In „Keine Zeit zu sterben" lernen wir die Doppelnull-Agentin Nomi kennen, die Bond zeigt, wo es langgeht. Die deutsche Stuntfrau Marie Mouroum hat sie in den meisten Action-Szenen gedoubelt. Im Interview spricht sie über die Dreharbeiten und starke Frauen.
Wenn man Marie Mouroum treffen möchte, muss man ins Fitness-Studio gehen. Die 28-Jährige trainiert ständig, tritt auf Boxsäcke ein oder misst sich mit einem Sparringspartner. An diesem regnerischen Herbsttag arbeitet sie in einem kleinen Studio in einer Berliner Seitenstraße, eingezwängt zwischen einem türkischen Bad und einer Karaoke-Bar. Sie und ihr Kollege sind hier heute früh die Einzigen.
Ihr Freund, ebenfalls Stuntman, hält ein Paar Box-Pratzen hoch. Marie knallt ihm ihre rechte Faust entgegen, gefolgt von ihrer linken, dann reißt sie ihr rechtes Knie hoch bis kurz vor sein Kinn. Er stolpert leicht, nickt. Das war eine gute Kombination. „Noch mal!" Also kickt Marie noch mal. Und noch mal. Und noch mal.
Es sind diese Routinen, die dafür gesorgt haben, dass sie in Hollywood derzeit als eine der heißesten Newcomerinnen im Stunt-Geschäft gehandelt wird. Nachdem sie schon seit ihrer Kindheit trainiert hat, ist Marie Mouroum jetzt diejenige, die gerufen wird, wenn in einem Hollywood-Blockbuster eine starke Frau gebraucht wird – die jemanden ordentlich in den Hintern tritt. Sie hat Halle Berry in „Cloud Atlas" gedoubelt, sie war bei „Star Wars" und „Die Tribute von Panem" dabei und sie hat eine „Dora Milaje"-Kriegerin in „Black Panther" und in den „Avengers"-Filmen gespielt. „Keine Zeit zu sterben" ist nun ihr nächster großer Film.
Marie, Sie sind das Stunt Double für Lashana Lynchs Figur Nomi im neuen Bond-Film …
Ja, richtig. Viele hatten geglaubt, ich sei als Stuntfrau für Naomie Harris gebucht worden, die Miss Monneypenny verkörpert. Aber tatsächlich darf ich jetzt die weibliche Hauptrolle doubeln, was mich sehr stolz macht.
Und das war sicherlich gleichbedeutend mit reichlich Mehrarbeit. Erzählen Sie mal: Wie ist das so, Stunts für eine Doppelnull-Agentin zu machen?
Es bedeutet vor allem monatelanges Training und harte, herausfordernde Arbeit. Wir haben mehr als acht Monate gefilmt. Ich habe in Jamaika, Italien und Schottland gedreht, außerdem in den Pinewood Studios nahe London. Die Stunt-Crew trainiert die Abläufe über mehrere Wochen, dann zeigen wir die Ergebnisse dem Regisseur, und er entscheidet, ob das so passt.
Sie betreiben Martial Arts seit Ihrer Kindheit. Hat das geholfen?
Das ist immer eine gute Basis, aber im Stunt-Geschäft lernt man bei jedem Film etwas Neues. Natürlich hatte ich eine Menge Kick- und Kampfszenen, aber für Bond musste ich auch lernen, mich wie eine Geheimagentin zu bewegen. Das hatte ich davor noch nie.
Was ist so besonders daran?
Naja, man muss viel rennen und springen, ist dabei aber schwer behangen mit taktischer Ausrüstung. Und meist trägt man dabei auch noch eine Waffe. Jeder Soldat kennt diese Bewegungsabläufe in- und auswendig, aber eine normale Person natürlich nicht.
Arbeitet das Stunt-Team eher für sich? Oder kommt es da auch zum Austausch mit den Schauspielern?
Es gibt jede Menge Austausch! Lashana Lynch und ich sind sehr gut miteinander ausgekommen. Wir haben viel rumgealbert und manchmal mussten wir aufpassen, dass wir nicht ständig rumkichern.
Aber eine gute Chemie ist auch enorm wichtig: Für den fertigen Film werden Szenen der Schauspieler mit Szenen der Stuntleute zusammengeschnitten, und das muss wie aus einem Guss aussehen. Wenn ich nicht weiß, welche Emotionen sie darstellen muss, oder sie nicht weiß, wie meine Bewegungen aussehen, merkt der Zuschauer ganz schnell, dass da was nicht stimmt.
Heißt das, Sie kennen alle Handlungsdetails von „Keine Zeit zu sterben"?
Meine Lippen sind versiegelt.
