Klaus Kinski zählte zu den wenigen deutschen Kino-Weltstars. Der Egomane mit dem stechenden Blick hatte allerdings nicht nur auf der Leinwand den ewigen Schurken oder Psychopathen gemimt, sondern auch im wahren Leben sein Umfeld ständig tyrannisiert und manipuliert. Dieser Tage wäre er 95 Jahre alt geworden.
Klaus Kinski bewegte sich sein Leben lang auf einem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Auf der Leinwand kam ihm das bei seinen schätzungsweise rund 140 Filmen, die er selbst größtenteils „zum Kotzen" fand, sehr zugute. Die Paraderolle des ewigen Verbrechers, gefühlskalten Killers oder undurchschaubaren Psychopathen schien dem Exzentriker, Egomanen und Enfant terrible mit dem stechenden Blick, den markanten Gesichtszügen und der schneidenden Stimme wie auf den Leib geschneidert. Ein direkter Weg führte ihn von seinen skandalumwitterten One-Man-Bühnen-Rezitationsshows vom Anfang der 1950er-Jahre über die 17 Edgar Wallace-Episoden der 1960er-Jahre und die rund 25 Auftritte in (Italo-)Western-Streifen in den 1960er- und 1970er-Jahren bis hin zur legendären Zusammenarbeit mit Regisseur Werner Herzog und auch nach Hollywood.
Mit seinen ständigen Wutausbrüchen und von Größenwahn geschürten Eskapaden konnte er die Dreharbeiten für jeden Regisseur zur Hölle machen. Was nur aus einem einzigen Grund geduldet wurde: „Der Mann hatte eine solche Intensität an sich", sagte Werner Herzog, „eine solche Präsenz auf der Leinwand, die eigentlich ohne Beispiel in der Filmgeschichte ist. Er war das einzige Genie, dem ich begegnet bin."
Auch in seinem dem Luxus durchaus zugeneigten Privatleben mit teuren Wohnungen oder protzigen Karossen wie mehreren Rolls-Royce, Maseratis oder Ferraris präsentierte er sich kontinuierlich als Berserker oder Bürgerschreck. Er bot dabei das volle Programm mit Schlägereien, Unfällen, Randalen, Sachbeschädigungen, Selbstmordversuchen, unzähligen Affären oder unflätigen Beleidigungen. In Fernseh-Talkrunden war er ein gerne gesehener Gast, weil er stets die Erwartungen des nach Skandalen oder Sensationen gierenden Publikums zu erfüllen pflegte. Allerdings wurde lange Zeit gemeinhin angenommen, dass er das Image des auch privaten Kotzbrockens zur Selbstvermarktung bewusst inszeniert hatte. Schließlich hatte er vieles in seiner Biographie umgestrickt – vom vermeintlichen Aufwachsen in bitterarmen Verhältnissen bis hin zu angeblichen inzestuösen Beziehungen zu Mutter und Schwester. Aus dem Umfeld seiner Familie war dies vehement als Unwahrheiten deklariert worden.
Eigene Tochter nannte ihn Kinderschänder
Zehn Jahre nach seinem Tod war 2006 in Würdigungen zu seinem 80. Geburtstag plötzlich als Gegenbild zum öffentlichen Rüpel der kaum
durch Fakten belegbare Mythos des sensiblen Privatmanns neben dem glänzend herausgestellten cineastischen Lebenswerk aufgetaucht. Wofür eigentlich nur seine Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu seinem einzigen, im kalifornischen Lagunitas lebenden Sohn Nikolai gesprochen hatte. Kinski hatte sich Anfang der 1980er-Jahre unweit seines Filius in der Wildnis ein Blockhaus errichten lassen, um wenigstens seinem ihm viel bedeutenden Sohn aus dritter Ehe mit der Vietnamesin Minhoi Geneviève Loanic, die bei der Heirat gerade mal 19 Jahre alt gewesen war, ein guter Vater sein zu können. Insbesondere, nachdem er bei seinen Töchtern Pola (aus der Ehe mit der Sängerin Gislinde Kühbeck) und Nastassja (aus der Partnerschaft mit Brigitte Ruth Tocki, die bei der Eheschließung 20 Lenze gezählt hatte) grandios versagt hatte.
Dass Kinski in seiner Lagunitas-Hütte, in der er am 23. November 1991 infolge eines Herzinfarktes im Alter von 65 Jahren starb, mit der anfangs gerade mal 19-jährigen italienischen Schauspielerin Debora Caprioglio zusammengelebt hatte, hatte wieder mal nachdrücklich seine Vorliebe für blutjunge Frauen, um nicht zu sagen Lolita-Mädchen, dokumentiert. Daraus hatte Kinski zeitlebens aber auch nie einen Hehl gemacht. Schon 1977 hatte er als Gast der von Reinhard Münchenhagen moderierten WDR-Talkshow „Je später der Abend" ganz offen gegen die deutschen Jugendschutzbestimmungen gewettert: „Hier kommen Sie ins Gefängnis, wenn Sie mit einem zwölfjährigen oder vierzehnjährigen Mädchen schlafen, im Orient verheiratet sie sich mit elf Jahren. Was ist das für ein Unsinn." 1975 hatte er sogar in seiner romanhaft ausgesponnenen Autobiographie „Ich bin so wild nach deinem Erbeermund" freimütig küssende Übergriffe auf eine zehnjährige Tochter eines Bekannten und Geschlechtsverkehr mit einer Dreizehnjährigen eingestanden. Er blieb aber von jeglicher juristischen Verfolgung unbehelligt, weil man ihm das schlichtweg nicht geglaubt und ebenso wie seine 76 Orgasmen in einer Nacht mit einer Architektin-Gattin ins Reich der Sex-Protzerei abgetan hatte.
