Unbegreiflich schnell: Wissen wir genau, was sich in Supercomputern abspielt? Denn diese Rechner bieten nicht nur große Möglichkeiten, sondern werfen auch Fragen auf – vor allem ethische. Prof. Dr. Klaus Mainzer, deutscher Philosoph und Wissenschaftstheoretiker, ist sich der Gefahren dieser Technologie bewusst.
Viele Menschen sind froh, ihren Laptop bedienen zu können. Dabei beschäftigen sich die Großmächte dieser Welt, allen voran die USA und China, mit weitaus komplexeren Technologien. Superrechner und Quantencomputer rücken immer weiter ins Interesse der breiten Öffentlichkeit. Doch was ist so „super" an diesen Rechnern? Und kann man sie missbrauchen?
Prof. Dr. Klaus Mainzer ist Präsident der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste und beschäftigt sich mittlerweile seit fast einem halben Jahrhundert mit den Grundlagen der Mathematik, Physik und Informatik – ebenso mit ihren philosophischen Aspekten. Er sagt: „Superrechner und Quantencomputer werden zusammen mit den Algorithmen der Künstlichen Intelligenz zu Innovationsdurchbrüchen führen, deren Grundlagen und Auswirkungen für die Gesellschaft weitgehend noch nicht durchschaut sind und einer dringenden Analyse bedürfen."
Ungeheure Rechenleistung
Was genau unterscheidet einen Superrechner vom Laptop auf unserem Schreibtisch? Der erste Computer, „Z3", den der Deutsche Konrad Zuse während des Zweiten Weltkrieges erfand, besaß schon damals die gleiche Struktur wie ein heutiger Rechner: jede Menge Schalter, Strom und ein binäres System aus Nullen und Einsen, unsere heutigen Bits zur Codierung jeder Art von Information. Diese Rechner arbeiten mit einer Anzahl von Rechenoperationen pro Sekunde, womit man noch heute die Leistungsfähigkeit eines Computers misst. Die „Z3" war in der Lage, fünf einfache Rechenschritte, sogenannte Gleitkommaoperationen, in einer Sekunde zu lösen. Heutige Superrechner schaffen das Billionenfache an Operationen pro Sekunde.
Diese Rechenoperationen werden im Zentralprozessor (CPU) ausgeführt. Herkömmliche Laptops besitzen in der Regel eine CPU mit einem oder zwei Rechenkernen, Desktop-Rechner kommen heute auf bis zu acht Kerne. Ein Superrechner dagegen besitzt gleich mehrere Zentralprozessoren – der „Fugaku"-Supercomputer im japanischen Riken-Institut für Computerwissenschaften, derzeitiger Spitzenreiter im weltweiten Superrechner-Ranking, arbeitet mit gleich 7,6 Millionen Rechenkernen. „Also mehrere solcher kleinen Gehirne, die diese Rechenschritte in der Regel parallel ausführen", erklärt Klaus Mainzer. Der amerikanische Superrechner „Summit" schafft 122 sogenannte Petaflops („Peta Floating Points" oder Peta-Gleitkommaoperationen). Das wiederum sind 122 mal 1.015 Rechenschritte in einer Sekunde. „Die ganzen Nullen bei dieser Zahl können wir uns kaum vorstellen", so der Wissenschaftstheoretiker, „das, was diese Superrechner heute in der Regel berechnen, sind gewaltige Simulationen von sehr komplexen Prozessen mit einer ungeheuren Menge an Einzeldaten und Größen, die dabei zu berücksichtigen sind." Daher kommt diese spezielle Technologie vor allem dort zum Einsatz, wo komplexe und riesige Datenmengen miteinander verglichen und in Bezug zueinander gebracht werden müssen: in der Klimatologie, der Medizin oder der Astrophysik zum Beispiel.
Welche Chancen stecken nun in dieser Technologie – und welche Risiken? „Diese Rechner können natürlich so einiges", sagt Mainzer. „Sie können Simulationen über andere Erdteile durchführen, Wetter- und Wirtschaftsentwicklung voraussagen, große Datenmengen nach Personen durchsuchen, und das in einem Ausmaß, wie wir es uns gar nicht vorstellen können."
