicher machte. Sicherlich fehlen dem DFB die Talente in der Breite, in der Spitze gibt es sie dennoch.
Das zeigt auch, dass ein Ridle Baku, den viele Fans schon mit zur EM nehmen wollten, aufgrund des Leistungsgedankens hinten runterfiel: „Ridle hat uns nicht enttäuscht, aber es gilt der Leistungsgedanke, und als Trainer müssen Entscheidungen getroffen werden", sagte Flick und schickte den Wolfsburger vor dem Island-Spiel nach Hause. Ein Umstand, der deutlich macht, dass bezüglich des Personals ausdrücklich kein Qualitätsproblem besteht. Dies hatte Flick während seines ersten Lehrgangs als Nationaltrainer gebetsmühlenartig betont und sieht sich nach der ersten gemeinsamen Woche in seiner Einschätzung bestätigt: „Wir haben insgesamt eine großartige Qualität." Vor allem die erfrischende Art der jungen Wilden Wirtz, Musiala und Adeyemi schätzt Flick: „Alle Jungen sind mit ihrer Unbekümmertheit ein Riesengewinn." Zudem will Flick das implementieren, was ihn bei Bayern schon so stark gemacht hat: „Es ist entscheidend, dass wir wissen, wie gut wir sind, dass die Mannschaft das rüberbringt, was wir im Training erarbeiten." Ein bisschen was vom „Mia san mia".
So weigert sich Flick auch, in die panikmachenden Prophezeiungen von Joti Chatzialexiou, sportlicher Leiter der Jugend-Nationalteams, einzusteigen. Es sei „fünf vor zwölf", was den deutschen Nachwuchs angeht, es drohe eine „Phase der Erfolglosigkeit nach 2026". Diese Erwartung teilt er mit seinem Chef. Spitzentalente kämen in den einzelnen Jahrgängen nur „vereinzelt" vor, sagt Oliver Bierhoff, der Sportdirektor des DFB: „Die Lage sieht nicht gut aus." Die Frage, wer denn in den vergangenen Jahren die Geschicke beim DFB gelenkt hat, darf dabei durchaus erlaubt sein. Eigentlich ist es eine Bankrotterklärung an die eigene Arbeit – aber das ist ein anderes Thema.
Erfrischend jedoch ist die Art, wie der neue Bundestrainer Flick damit umgeht. Denn er geht bei diesen Aussagen deutlich auf Abstand. Ein Bundestrainer also, der sich auch mal gegen die Oberen stellt, die für viele als Grund gesehen werden, dass solch eine Misere in einem Land wie Deutschland überhaupt in Aussicht gestellt werden muss.
Mannschaft zeigt kreativen Fußball
Nicht, weil er sich 2026 bereits im Bundestrainer-Ruhestand und nicht mehr zuständig sieht, sondern aus der Erfahrung seines Fußballer-Erlebens. Es sei doch immer wieder so, dass sich plötzlich Spieler hervortäten, die vorher keiner so richtig entdeckt hatte, meint Flick, „dann fragt man sich: Wo kommt denn der auf einmal her?" Ein Satz, der aktuell seinen auffallend jugendbewegten und durchaus zukunftsfähig aussehenden Kader gut beschreibt. So zeigt sich am Fall von Adeyemi, dass die Inhalte, die der DFB lehrt, wohl nicht die besten sind, um Spieler und ihre Leistungsfähigkeit zu beurteilen. Er galt als „undiszipliniert", was bei einem Zehnjährigen vorkommen kann, bei Bayern aber für ein Ausschlusskriterium gehalten wurde. Adeyemi, als Talent unumstritten, kam so zur SpVgg Unterhaching, wo Präsident Manni Schwabl pädagogisch in sein Leben eingriff.
Nun ist er Nationalspieler. „Schwierige junge Burschen werden aus Bequemlichkeit aussortiert statt gefördert", diese Kritik übte im Sommer der Kölner Trainer Steffen Baumgart.
So ist Flicks Debüt von zwei Seiten eine Erfrischung. Zum einen zeigte die Mannschaft kreativen Fußball und sorgte mit einer Poweroffensive für Begeisterung auf den Rängen, zum anderen spielt er das Spielchen der DFB-Oberen nicht mit. Ein Vorwurf, der Jogi Löw lange nachhallte. Der Grundstein für eine neue Nationalmannschaft ist gelegt.