Karim Adeyemi wurde wegen Disziplinlosigkeiten in sehr jungen Jahren aussortiert, mittlerweile ist er Nationalspieler und jüngster Torschütze. Manfred Schwabl, Präsident der SpVgg Unterhaching, spielt in dieser Geschichte eine Hauptrolle.
Dieses Jahr war für Karim Adeyemi durchaus turbulent. Denn noch im ersten Drittel von 2021, am 28. Februar, ging für ihn die Welt unter. Im Spiel seines Clubs RB Salzburg gegen Sturm Graz wechselte ihn sein damaliger Trainer Jesse Marsch schon nach 36 Minuten aus. „Ich war völlig fertig", sagte Adeyemi danach. Ein halbes Jahr später sieht die Welt völlig anders aus. Jesse Marsch ist mittlerweile Trainer bei RB Leipzig in der Bundesliga und Karim Adeyemi hat einen raketenhaften Aufstieg hinter sich. Denn Adeyemi, 19 Jahre jung, ist der jüngste deutsche Nationalspieler, der je in einem Pflichtspiel ein Tor erzielt hat. In der 90. Minute traf er, gerade 17 Minuten auf dem Platz, zum 6:0-Endstand gegen die Armenier. Auf der Tribüne in Stuttgart fieberten Mama Alexandra und Vater Abbey mit – sie aus Rumänien, er aus Nigeria stammend, die hinterher nicht nur ihr Glück mit ihrem Sohn teilen, sondern auch das Trikot mit der Nummer 13 wollten. Dem Trikot, dass der Spieler prägte, dem an diesem Abend gedacht wurde: Gerd Müller. Dass nun ihr Spross in beinahe ähnlicher Manier nach Hackenablage den Schlusspunkt unter die Gala setzte, war an Symbolwirkung kaum zu überbieten. Ein in München geborener Mittelstürmer mit multikultureller Vita führt sein Talent einem Millionenpublikum vor. Auch wenn er eher der Gegenentwurf des Gerd-Müller-Prototypen ist. Plötzlich war Karim Adeyemi ein Name. Überall präsent, Pressekonferenz, Interviewanfragen, vor ein paar Monaten noch kannten ihn nur die Fußballinsider – und selbst von diesen nicht alle. Denn er ist einer der wenigen Nationalspieler, die noch kein einziges Bundesligaspiel absolviert haben. Doch er bringt etwas mit, was in der Nationalmannschaft über lange Zeit gefehlt hat. „Meine Geschwindigkeit als erstes. Vorne drin ein bisschen im Eins gegen Eins und meine Torgefährlichkeit: So würde ich mich beschreiben", erzählt er selbst über sich. Dass ihn Tempo und Instinkt zu einem der interessantesten Talente im deutschen Fußball machen, weiß der DFB schon länger. Der Verband ehrte Adeyemi vor genau zwei Jahren in Hamburg mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold als besten U17-Spieler. Eine Auszeichnung, die auch schon an Mario Götze oder Leon Goretzka ging.
Schwabl wurde zum Ersatzvater
Der Weg zu dieser Medaille und später auch in die Nationalmannschaft war jedoch nicht vorgezeichnet. Im Alter von zehn Jahren wäre diese Karriere möglicherweise schon zu Ende gewesen – wenn sich Manfred Schwabl nicht um diesen jungen Menschen gekümmert hätte, der durch Undiszipliniertheiten auffiel. Der heute 55-Jährige war ein erfolgreicher Bundesligaspieler beim FC Bayern, bei Nürnberg und den Münchner Löwen. Schwabl ist ein echter Bayer, seit fast zehn Jahren ist er Präsident der Spielvereinigung Unterhaching. Zum ersten Mal trafen Schwabl und Adeyemi 2012 aufeinander. Das Nachwuchstalent und der FC Bayern hatten sich gerade nach zwei Jahren wieder getrennt. Beim Rekordmeister erkannten sie zwar das sportliche Talent, aber menschlich passte es nicht, hieß es. Adeyemi war zehn Jahre jung, aber Unterhaching und Schwabl erahnten, dass aus diesem kleinen Jungen mal etwas werden kann. Das soziale Miteinander sei mit Adeyemi zuerst schwierig gewesen, erzählte der ehemalige Bayern-Profi Schwabl einmal, der mit der Familie im Erziehungsprozess eine wichtige Abmachung traf: Macht Karim keine Hausaufgaben oder lernt in der Schule nicht, darf er nicht trainieren. Sechs Jahre dauerte die Beziehung zwischen der Spielvereinigung in der Münchner Vorstadt und Adeyemi. Schwabl hatte seinen Liebling gefunden. Adeyemi hatte die Zeit zu reifen. Der 55-Jährige ist rückblickend eigentlich fassungslos, „dass kein deutscher Topverein einen Platz für ihn hatte und dass solche Toptalente in der Bundesliga generell zu wenig Chancen bekommen", findet Schwabl. Dass ein zehnjähriger Junge Flausen im Kopf hat, passt eben nicht in das durchgestylte Konzept eines Nachwuchsleistungszentrums. Ein Kritikpunkt, den schon einige bemängelten, unter anderem Mehmet Scholl. Zwar können die Spieler alle Systeme „vorwärts und rückwärts furzen", aber eigene Typen werden nicht gefördert. Adeyemi war so ein Typ und hat es jetzt geschafft, weil Schwabl an ihn geglaubt hat und wusste, wie er mit ihm umzugehen hat.
