So ganz einfach hatte es Strickmode in der Vergangenheit ja nicht. Das hat sich diesen Winter komplett geändert. Neben vielen Feinstrick-Modellen überraschen die neuen Kollektionen vor allem mit grobmaschigem Zopfstrick.
Auf den Laufstegen bekannter Designermarken wie Chloé, Bottega Veneta, Proenza Schouler, Fendi, Salvatore Ferragamo, Altuzarra, Khaite oder Gabriela Hearst für den Winter 2021/22 tauchten nicht nur reihenweise Zopfmuster-Pullover auf, sondern ganze Grobstrick-Ensembles. Die Models waren gewissermaßen von Kopf bis Fuß in einem Knitting-Allover-Look gekleidet. Strickkleider, Cardigans, Mäntel oder Maschenhosen nicht zu vergessen. Nicht mal vor den Handtaschen macht der Zopfstrick-Trend derzeit halt, wobei das Label A.W.A.K.E mit einer wolligen Bag in Flecht-Optik den Vogel abgeschossen hat, während Brands wie Chloé oder Phillip Lim das Zopfmuster lediglich in Leder nachgeahmt haben. Eigentlich müsste die Aufregung und Verblüffung um Cable Knit, das im Englischen auch schon mal als Chunky Knit oder Coarse Knit bezeichnet wird, riesengroß sein. Schließlich wurde im vergangenen Winter ein regelrechtes Bohei um das Comeback des jahrelang als spießig verschrienen Pullunders gemacht, der natürlich auch in den aktuellen Designer-Kollektionen wieder sehr repräsentativ vertreten ist – von Gucci über Phillip Lim bis hin zu Staud. Doch weit gefehlt. In deutschsprachigen Publikationen beispielsweise wurde der Strick-Trend, wenn überhaupt, meist nur beiläufig erwähnt. Bei Instagram schlug er nur winzige Wellen. Die Zahl der Knitting-Follower war bislang mehr als überschaubar. Nur in der britischen „Vogue" und vor allem im Fashion-Online-Portal whowhatwear.co.uk wurde der neue Strick-Look angemessen gewürdigt.
Wolle steht für Wärme und Weichheit
Es hat fast den Anschein, als würde es überhaupt nicht als etwas Besonderes angesehen, dass Strick in der Wintersaison angesagt ist. Was natürlich stimmt, weil wärmendes Knitting seit jeher in der kalten Jahreszeit in Massen gekauft wird. Nur wurde dabei geflissentlich übersehen, dass die Mehrzahl der Strickklamotten über lange Zeit eben nicht von Designermarken gestammt hatten. Zumindest abgesehen von hochpreisigen Kaschmir-Pullovern oder dem braven Pulli-Jäckchen-Duo namens Twinset, das übrigens schon in den 50er-Jahren Einzug in die Haute-Couture gehalten hatte. „Gestricktes hat in der Mode immer eine besondere Rolle gespielt, lange Zeit bedeutete das: gar keine", so die „Süddeutsche Zeitung" im Jahr 2014, als auf den Catwalks zuletzt eine vergleichbar große Ansammlung von Knitting-Pieces wie im Winter 2021/2022 zu bestaunen gewesen war. „Stoff aus Maschen besitzt andere Eigenschaften als gewebte Textilien, die ihn für subtile Entwürfe kaum geeignet machen. Die Vielseitigkeit der Baumwolle, das pompöse Volumen von Seide, die Raffinesse von Spitze – ein guter Couturier weiß die Vorzüge seines Materials optimal zu nutzen. Kleidungsstücke aus Shetland Wool hingegen, aus Merino oder Hasenfell galten als primitive Arbeitskluft. Noch heute assoziiert man Wolle mit Wärme, Weichheit, rustikalem Handarbeitsflair, sie steht eher für Emotionen als für Eleganz, heißt es in der „Süddeutschen".
Von daher hatte 2014 das plötzliche Auftauchen von Strick-Teilen in vielen renommierten Designer-Kollektionen für gehöriges Aufsehen und zu langen Bilderstrecken in den Mode-Magazinen gesorgt. Bei Stella McCartney waren es damals weite Strickkleider und grobmaschige Kapuzen, bei Phoebe Philos Céline oder Tom Ford überlange Wollhosen. Martin Margiela hatte sich für Sweater mit Norwegerrauten entschieden, Antonio Marras präsentierte lange Ganzkörperpullover mit dekorativem Wolfmotiv. Der damalige Knitting-Trend war Anlass genug, um sich an frühe Protagonisten der Strickmode in der Haute-Couture und in der Fahrt aufnehmenden modernen Fashion-Welt zu erinnern.
