Fünf Freunde und Profis, die ein Lockdown nicht schrecken konnte: Im „Brikz" in der Grolmannstraße setzen Arne Anker und Team seit November 2020 täglich mit vier neuen Gängen auf maximale Spontanität und Flexibilität.
Es gibt jeden Tag ein anderes, ein einziges Menü. Das aber mit großen Spielräumen, falls jemand etwas nicht mag oder verträgt. Fünf Menschen wuppen das ganze Restaurant. Vom Putzen bis zum Servieren, von der Bestellung bis zum Kochen. Wer reserviert, legt sich auf eine Startzeit fürs Dinner zur vollen Stunde fest, ohne zu merken, dass er Teil eines ausgeklügelten Vierschicht-Systems ist. „Wir machen das Ganze in erster Linie für uns selbst und erst dann für den Gast", sagt Chef Arne Anker. „Wenn wir zufrieden sind, kommt das bei den Gästen an." Feedback ist direkt möglich: Die Köche tragen die Teller selbst zum Tisch. Willkommen vor den roten Ziegelwänden im „Brikz", dem Restaurant, das ziemlich viel anders macht!
Spitzenkoch Arne Anker betreibt mit seinen Freundinnen und Freunden Sabine Panzer und Francesca Manfron an der Bar und im Service sowie mit den Köchen Norman Faust und Patryk Döring sein erstes eigenes Restaurant. Das ungewöhnliche Konzept funktioniert auch für die Gäste: Es schmeckt. Und zwar ziemlich gut. Die vier auf dem „Laufzettel" knapp angekündigten Gänge werden locker mit Brot und aufgeschlagener Salzbutter, Amuses und Petit Fours um drei weitere vollgültige Stationen ergänzt. In der gerade einmal 14 Quadratmeter kleinen Küche werden Nachhaltigkeit und Abfallvermeidung großgeschrieben. Ob tierischer oder pflanzlicher Herkunft – vieles wird fermentiert und eingekocht und bald darauf mit zusätzlichen Aromen oder Texturen versehen weiterverwendet.
90 Prozent stammt aus Brandenburg
90 Prozent der Zutaten stammen aus Brandenburg, die Produzenten sind persönlich bekannt. Das Spanferkel etwa, dessen Bratenscheiben auf unseren Tellern liegen, gehört zu den anderen zehn Prozent. Es stammt von Gesing aus dem Münsterland, erläutert Arne Anker. „Das Schweinejus, der Fond, wird eingekocht und kommt in den nächsten zwei bis drei Wochen zum Einsatz." Wir lieben den Gaumenschmeichler-Braten genau so, wie wir ihn erhalten: Das Jus zu einer intensiven kleinen Sauce aufmontiert, das Fleisch mit einer beinah bayerisch-krossen Kruste. Gepuffte Schweineschwarte gibt zusätzlichen Knack zu den kompletten Mini-Frühlingslauchstangen und Karotten „von Uwe". Uwe Marschke vom Wolkensteiner Hof in Groß-Kreutz ist einer der renommierten Umland-Gärtner, der für das „Brikz" arbeitet.
Ein bisschen Meerrettichcreme und Senfkresse zum Fleisch sorgen für dezente Schärfe, Lauchasche als natürlicher Geschmacksbooster. Eingelegte Senfsaat liefert kugelig-bissige Säure. Wir wissen nicht, worin genau der Senf eingelegt wurde. Aber „30 bis 40" Sorten Essig haben in der Küche ständig ihren Platz, erfahren wir. „Ich liebe Säure und Frische am Essen", sagt Arne Anker. Wir lieben, dass wir die einzelnen Aromen der „Brikz"-Küche immer fein herausschmecken können.
Ein 2019er-Riesling Kabinett von Clemens Busch, den uns Francesca Manfron empfohlen hat, begleitet unser Menü durchgängig im Glas. Herr Busch hält dem vollmundigen Fleischgang ebenso stand wie er den zarteren Garnelen mit Fenchel im Zwischengang Raum zum Wirken gewährt. Zwei Garnelen stehen stramm am Tellerrand und bewachen Tupfer von Currycreme. Wir gabeln zunächst Fenchelsalat und Tamarillo, die von einer Hummerbisque umspielt werden. Blüten vom Profi machen sich’s hübsch obenauf. Die blauen Astern-Blütenblättchen stammen vom Wolkensteiner Hof, Mini-Physalis „von Werner aus Beiersdorf".
Werner Bickert vom gleichnamigen „Kräutergarten" ist eine Größe für die regional-produktbewusste Gastronomie. Private Kunden können an seinem Stand in der Markthalle Neun in der Saison ebenfalls seine Gewürz-, Tee-, Heil- und Wildkräuter kaufen. Sein Garten hinterlässt seine Spuren in der Stadt: Die mexikanische Tagetes „wächst bei uns mittlerweile im Hof", sagt Norman Faust, der uns die Garnelen bringt. Die Tagetes wird ihren leuchtend orangefarbenen Auftritt später mit Schokokuchen, Sauerkirschen, Sauerampfer-Sorbet und Oxalis-Klee im Dessert haben. Die mediterrane Kombi aus Garnelen, Hummerbisque und Fenchel wiederum ist eigentlich eine ziemlich klassische Komposition. „Wir haben das Rad hier nicht neu erfunden", merkt Norman Faust trocken an. Aber es läuft ausgesprochen rund!
