Sänger und Komponist Günther Sigl von der Spider Murphy Gang bastelte sich seine erste E-Gitarre selbst. Dass er auf die 75 zugeht, kann er kaum glauben.
Ein kleiner Mann mit einem scheinbar viel zu großen Bass Dazu die Unschuldsmiene aus großen dunklen Augen: Bei anderen Sängern wären Lieder wie „Skandal im Sperrbezirk" vor 40 Jahren vielleicht noch auf dem Index gelandet. Doch dem sympathischen Günther Sigl ließ man Songs über Peepshows, Freudenhäuser und „Nutten" damals durchgehen.
Der Frontmann der Münchener Spider Murphy Gang ist nicht nur eins der prägendsten Gesichter von Neuer Deutscher Welle und 80er-Jahre-Deutsch-Rock. Er schrieb auch alle großen Hits der Band: von „Wo bist du?" über „Schickeria" bis hin zu „Ich schau’ dich an" und „Mir san a bayrische Band". Kaum zu glauben, dass der Urbayer bald 75 wird.
„Corona war eine Herausforderung"
„Ich glaub’s ja selbst nicht: Wenn ich alte Fotos und Filme sehe, frage ich mich: Das soll ich sein?", so der Vollblutmusiker im schönsten bayerischen Akzent (Alle Interview-Antworten wurden vom Bayerischen ins Hochdeutsche übersetzt, Anm. d. Red.) Ich bin 1947 geboren, also ein Nachkriegskind. Drehe ich das Geschichtsrad von damals 40 Jahre zurück, lande ich in der Kaiserzeit. Das ist dieselbe Zeitspanne von heute bis zu unseren ersten Hits 1981. Wahnsinn, wie die Zeit rennt."
Nur im letzten Corona-Jahr sei die Zeit für viele Musiker zu langsam vergangen. „Eigentlich hab’ ich immer was zu tun. Aber Corona war schon eine Herausforderung. Wenn du weißt, morgen gibt’s keinen Auftritt und übermorgen auch nicht, nervt das einfach", seufzt der gebürtige Schongauer. Er selbst habe ausreichend Rücklagen gebildet, doch Kollegen und Techniker lebten teils von der Hand in den Mund. Selbst Proben im eigenen Tonstudio von Günther Sigl entfielen wegen der Corona-Auflagen. Auf Streaming-Konzerte im Internet hatte die Band wiederum keine große Lust. „Da fehlt uns einfach das Gemeinschaftsgefühl, das Mitsingen und der Austausch mit dem Publikum", so der Barde. Der hat nicht nur ein Gespür für eingängige Songs, sondern auch eine Antenne für Menschen, auf die er jederzeit offen zugeht. Allüren sind dem Bayern-Rocker völlig fremd. Beim Konzertpublikum gebe es heute kaum noch Unterschiede zwischen Rostock und Regensburg. „Aber im Osten des Landes hört man uns besser zu. Das muss ich schon sagen. Das Publikum ist fachkundig, schätzt gute Texte und ist nicht nur auf Party aus", sagt Günther Sigl im FORUM-Interview. Auch solistische Einlagen, angefangen vom Schlagzeuger bis zum Gitarristen, würden mit längerem anerkennendem Beifall bedacht.
Eine Episode aus Thüringen fügt der Komponist gleich noch an. Bei der Tour vom Hotel zum Konzertort in Erfurt habe ihn der Taxifahrer gefragt, ob er aus Österreich stammt. „Ich sagte: Nein, München. Darauf der Fahrer: Die Münchner Freiheit war gerade da. Heute Abend spiele die Spider Murphy Gang in Erfurt, aber die könne man vergessen", zitiert der Sänger den Chauffeur. Beim Konzert selbst sei das der Gag schlechthin gewesen. Erfurt sei wunderschön, aber bei den Taxifahrern gibt’s noch Luft nach oben, scherzte Sigl damals auf der Bühne. Er könne damit leben, nicht erkannt zu werden: „Gerade Jüngere kennen unsere Hits von Partys oder Eltern, aber nicht die Gesichter dazu."