Den Anfang machte natürlich Coco Chanel mit ihren seinerzeit revolutionären Feinstrick-Jersey-Kleidern aus den Jahren nach 1916. Noch mutiger war Cocos ewige Rivalin Elsa Schiaparelli, die 1927 mit ihren absolut außergewöhnlichen Strickpullovern in Windeseile die Pariser Modewelt erobern konnte. Wobei der in schwarz-weißer Optik gehaltene Trompe-l’oeil-Schleifen-Pulli von der „Vogue" als „künstlerisches Meisterwerk" gefeiert worden war und später noch von farblich weitaus schrilleren Strickwaren wie dem Pulli in „Shocking Pink" in den Schatten gestellt werden sollte. Mit Jean Patou versuchte den beiden Damen ein männlicher Kollege die weibliche Kundschaft mit Strick-Klamotten streitig zu machen, wobei der Couturier mit seinen kubistischen, späteres Color-Blocking vorwegnehmenden Entwürfen vor allem im damals neuen Sportsegment punkten konnte. Anfang der 60er-Jahre sollte Ottavio Missoni die Strickmode mit seinem legendären Zick-Zack-Muster aufmischen, auch sein Knitting-Patchwork-Design sollte legendär werden. Sonia Rykiel verdankte ihren Ruhm den bunten, frech gestreiften Strickkleidern, Strickpullovern und Woll-Ensembles, die ihr 1972 den Ehrentitel „Queen of Knits" und Stammkundinnen wie Brigitte Bardot, Audrey Hepburn oder Catherine Deneuve einbrachten. Unter den aktuell angesagten Fashion-Designern hat sich vor allem der 38-jährige Joseph Altuzarra mit seinem 2008 gegründeten Label einen Namen als Strickmode-Spezialist gemacht.
Was als schwierig galt, wird zum Trend
Nachdem einige Labels wie Simone Rocha, Tory Burch, Ganni oder Balenciaga bereits vergangenen Winter erste Cable Knits präsentiert hatten, zogen diese Saison eine Vielzahl von bekannten Marken nach. Wobei die britische „Vogue" das cremefarbene, bodenlange Strickkleid von Chloé zu ihrem absoluten Favoriten gekürt hatte. Zumal Gabriela Hearst ein ähnliches Maxi-Sweater-Dress auch in ihrer eigenen Kollektion und nicht nur bei ihrem Chloé-Debüt gezeigt hatte. Bei Fendi gab es eine Kombi von Maxirock mit Bralette-ähnlichem Oberteil in Grobstrick zu bewundern. Bei The Row ein Cocooning aus beigefarbenem Maxi-Sweater mit Riesenschal-Umhang. Eckhaus Latta präsentierte einen Zipper-Sweater mit weit ausgestellten Ärmeln. Missoni zeigte sich bei einem Komplett-Look samt Hose und bodenlangem Umhang farbenfreudig und Längsstreifen-affin. Das Label Ami überraschte mit einem hochgeschlossenen, dunkelbeigen Turtleneck-Kleid, das im Brustbereich figurbetont und hüftabwärts weit ausgeschnitten gehalten war. Salvatore Ferragamo ließ ein Model in einem strahlend-weißen, bodenlangen, hoch geschlitzten und schulterfreien Cable Knit über den Laufsteg stolzieren. Bei Altuzarra wurde der Komplett-Strick-Look aus Rock und schulterfreiem Oberteil noch durch eine bauschige Mütze perfekt ergänzt. Wer sich einfach nur für einen Grobstrick-Pullover/-Cardigan als Statement-Piece entscheiden möchte, hat diesen Winter bei den Designer-Marken die Qual der Wahl. Um nur mal einige Labels zu nennen: Altuzarra, Vince, Annie Bing, Dodo Bar Or, Staud und Ulla Johnson.
Am besten schnell zugreifen, denn das Fashion-Suchportal Lyst vermeldete bereits geradezu explodierende User-Zugriffe für aktuelle Designer-Strickmoden. Das ehemalige Klein-Mädchen-Image von Grobstrick scheint sich komplett verflüchtigt zu haben. Oder um eine frühere Einschätzung der „Textilwirtschaft" zu zitieren: „Grob, gröber, am gröbsten. Grobstrick – was stets als schwierig galt, ist nun Megatrend."