Einige Bond-Fans hatten wohl ein Problem damit, dass eine junge schwarze Frau eine Doppelnull-Agentin verkörpern soll. Man kann das aber auch als positive Entwicklung sehen in Bezug auf das Aufbrechen von Rollenklischees und die Art und Weise, wie sich unsere Gesellschaft darstellt. Was denken Sie darüber?
Es ist auf jeden Fall eine positive Veränderung! Als ich ein Kind war, war die klassische Mädchenrolle die einer blonden Prinzessin oder der typischen „Jungfrau in Not". Heute haben wir Kriegerinnen und schwarze Superheldinnen.
Sie haben zuvor an „Star Wars" und „Die Tribute von Panem" mitgearbeitet, vor allem aber auch eine „Dora Milaje" im Marvel-Kosmos gespielt, eine afrikanische Kriegerin – in „Black Panther", „Avengers: Infinity War" und „Avengers: Endgame". Es gibt jetzt immer mehr starke schwarze Charaktere in Hollywood. Warum ist Ihnen das wichtig?
Es geht um Repräsentation. Man wird nicht mehr nur in den typischen Klischeerollen besetzt, etwa als Tänzerin, Drogendealer oder Kleinganove. Wir können genauso gut Rechtsanwältinnen oder Lehrer sein – oder eben auch Geheimagentinnen. Wenn ich in einen Spielzeugladen gehe, dann haben die Actionfiguren alle mögliche Hautfarben und Geschlechter. Das gibt den Kids ein enormes Selbstbewusstsein. Als Kind habe ich in der Schule nicht viel über meine Herkunft gelernt. Ich war immer stolz auf meine afrikanischen Wurzeln, aber es war immer sehr schwierig, mehr darüber zu erfahren. Auch in den Medien kam so etwas nie wirklich vor.
Welche Rolle spielen Sie dabei?
Ich glaube nicht, dass ich da die Lehrerin spielen und den Leuten etwas über Rassismus oder Identität erzählen muss. Das sollte jeder für sich selbst herausfinden, wenn er daran interessiert ist, etwas über Diversität zu erfahren. Aber ich habe auch schon erkannt, dass meine Arbeit anderen hilft, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Viele Mädchen schreiben mir, wie toll sie meine Darstellung in „Black Panther" und den „Avengers"-Filmen fanden.
Wenn Sie die Arbeit für Bond mit der für das „Avengers"-Comic-Universum vergleichen, was ist herausfordernder?
Das ist schon ein ziemlicher Unterschied. Bei „Avengers" haben wir meist vor einer gigantischen grünen Leinwand gedreht. Dass man gegen ein großes purpurnes Alien gekämpft hat, erkennt man erst im fertigen Film. Da muss man als Stunt-Darsteller schon eine Menge Vorstellungskraft und Fantasie haben. Im Gegensatz dazu wird Bond meist an realen Schauplätzen gedreht, deshalb wird dort weniger CGI-Tricktechnik angewendet, um das ganze Drumherum zu erschaffen. Da fährt die Filmcrew noch wirklich um die halbe Welt zu den tollsten Schauplätzen, das war echt eine großartige Erfahrung. Aber dafür ist die Arbeit an einem Bond-Film bekannt: Man reist um die Welt und sieht schöne Orte.
Gibt es Stunts, die sie lieber nicht machen?
Ich mag keine Stunts, bei denen alles zu sehr von äußeren Einflüssen abhängt. Darum bin ich kein Fan von Unterwasser- oder Feuerstunts. Ich bin auch wenig entspannt bei Stunts auf oder mit Pferden. Ich mag lieber Stunts, bei denen es auf Körperkontrolle ankommt. Martial Arts, Kampfszenen, Arbeit an Drähten oder Körperstunts wie zum Beispiel Stürze.
Da drängt sich natürlich die Frage auf, ob Sie für „Keine Zeit zu sterben" solche Unterwasser- oder Feuerstunts machen mussten …
(lacht) Ha! Ich verrate nichts. Wenn Sie das wissen wollen, müssen Sie sich schon den Film anschauen.
Nach der harten Trainingseinheit packt Marie Mouroum ihre Sachen und geht zu ihrem Auto. Der Regen ist stärker geworden, sie muss sich beeilen. Im Kofferraum muss sie zuerst etwas Platz schaffen für ihre Tasche. Plötzlich hat sie ein paar Lederhandschuhe in der Hand. Die sind Teil von Nomis Ausrüstung in „Keine Zeit zu sterben", Marie musste natürlich ein identisches Paar tragen – und hat sie nach Abschluss der Dreharbeiten behalten. Wo immer Marie hinfährt, ein Stück Bond hat sie jetzt immer bei sich.
Marc Röhlig ist Redakteur im Hauptstadtbüro des „Spiegel" und betreibt in seiner Freizeit gemeinsam mit seiner Frau Julia das Blog huntingbond.com, in dem sie unter anderem die zahlreichen Drehorte der Bond-Filme rund um die Welt vorstellen.