Der französische Film „Bis an die Grenze" wirft die Frage auf, inwieweit sich moralischer Anspruch und Pflichterfüllung vereinbaren lassen. Mal in einer ganz anderen Rolle zu sehen ist der Schauspieler und Komiker Omar Sy, der mit „Ziemlich beste Freunde" international bekannt wurde.
Ein ganz normaler Tag in einem französischen Polizeirevier. Häusliche Gewalt, Kindestötung, eine Massenschlägerei, das geht an die Substanz. Und dann fragt der Chef zum Feierabend, ob sich Freiwillige melden, die einen tadschikischen Asylbewerber zum Flughafen eskortieren, der abgeschoben werden soll. Die Polizistin Virginie meldet sich. Ihr Kollege Érik ist zwar der Meinung, dass das ja eigentlich nicht ihre Aufgabe wäre, und auch der sich forsch gebende Aristide will davon nichts hören, beide fahren aber schließlich dann doch mit. Sie wissen noch nicht, dass diese Nacht nicht nur ihr Leben verändern wird.
Polizisten im Zwiespalt
„Bis an die Grenze" heißt im französischen Original „Police" und begleitet die drei Polizisten Virginie, Aristide und Érik bei ihren Einsätzen. Die sind schon anstrengend genug, aber sie haben auch private Probleme, die sie mit zur Arbeit bringen. Érik führt eine unglückliche Ehe, Virginie hatte eine kurze Affäre mit Aristide und ist schwanger, und der sonst so selbstsicher auftretende Aristide kämpft mit Selbstzweifeln. Und dann kommt dieser Einsatz. Auf dem Weg zum Flughafen erfahren sie, dass dem Mann hinten im Auto der sichere Tod droht, wenn sie ihn abliefern. Was tun? Dienst nach Vorschrift? Oder seinen eigenen moralischen Vorstellungen folgen, auch wenn das Konsequenzen für die berufliche Karriere hätte?
Der Film basiert auf dem Roman „Die Polizisten" (2016) von Hugo Boris. Für sein Buch habe er ein Jahr lang bei der französischen Polizei recherchiert und auch mit einer Polizistin gesprochen, die an einer Rückführung beteiligt war, erzählte er in einem Interview mit der „SZ". Da wäre ihm klar geworden, wie schwer es sein muss, sich täglich in kürzester Zeit auf neue Situationen einzustellen, ohne sich davon vereinnahmen zu lassen. Menschenleben retten, Straftaten verhindern, Kriminalität bekämpfen – Gründe, warum junge Leute zur Polizei gehen. Auch in Deutschland werden Bundes- und Landespolizei oftmals für Abschiebungen eingesetzt. 2020 betraf das 10.800 Menschen, 2019 waren es noch mehr als doppelt so viel. Regisseurin Anne Fontaine, mit Claire Barré auch für das Drehbuch verantwortlich, hat damit ein ganz aktuelles Thema verarbeitet, das nur selten ins gesellschaftliche Bewusstsein rückt. Das brachte dem Film bei seiner Weltpremiere zur Berlinale 2020 eine Nominierung für den Amnesty-International-Filmpreis ein. Der würdigt die Arbeit von Filmschaffenden, die Menschenrechtsthemen auf besondere Weise abbilden und erlebbar machen. Das gelingt ihr aber nur bedingt. Es ist schon ergreifend zu sehen, wie ein Mensch zu einem bürokratischen Vorgang wird. Trotzdem bleibt die Figur des Tadschiken, gespielt vom US-amerikanischen Schauspieler mit iranischen Wurzeln, Payman Maadi, eher ein Mittel zum Zweck, weswegen die Entscheidung der drei nicht so richtig nachvollziehbar ist. Insbesondere bei Aristide, gespielt von Omar Sy, den meisten wohl bekannt aus „Ziemlich beste Freunde" (2012), kann man nur vage ahnen, warum er sich so entschieden hat.
Bürokratie oder Menschlichkeit
Anne Fontaine, selbst Schauspielerin, springt mit einer Erzählstruktur aus Rückblenden zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Privatleben und Beruf der Protagonisten hin und her. Der Zuschauer sieht, wie sie die gleiche Situation unterschiedlich wahrnehmen und danach reagieren. Das ist interessant zu sehen, zerfasert aber den Erzählfluss. Intensiv sind die Szenen auf der Fahrt zum Flughafen. Da ist die Kamera ganz dicht auf den Gesichtern, der Hintergrund verschwimmt im nächtlichen Himmel. Besonders bei Virginie, dargestellt von Virginie Efira, zeigt sich der innere Kampf ihrer Figur. Von ihren eigenen Problemen überwältigt, versucht sie, routiniert zu funktionieren. Érik, gespielt von Grégory Gadebois, dessen Ehe gerade zerbricht, klammert sich dagegen an die Vorschriften, die ihm Halt geben.
„Bis an die Grenze" wirft wichtige Fragen auf. Antworten gibt er nicht, die muss der Zuschauer für sich selber finden. Und das ist gut so.