Das Positive an der Rechenmacht: Dank der Supercomputer müssen die westlichen Atommächte heute keine realen Atombombenversuche mehr durchführen. Die Abläufe bei einer solchen Kernexplosion bei neu entwickelten Kernwaffen können mittlerweile in einem Superrechner sehr genau simuliert werden. Supercomputer helfen dabei, Energieprozesse innerhalb des Sonnenballs zu simulieren und die Erkenntnisse in der Kernfusionsforschung auf der Erde zu nutzen. Auch die Sicherheit der Menschen wird maßgeblich von ihnen beeinflusst: Sie haben in zahlreichen vergeblichen Entschlüsselungsversuchen bewiesen, dass die stärksten Verschlüsselungscodes dieser Welt, wie man sie etwa in Finanz- und Bankensystemen nutzt, von einem heutigen Superrechner nicht geknackt werden können. „Im Grunde beruht unser Vertrauen in diesem hochsensiblen Bereich und die dort verwendeten Codes auf der Annahme, dass ein klassischer Supercomputer beziehungsweise ein schlauer Mathematiker bisher noch keinen Algorithmus gefunden haben, um diese Codes zu knacken. Obwohl es prinzipiell nicht ausgeschlossen ist", erklärt Klaus Mainzer. Nicht ausgeschlossen heißt, es könnte vielleicht schon in naher Zukunft passieren. Denn auf den Supercomputer folgt der Quantencomputer. Bereits in den 90er-Jahren haben Mathematiker bewiesen, dass ein Algorithmus, der die Methoden eines Quantencomputers nutzen könnte, alle Sicherheitscodes dieser Welt knacken würde. „Das ist wirklich eine hochaktuelle Sache, gerade auch in der Auseinandersetzung mit China und den USA, die in der Erforschung dieser neuen Rechner natürlich ebenfalls sehr engagiert sind", so der Professor.
In Science-Fiction steckt auch ein Funken Wahrheit
„Einen Quantencomputer baut man allerdings nicht einfach mal so", erklärt der Wissenschaftstheoretiker. Denn um die gewünschten Quantenzustände innerhalb eines Quantencomputers zu erreichen, sind einige technologische Hürden zu überwinden. Um Quanteneffekte zu nutzen, müssen (wenigstens bisher) Tiefkühltemperaturen wie im Weltraum technisch auf der Erde hergestellt werden, die noch sehr störanfällig sind (Dekohärenz). Der große Vorteil: Unter dieser Voraussetzung können beliebig viele Daten in einem einzigen Quantenzustand zusammengefasst werden (Superposition), um darauf alle notwendigen Rechenschritte gleichzeitig ausführen zu können. In einem klassischen Superrechner müssen parallele Rechnungen auf getrennten Daten getrennt voneinander durchgeführt werden. Dieser Quantenparallelismus trägt zu einer gigantischen (exponentiellen) Steigerung der Rechengeschwindigkeit bei. Anfang 2019 hat zuletzt Google einen solchen Quantencomputer gebaut. Er gelang zwar, konnte allerdings nur eine einzige komplexe Aufgabe schneller als ein klassischer Superrechner berechnen. Die große Herausforderung lautet, einen universellen Quantencomputer zu erschaffen, der mehrere Aufgaben gleichzeitig lösen kann. Anfang dieses Jahres gelang das der Firma „IBM", allerdings ist ihr Supraleiter-Quantencomputer noch langsamer als ein klassischer Rechner von heute.
Doch wie viel wissen wir eigentlich über diese Rechner und darüber, wofür sie genutzt werden? Bei den gewaltigen Möglichkeiten wandern die Gedanken ziemlich schnell in Richtung Missbrauch und Kontrolle. Ein besonders eklatantes Beispiel hierfür ist laut Klaus Mainzer China. Der Staat will die Nummer eins der Superrechner bauen und hat es sich unter dem Stichwort „Social Score" zum Ziel gemacht, eine vollständige Datenerfassung jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin vorzunehmen. „Das ist aber nicht vergleichbar mit der Datenerfassung hier bei uns in der Bundesrepublik, sondern dort wird wirklich alles festgehalten. Es findet sozusagen die komplette Simulation einer Person statt", erklärt der Experte und fügt hinzu: „Bei dieser ungeheuren Anzahl von Menschen kann man sich leicht vorstellen, dass dies der schnellsten Supercomputer bedarf, die wir uns vorstellen können". Die chinesische Tradition stelle bekanntermaßen das kollektive Wohl vor das Individuum.
„Deshalb glaube ich sagen zu können, dass dieses Konzept dort auch auf große Zustimmung stößt. Ich sage das, um darauf hinzudeuten, dass die Bewertung solcher Kontrollmöglichkeiten auf dieser Welt durchaus unterschiedlich ist. Auf den ersten Blick scheint eine solch gewaltige Datenerfassung mit schnellen Algorithmen wesentlich effektiver Pandemien, Wirtschaftskrisen, Katastrophen aller Art bis hin zur organisierten Kriminalität bekämpfen zu können. Allerdings um welchen Preis?" Beruhigend also, dass die Nutzung dieser Technologie in Deutschland gar nicht mal so einfach ist. Klaus Mainzer weist auf die erheblichen Hürden innerhalb der deutschen Demokratie hin, da jeder Zugriff durch einen Richter genehmigt werden muss und alles im Rahmen des Gesetzes geschieht. Mit Blick auf die Bewertung des Einzelfalls ist das ein Vorteil und verlangsamt nicht nur Prozesse, sondern gewährleistet auch individuelle Sicherheit. „Dadurch haben wir – wenigstens im Prinzip – immer die Möglichkeit, vor Gericht dagegen anzugehen, wie mit unseren persönlichen Daten umgegangen wird", erklärt Mainzer. Außerdem setzen sich Sicherheitsbeauftragte, die sich mit der Technik, den entsprechenden Gesetzen und den dahinterstehenden ethischen Fragen auskennen, überall auf wissenschaftlichen und politischen Ebenen für Datensicherheit und Personen ein, so Mainzer.
