Seit Skyfall ist „Moneypenny" eine selbstbewusste Frau. Das hat die Figur in großen Teilen Naomie Harris zu verdanken. Sie gilt als eines der großen Talente des britischen Films. Wer ist die Frau, die Großbritanniens berühmteste Chefsekretärin vom Image der Vorzimmerdame befreit hat?
Sie spielt starke Frauen – und hat „Miss Moneypenny" eine neue Persönlichkeit gegeben: Naomie Harris. Wobei die Bezeichnung „Miss" zum neuen Selbstbewusstsein der Figur überhaupt nicht mehr passt, ist damit doch – wie bei dem deutschen Wort „Fräulein" – eine unverheiratete Frau gemeint. Schwer vorstellbar, dass sich Harris für eine derart klischeehafte Darstellung einer Sekretärin hätte begeistern können. Dafür ist die Schauspielerin viel zu kämpferisch.
Nun war Moneypenny in den Bond-Filmen auf eine gewisse Art immer schon stark. Zumindest widerstand sie dem Charme von 007, der vor und nach seinen Besuchen bei M regelmäßig mit ihr flirtete. Trotzdem ist sie in weiten Teilen so gezeichnet, wie man sich eine Sekretärin zur Entstehungszeit des jeweiligen Films vorstellte: Eine Frau, die im Vorzimmer vor einer Schreibmaschine sitzt und mal eben zum Diktat beim Chef reingerufen werden kann. Darin hat sich auch in den 1980er- und 90er-Jahren nicht viel geändert. Zwar gewann die Figur in den Filmen mit Pierce Brosnan als Bond an Selbstvertrauen, das grundsätzliche Konzept der Rolle aber blieb gleich.
Beim Neustart mit Daniel Craig muss den Produzenten klar gewesen sein, dass eine „Miss Moneypenny" nicht mehr so ganz in die Zeit passte. So kam die Figur – die zuvor in keinem Bond-Film fehlte – in „Casino Royale" und „Ein Quantum Trost" nicht vor.
Miss Moneypenny hat jetzt einen Vornamen
Mit „Skyfall" kam dann 2012 mit Naomie Harris der Relaunch der Rolle: Die nur mit dem Vornamen Eve eingeführte Agentin schießt in der Eingangssequenz des Films sogar auf Bond; sie trifft ihn, obwohl sie eigentlich auf seinen Gegner in einem Kampf auf einem fahrenden Zug gezielt hatte. Eve spielt in dem Film eine tragende Rolle. Erst am Ende erfährt Bond – und damit auch der Zuschauer – dass sie sich in den Innendienst hat versetzen lassen. Und dass sie mit Nachnamen „Moneypenny" heißt.
Damit war auch klar, dass Naomie Harris in weiteren Filmen der Reihe zu sehen sein würde. Gleichzeitig hat sie ihre Karriere weiter vorangetrieben. Eine Schauspiel-Karriere, die sie schon viel früher begonnen hatte. Harris stand bereits als Kind vor der Kamera – und nahm auch Schauspielunterricht. Schon damals wollte sie laut Aussage bei einem Interview eine erfolgreiche Schauspielerin werden. Nach der Schule entschied sie sich aber zunächst für ein Studium in Cambridge und schloss 1998 in Sozial- und Politikwissenschaften ab. Erst danach wandte sie sich komplett der Schauspielerei zu. Sie ging auf die Bristol Old Vic Theatre School, eine der renomiertesten Ausbildungsstätten dieser Art in Großbritannien.
Schon Jahre vor dem Engagement für die Bond-Filme wurde Naomie Harris als eine der talentiertesten Schauspielerinnen des britischen Kinos bezeichnet. Bekannt geworden ist sie just durch den Regisseur, der ursprünglich bei „No Time to Die" Regie führen sollte: Danny Boyle. Im Jahr 2002 war der vor allem durch den Film „Trainspotting – Neue Helden" (1996) bekannt. In Boyles „28 Days Later" spielte Harris die weibliche Hauptrolle. In dem Endzeit-Film geht es um eine Welt, in der ein Virus Menschen innerhalb von weniger als einer Minute in eine Art Zombie verwandelt. Die von Harris dargestellte Hauptfigur Selena gehört zu den wenigen Menschen, die nicht infiziert sind und sich gegen die Infizierten wehren müssen.
Bereits 2004 stand Naomie Harris mit einem ehemaligen James-Bond-Darsteller vor der Kamera: In Brett Ratners Gaunerkomödie „After the Sunset", in der Pierce Brosnan die Hauptrolle spielt, ist sie eine Polizistin, die sich am Diebstahl eines seltenen Diamanten beteiligt.
Eine Nebenrolle übernahm Naomie Harris in dem 2005er Film „A Cock and Bull Story". Michael Winterbottom führte bei der Romanverfilmung Regie. Harris spielt darin die Assistentin der Hauptfigur. Das besondere an dem Film ist, dass es in der Handlung um die Entstehung eines Films geht. Ein Film, der die eigene Branche ironisch aufs Korn nimmt.