Als er Unterhaching dann 2018 verließ, schien ihm die gesamte Fußballwelt offenzustehen. Chelsea, Barcelona, Leipzig – große Klubs hatten ihn angeblich auf dem Zettel. Adeyemi entschied sich für Salzburg, nah an der Heimat mit dem Konzept, dass junge Spieler ausgebildet werden, um dann den nächsten Schritt zu einem großen Verein zu machen. Unterhaching hatte auch etwas davon und kassierte Medienberichten zu Folge drei Millionen Euro.
Kuntz nominierte ihn nicht für die U21
In Salzburg sind sie es gewohnt, vielversprechende Spieler an größere Vereine abzugeben. Das ist das System Red Bull. Adeyemi scheint der Nächste in der Reihe zu sein, dem diese Laufbahn vorgeschrieben ist. Erst einmal zum Feinschliff beim Farmteam FC Liefering aufgebaut, dann unter Jesse Marsch der Salzburger Stammelf angenähert, jetzt unter dem neuen Cheftrainer Matthias Jaissle zum Leistungsträger geworden. Sieben Tore in den ersten neun Spielen der Saison, Erster in der Torschützenliste, deutscher Nationalspieler, der erste aus der österreichischen Liga, der das geschafft hat.
Das Tempo, in dem sich Adeyemi auf den Radar der deutschen Nationalmannschaft gespielt hat, ist fast so schwindelerregend, wie sein eigenes Tempo auf dem Platz. Sechs Monate nach der demütigenden Auswechslung gegen Sturm Graz, sechs Monate auch, nachdem U21-Coach Stefan Kuntz ihn bei der Nominierung zur Gruppenphase der EM noch ignoriert hat.
Bei der Endrunde der U21 im Juni, als das DFB-Team den Titel feierte, war er dann dabei, er stand aber nie in der Startformation, wurde bei allen Spielen erst spät eingewechselt. Im Viertelfinale nach 75 Minuten, im Halbfinale nach 68 Minuten, im Endspiel dann nach 67. Da waren die Fortschritte, die Adeyemi machte, noch kleiner. Mittlerweile sind es ziemlich große Sprünge. Von großen Sprüngen träumt er auch. „EM-Titel, Weltmeistertitel, Sieg in der Champions League. Man soll ja nach dem höchsten streben", sagte er gegenüber dem österreichischen „Standard".
Adeyemi schaut derzeit vor allem zu Serge Gnabry auf, der für ihn so etwas wie ein Vorbild ist. „Mit Gnabry zu spielen oder ihm zuzuschauen und mit ihm zu reden, ist was Besonderes", erzählte der Novize fast ehrfürchtig: „Ich bin immer noch geflasht." Für eben diesen Gnabry wurde er bei seinem Debüt eingewechselt. Und Hansi Flick ist absolut zufrieden mit seinem neuen Flügelflitzer. „Karim hat gezeigt, was er auch in Salzburg zu Beginn dieser Runde gezeigt hat: Dass er im Strafraum ein guter Vollstrecker ist und sehr selbstbewusst agiert", so Flick. Mahnende Worte ließ der Bundestrainer aber sofort folgen: „Es ist noch viel Arbeit, auch für ihn."
Adeyemi ist vielleicht das beste Beispiel dafür, was in der Talentförderung des DFB über Jahre schief gelaufen ist. Gleichzeitig zeigt es aber auch, dass es durchaus Grund zur Hoffnung gibt. Junge Fußballer, vor allem mit zehn Jahren, sollten erst mal Kinder sein. Schwabl hat gezeigt, dass mit einem grundlegenden Verständnis und den nötigen pädagogischen Handgriffen die Möglichkeit besteht, einen schwierigen Typen doch auf den richtigen Weg zu führen. Dass er sich von einem Frechdachs zu einem Hoffnungsträger entwickelt hat, daran hat Manfred Schwabl einen großen Anteil – den allergrößten hat Adeyemi selbst.