Solo-Auftritt des Sauerteigbrots
Wir essen alles begeistert auf. Gut, dass ein Extra-Löffel im Besteckkasten steckt! Wir fragten uns beim Start, wie herum wir uns richtig herum bedienen. „Ihr werdet immer einen Löffel übrig haben", sagt Arne Anker. „Ich bin so ein Löffelesser, ich möchte immer einen dabeihaben."
Schließlich hat das hausgebackene Brot „mit viel Sauerteig" gemeinsam mit aufgeschlagener Butter mit Salz seinen großen Solo-Auftritt. „Dieser Gang im Menü bleibt immer gleich", sagt Anker. Das Brot hat eine wunderbar dicke, knusprige Kruste. Sehr angenehm, dass die Scheiben vom großen Laib eine maximale Krustenlänge haben! Weizenvollkorn-, Roggen- und Manitoba-Mehl mit extra viel Kleber-Eiweiß erzeugen eine kompakte und leicht feuchte Textur fürs wohlige Mundgefühl. Beim Käseteller stellen wir fest, dass wir das Brot zuvor glatt schon aufgegessen haben. Kein Problem, es wird nachgereicht. Fünf Käse von „Ziege in Asche" bis „Gepfeffertes Ärschle" weisen auf Fritz Blomeyer hin. Unverkennbarer „Signature-Käse" vom Fachmann für Deutsches aus der nahen Pestalozzistraße: Sein mit Frischkäse und Trüffeln selbst gefüllter Brie liegt mit auf dem Teller.
Ob „alles, was Orange ausmacht in Würfelform", so die Freundin über die Marshmallows als Petit Fours oder eine pochierte Dorade mit eingemachten grünen und gelben Stangenbohnen, Koriandercreme und Molke-Kefir-Gelee zu Beginn – immer steckt viel spontane Kreativität in den Menüs. Hört sich nach viel Arbeit an und ist es sicher auch. Macht aber der Küche und an der Bar viel Spaß. Gibt’s Gurken, wird kurzerhand ein frischer Saft mit Limettensaft, Dill- und Zitronensirup zu einem wohlduftenden alkoholfreien Aperitif gemixt. „Das ist doch das Schöne, dass wir nicht drei Wochen im Voraus planen", sagt Anker. Abwechslung und Überraschungen für die Gäste sind so garantiert.
Wer reserviert, kann im Online-Formular gleich angeben, was er nicht mag oder verträgt. Diese Flexibilität ist ein Segen für Allergiker: „Wir haben einen Stammgast mit einer Zitronen-Allergie. Damit können wir ohne Weiteres umgehen." Die Küche merkte sich das und baute im Lockdown bei den wöchentlich wechselnden Take-Away-Boxen immer eine Variante ohne Zitrone mit ein.
Arne Anker und Team starteten zuversichtlich am 20. November 2020. „Wir wollten nach dem ersten Lockdown ein positives Signal in die Branche senden", sagt Anker. Auch wenn das Warten auf das „richtige" Türen-Öffnen zu Gastraum und Terrasse schließlich noch sehr lange dauerte, kamen die Gäste. Finishten zu Hause, aßen auf und kamen wieder. „Es gibt so einige Gäste, die uns durch den Lockdown gebracht haben, indem sie einmal pro Woche bestellt haben." Nun finden 32 Personen am Abend in vier „Schichten" im Innenraum Platz. Jeweils zur vollen Stunde startet ein Durchgang. Alle fünf im Team sind jederzeit an derselben Stelle im Prozess des Zubereitens, Servierens oder Abräumens. Das ist ein Vorteil für die Organisation. Sehr angenehm für die Gäste: Anders als sonst bei Zeitfenster-Buchungen fühlt sich niemand nach dem gut zweistündigen Essen hinausgeworfen. Reservierungen – maximal für acht Personen auf einmal – sind deshalb Pflicht. Das Menü kostet inklusive Brot, Amuses, Petit Fours und Wasser pro Nase faire 80 Euro.
Faire 80 Euro für Menü pro Person
Arne Anker weiß, was er in der Gastronomie tut. Als Küchenchef erkochte er zuvor dem „Pauly Saal" einen Michelin-Stern. Ab April 2019 nahm er sich eine geplante Auszeit, um zu überlegen, wohin die Reise weitergehen sollte. Corona änderte seine Pläne. „Im Lockdown habe ich viel mit meinen Freunden geredet und die Entscheidung getroffen, mich selbstständig zu machen: ‚Wann, wenn nicht jetzt?‘, habe ich mir gedacht." Der vergangene Dezember zeigte, dass es funktioniert. Mehr als 200 Menü-Boxen wurden verkauft. Später gab es auch „Four-Hands-Dinner-Boxen" mit befreundeten Restaurants wie mit dem „Daemon" und „Tante Fichte". Die Gäste blieben und bleiben dem „Brikz" treu – und neue sind nach wie vor willkommen.
Einen einzigen Nachteil hat das Konzept: Gänge wie die Garnelen mit Fenchel und Hummerbisque, in die ich mich spontan verknallte, wird’s so schnell nicht wieder geben. Eines ist aber auch klar: Bei so viel Abwechslung ist der nächste Lieblingsteller womöglich nur einen Tag entfernt.