2006 spielte sie in dem Kino-Remake der Fernsehserie „Miami Vice" die Polizistin Trudy Joplin, die Freundin von Detective Ricardo Tubbs (Jamie Foxx). Eine eher etwas schrullige Figur verkörperte Naomie Harris in zwei Filmen: In „Pirates of the Caribbean – Fluch der Karibik 2" (2006) und „Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt" (2007) war sie Tia Dalma, ein Medium mit langen zotteligen Dreads und schlechten Zähnen.
Bekanntheit durch „Fluch der Karibik"
2012 brachte die Neuinterpretation der Rolle der Moneypenny in „Skyfall" Naomie Harris internationale Anerkennung. Und in der Folge interessante Angebote. So ist sie in dem 2013er-Film „Mandela – der lange Weg zur Freiheit" als dessen Ehefrau Winnie Mandela zu sehen, die jahrzehntelang für ihren Mann gekämpft hat. Sie spielt eine engagierte Frau in einem Film gegen die Ungerechtigkeit, einem Film, der eines der dunkelsten Kapitel der südafrikanischen Geschichte thematisiert. Bei den Vorbereitungen zu dem Film traf Harris auch die echte Winnie Mandela – die ihr ihr ganzes Vertrauen entgegenbrachte, sie richtig darzustellen.
In dem Film Southpaw aus dem Jahr 2015 übernahm Harris die Rolle einer Sozialarbeiterin, die sich um die Tochter der Hauptfigur, des Boxers Billy Hope (Jake Gyllenhaal) kümmert.
Einen noch größeren Schub als Bond bekam Harris Karriere durch ihre Rolle im Film „Moonlight" von Barry Jenkins aus dem Jahr 2016. Der engagierte Film schildert das Erwachsenwerden eines schwulen Afroamerikaners. Der Film räumte bei der Oscarverleihung 2017 ab. Er war für acht der Trophäen nominiert und gewann schließlich drei davon, unter anderem den begehrten Oscar als bester Film. Harris hatte anfangs gezögert, die Crack-abhängige Afroamerikanerin zu spielen, weil sie eigentlich schwarze Frauen positiv darstellen wollte. Sie entschied sich dann aber doch, die Rolle zu übernehmen. Zum Glück, ihre Darstellung der drogenabhängigen Mutter der Hauptfigur brachte Naomi Harris eine Nominierung für den Oscar als beste Nebendarstellerin ein.
Mit dem Interesse an ihr als Schauspielerin rückte fast schon zwangsläufig auch Naomie
Harris Privatleben in das Interesse der Öffentlichkeit. Aber da zieht sie in Interviews eine klare Linie. Manche Dinge sind tabu, etwa die Themen Beziehung, Kinder und Familiengründung. Immerhin weiß man, dass Harris keine Kinder hat und nicht verheiratet ist. Gerüchten zufolge soll sie seit Kurzem in einer Beziehung leben.
Allgemein bekannt sind Harris biografische Daten: Sie wurde am 6. September 1976 in London geboren. Ihre Mutter kommt aus Jamaika, ihr Vater aus Trinidad. Beide sind in jungen Jahren nach Großbritannien gezogen – das sagte Harris einmal in der britischen Zeitung „The Independent". Nachdem sich ihre Eltern schon vor ihrer Geburt getrennt hatten, lebte sie in London bei ihrer Mutter im Stadtteil Finsbury Park. Harris wuchs als Einzelkind auf; inzwischen hat sie allerdings noch einen Halbbruder und eine Halbschwester, die aber deutlich jünger sind als sie. Sie soll ein gutes Verhältnis zu Mutter, Stiefvater und Geschwistern haben.
Ihr Privatleben ist bei Interviews tabu
Wie viele ihrer Kolleginnen hatte auch Naomie Harris mit dem männlich dominierten Machtgefüge im Filmgeschäft zu kämpfen. Als durch die #MeToo-Bewegung offenbar wurde, wie groß das Ausmaß sexueller Belästigung in der Filmbranche war, berichtete auch sie von einer derartigen Erfahrung. Im Jahr 2019 erzählte sie der britischen Zeitung „Guardian", dass Jahre zuvor bei einem Vorsprechen ein Kollege, ein großer Star, seine Hand unter ihren Rock geschoben habe. Einen Namen nannte sie nicht. Schockiert habe sie, dass Casting Director und Regisseur anwesend gewesen seien, aber nicht eingegriffen hätten.
Je bekannter Naomie Harris wurde, umso mehr berichtete auch die Klatschpresse über sie und ihr Äußeres. Bei offiziellen Auftritten zieht sie sich schick, mitunter auch etwas extravagant an. Für die Modekette H&M machte sie Werbung für eine Kollektion aus nachhaltiger Baumwolle und recycelten Kunstfasern. Früher allerdings habe sie gar nicht so sehr auf ihre Kleidung geachtet, sagte sie 2011 einer Zeitung. Und in High Heels geht Naomie Harris gar nicht gern – das gestand sie im Jahr 2014 in einem Interview ein. Entsprechend viel musste sie üben, bevor sie die Rolle der Eve Moneypenny übernahm.
Sie passt gut in die Rolle – und scheint darin auch ihre Zukunft zu sehen. Medienberichten zufolge soll sie Bond-Produzentin Barbara Broccoli gebeten haben, zumindest einmal über ein Moneypenny-Spin-off nachzudenken.