Mit dem ersten Song gab es Probleme
Günther Sigl erinnert sich auch an den großen Auftritt der Band im „Kessel Buntes" im DDR-Fernsehen 1983. „In dem Jahr waren wir auch die erste westdeutsche Band mit einer Tournee durch die damalige DDR", blickt der Sänger zurück. Berlin schätze er heute wie damals – Ost- und Westteil, wie er betont. Einst sei man zur Internationalen Funkausstellung oder zur ZDF-„Hitparade" zu Dieter Thomas Heck per Flieger eingeschwebt. „Und Berlin ist immer noch eine Reise wert. Es ist die Mega-Metropole, die immer geöffnet hat, München dagegen das Millionen-Dorf", schmunzelt Günther Sigl. Ob er das auch in Bayern so sagen würde, ist allerdings fraglich. Zwar ist er den eigenen Worten nach kein Bergfex und Wanderer, aber doch München-Fan. In seinem Lied „Bella Italia" nutzt er etwa das bekannte Bild von München als „nördlichster Stadt Italiens".
Schon mit 15 Jahren spielte Günther Sigl Gitarre. Erste Vorbilder waren Cliff Richard, Chuck Berry, die Rolling Stones und die Beatles. „Meine erste E-Gitarre habe ich damals selbst gebastelt, indem ich Pick-ups in eine akustische Gitarre einbaute. Mein erster Verstärker war das Grundig-Radio meines Vaters. Der fiel später aus allen Wolken, als ich 1971 meine sichere Anstellung als Bankkaufmann kündigte, um als Musiker meinen Unterhalt zu verdienen", blickt Günther Sigl amüsiert zurück. Doch dann erlebte der Vater, der 2016 hochbetagt starb, den Erfolg des Sohnes. Der spielte mit Bands zunächst vor allem in Clubs US-amerikanischer Kasernen. In einer Schwabinger Musikkneipe sprach sich etwas später die neu gegründete Spider Murphy Gang herum. „Im Münchener ‚Memoland‘ spielten wir immer sonntags, weil das für den Wirt der umsatzschwächste Tag war – was sich fortan änderte", erzählt der 1,62 Meter große Musiker, der anfangs noch Englisch sang.
Erst ein Redakteur des Bayerischen Rundfunks gab den Tipp, in der Heimatsprache zu singen. Ihren allerersten Hit „Skandal im Sperrbezirk" sang die Gruppe aber hochdeutsch. Ausgerechnet mit diesem Song gab es anfangs Probleme. „Dieter Thomas Heck wollte uns damit nicht in der ZDF-‚Hitparade‘ und auch im Bayerischen Rundfunk hatte man Bedenken wegen des Textes", so Günther Sigl. Doch über Partys und Diskotheken fand „Skandal im Sperrbezirk" den Weg in Radio und Fernsehen sowie auf die LP „Dolce Vita". „Beinah über Nacht waren wir Popstars, die wir eigentlich gar nicht werden wollten. Es ging plötzlich von einem TV-Auftritt zum nächsten. Ein Interview jagte das andere. Fürs Jugendblatt ‚Bravo‘ entstanden etliche Storys", schüttelt der Spider-Murphy-Gang-Komponist noch heute ungläubig den Kopf. Das ist rund 40 Jahre her. Wie man es als Band so lange miteinander aushält, kann Günther Sigl schnell erklären. „Wir sehen uns nicht andauernd und fahren auch getrennt zum Auftritt. Früher waren wir aber sogar zusammen im Urlaub, oft in Reit im Winkl. Man wird halt älter", so der Träger des Bayerischen Verdienstordens augenzwinkernd. Aktuell trauert die Band gerade um ihren Ex-Schlagzeuger und Gründungsmitglied Franz Trojan, der im Alter von 64 Jahren am 15. September gestorben ist.
Günther Sigl schreibt nach wie vor die Songs. Eine Hürde, sie in der Band durchzusetzen, sei Gitarrist und Bandmitbegründer Barny Murphy (bürgerlich: Gerhard Gmell). Dem passe öfter etwas nicht, scherzt der Sänger. „Ich kann aber auch stur sein", lächelt Günther Sigl. Seine Branche habe sich besonders in den letzten zwei Jahrzehnten sehr verändert. In den erfolgreichsten Jahren sei der Druck immens gewesen. Heute laufe es für die „Spiders" lockerer. „Wenn in den 80ern eine LP rauskam, musste sofort die nächste eingespielt werden. Dabei waren noch gar keine neuen Songs da", blickt der Münchener zurück. Fließbandproduktion bei Langspielplatten sowie Zeitdruck konnten auf Dauer nicht gut gehen und bescherten der Band nach einigen Jahren eine Krise. Heute würden CDs vorwiegend auf Konzerten verkauft. Geld verdient die Gruppe vor allem mit Auftritten: „Aber wir spielen gern. Von der Bühne in fröhliche Gesichter zu schauen, ist für uns das Schönste. Wir sind schließlich immer noch weltberühmt – zumindest in Bayern!"