Dass Kinski wohl tatsächlich ein widerlicher Kinderschänder und Tyrann gewesen war, wurde durch die im Jahr 2013 unter dem Titel „Erdbeermund" veröffentlichten Bekenntnisse von Pola Kinski untermauert. Sie konnte glaubwürdig inzestuösen Missbrauch durch ihren Vaters zwischen ihrem fünften und 19. Lebensjahr beschreiben. Zusätzlich Unterstützung erhielt sie durch ihre Schwester Nastassja, bei der die Übergriffe allerdings nicht ganz so gravierend wie bei Pola gewesen sein sollen. „Er hat es versucht", so Nastassja. „Er hat mich immer viel zu sehr angefasst, mich ganz eng an sich gedrückt, so dass ich dachte, ich könnte nicht herauskommen. Damals war ich vier oder fünf Jahre alt." Sie habe danach immer große Angst vor ihrem Vater gehabt: „Er war so unberechenbar, hat die Familie immer tyrannisiert. Ich würde alles dafür tun, dass er auf Lebzeiten hinter Gitter kommt. Ich bin froh, dass er nicht mehr lebt." Werner Herzog gegenüber soll Kinski im Sommer 1981 seine Vergehen freimütig eingestanden haben, allein für seine Übergriffe gegen seine beiden Töchter wären demnach in den USA 20 Jahre Freiheitsentzug fällig gewesen.
Nach zwei Suizid-Versuchen in Nervenklinik
Klaus Günter Karl Nakszynski, der sich seinen Künstlernamen Klaus Kinski bereits 1946 bei ersten Theater-Engagements zulegte, wurde am 18. Oktober 1926 im ostpreußischen Zoppot unweit von Danzig als Sohn eines Apothekers und einer Krankenschwester geboren. 1930 verlegte die Familie ihren Wohnsitz nach Berlin-Schöneberg, wo Kinski wegen des Einzugs zu einer Fallschirmjägereinheit der Wehrmacht 1944 keinen gymnasialen Schulabschluss machen konnte. In britischer Gefangenschaft betrat er im Oktober 1945 erstmals eine Theaterbühne. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland schlug er auch gleich den Berufsweg des Schauspielers ein. Und trotzt des Fehlens jeglicher Ausbildung gelangen ihm bemerkenswerte Engagements an renommierten Häusern wie dem Berliner Schlosspark Theater.
Schon 1948 erhielt er seine erste winzige Filmrolle als holländischer Häftling in dem den Holocaust thematisierenden Streifen „Morituri". Nach Tätlichkeiten gegen eine Ärztin, die seine Liebesbekundungen nicht erwidern wollte und nach einem zweifachen Suizid-Versuch landete Kinski 1950 in einer Berliner Nervenklinik, wo ihm „Gemeingefährlichkeit" und „Anzeichen schwerer Geisteskrankheit" attestiert wurden. Mit seinen unnachahmlichen, emotional aufgeheizten Rezitations-Veranstaltungen, bei denen er ab 1952 von Berlin bis Wien Werke von Rimbaud über Villon bis Nietzsche vortrug, machte er sich einen Namen – und ordentlich Kasse. In den 1960er-Jahren soll er stolze 4.000 Mark pro Auftritt erhalten haben. Zudem wurden seine deklamierten Verse auch auf gut verkäufliches Vinyl gepresst.
Steven Spielberg holte sich bei ihm einen Korb
Filmisch waren die 1950er-Jahre nicht weiter erwähnenswert, die erste richtige Hauptrolle konnte sich Kinski 1962 im Krimi „Der rote Rausch" ergattern, in dem er einen schizophrenen Mörder verkörperte. Zwischen 1960 und 1969 war er in 17 Edgar Wallace-Krimis zu sehen, wobei vor allem seine Leistung in den Episoden „Das Gasthaus an der Themse" und „Der Hexer" überzeugte. Zu seinen besten Western-Auftritten zählen die Filme „Für ein paar Dollar mehr" 1966 und „Leichen pflastern seinen Weg" 1969.
Internationale Aufmerksamkeit erregte Kinski durch seine gelobte Nebenrolle eines Anarchisten in David Leans Opus „Doktor Schiwago" 1965 oder durch die Rolle eines exaltierten Theaterschauspielers an der Seite von Romy Schneider in dem Skandalstreifen „Nachtblende" von 1975. Hollywood klopfte an, Billy Wilder engagierte Kinski 1981 für die Komödie „Buddy Buddy", George Roy Hill für den Spionage-Thriller „Die Libelle" 1984. Steven Spielberg wollte Kinski ebenfalls für seinen Abenteuerfilm „Jäger des verlorenen Schatzes" haben, holte sich jedoch einen Korb.
Kinski konnte wählerisch sein, hatte er doch mit Regisseur Werner Herzog die ewigen Filmklassiker und persönlichen Schaffenshöhepunkte „Aguirre, der Zorn Gottes" 1972, „Nosferatu – Phantom der Nacht" und „Woyzeck" 1979 sowie „Fitzcarraldo" 1982 realisiert. Und auch Kinskis letztes Filmwerk und zugleich erstes Regiedebüt mit dem Titel „Kinski Paganini" aus dem Jahr 1989 bestätigten noch einmal eindrücklich die Klasse des Ausnahmeschauspielers.