Aufwendig inszenierte Science-Fiction-Filme verarbeiten die Selbstermächtigung von Superrechnern, Robotern und Künstlicher Intelligenz (KI) besonders gerne. Alles nur Fantasie? – Nicht ganz, denn auch die Wissenschaft lässt anklingen, dass der Mensch nicht alles weiß, was sich in diesen Maschinen abspielt. „Bei klassischen Superrechnern wissen wir ziemlich genau, was da abläuft. Aber in der KI werden sogenannte neuronale Netze eingesetzt, die quasi dem menschlichen Gehirn nachgebildet sind. Sie werden heutzutage schon ganz praktisch angewendet, zum Beispiel bei den Entwicklungen des autonomen Fahrens oder bei der Auswertung der Gesichtserkennung. Diese neuronalen Netze sind in der Praxis so komplex, dass tatsächlich das Black-Box-Phänomen auftreten kann. Ich weiß also, was im Prinzip abläuft. Ich weiß allerdings nicht genau, was sich in diesen Tausenden von Knotenpunkten innerhalb dieser neuronalen Netze abspielt. Ich sehe nur, was am Ende als Output rauskommt. Das ist mit Sicherheit ein Problem, und da sind Prüfverfahren besonders gefordert."
Kann diese Technologie die Menschheit also tatsächlich irgendwann wie in einem Science-Fiction-Film vernichten? „Ich halte solche Spekulationen für nicht zielführend", erklärt Klaus Mainzer: „Denn Algorithmen hängen von mathematischen Grundlagen ab, die der Mensch im Prinzip durchschauen kann". So beispielsweise auch die Grundlagen von schnellen Algorithmen am Börsenmarkt (Flash Trade), die blitzschnell Veränderungen der Daten erkennen und Entscheidungen treffen, die am Ende zu einem Börsencrash führen können, da der Mensch mit seinem langsamen Gehirn nicht schnell genug reagieren kann. Um die unkontrollierte Verselbstständigung dieser Algorithmen zu verhindern, hat der Gesetzgeber entsprechende Richtlinien für den Flash Trade herausgegeben. Klaus Mainzer weist darauf hin, wie wichtig die Verifikation von Algorithmen aus genau diesem Grund sei. Die Einführung von exakten Prüfverfahren soll garantieren, dass der Algorithmus am Ende genau das macht, was von ihm erwartet wird – und nichts anderes.
Kein Ersatz für den Menschen
Im Angesicht einer derart mächtigen Technologie wirkt der Mensch klein und ohnmächtig. Schafft er sich am Ende durch die Supercomputer selbst ab? „Überall dort, wo es um technische Unterstützung des Menschen geht, dringt die Technik vor, und das ist auch gut so. Aber dort, wo es um Zuwendung geht – dass auch mal ein Beratungsgespräch stattfindet, das psychologische Aspekte berücksichtigt und auf die Situation des kranken Menschen eingegangen wird – das wird auch mit einer noch so schönen Computerstimme nicht möglich sein", erklärt der Philosoph. Auf Zuwendung, Körperkontakt und Empathie komme es an, und genau da lägen die Grenzen der heutigen KI. „So ambitioniert es auch aussehen mag, was wir technisch heute können oder beabsichtigen, am Ende sollte das alles Dienstleistung sein. Technik ist Werkzeug und sollte es auch bleiben."
Science-Fiction bleibt also erst einmal Science-Fiction, auch wenn der Wissenschaftstheoretiker nicht ausschließen möchte, dass Superrechner und Roboter mit KI irgendwann so etwas wie ein Bewusstsein entwickeln könnten. Schon heute besitzen Roboter eine gewisse Selbstwahrnehmung („Self-awareness"), die sie davor schützen soll, sich selbst zu zerstören. Allerdings dürfe man sich das nicht so vorstellen, als könnte ein Roboter so etwas wie Gefühle oder Empathie entwickeln – jedenfalls noch nicht. Klaus Mainzer: „Das halte ich für interessant in der Forschung, aber in der Praxis noch weit weg. Aber wenn es technisch möglich wäre, dann sollte man sich auch tatsächlich überlegen, ob man das haben will. Oder ob man dafür nicht die Organismen nehmen sollte, die die Evolution schon längst geschaffen hat – nämlich uns Menschen."