Sauerteig, Glutenfreies und eine Extraportion Liebe stecken in den Pizzen von „Lovebirds – Contemporary Pizza". Die beiden „verrückten Vögel" Gianluca Simonato und Nicola Thiele eröffneten ihren ersten eigenen Laden Anfang Juli.
Was macht ein Pizzabäcker im Lockdown? Er experimentiert und entwickelt glutenfreie Pizza für seine Mitbewohnerin, die das Weizen-Klebereiweiß nicht verträgt. Die glutenfreie Pizza war zur Eröffnung von „Lovebirds – Contemporary Pizza" am
1. Juli „ganz normal" mit am Start und ist täglich erhältlich. Das ist ein Novum in Berlin und spricht sich gerade in der Glutenfrei-Community rasch herum. Doch Pizzaiolo und Mitinhaber Gianluca Simonato schiebt nicht nur vorgebackene und schockgefrostete Extra-Rundlinge in eigenen Formen in den Zweitofen.
Für alle „Normalos" wiederum, die Weizenmehl vertragen, läuft der große Steinofen in dem Eckladen nahe Rosenthaler Platz an sechs Tagen in der Woche auf Hochtouren. „Pizzeria Turteltäubchen"? „Wir heißen so, weil wir zwei verrückte Vögel sind, die Pizza lieben", sagt Simonato. Vogel Nummer zwei ist Nicola Thiele, der für die Organisation zuständig ist. Thiele und Simonato eröffneten ihr „Lovebirds" nach dem zweiten Lockdown Anfang Juli. Zwei Jahre Vorbereitung steckten im Konzept. Wegen Corona hatten sie „nur noch auf den richtigen Zeitpunkt zur Eröffnung" gewartet.
Weil die „Lovebirds" zwei große Herzen für Pizza haben, gibt’s die auf Wunsch so geformt. Ist noch mehr kulinarische Liebe denkbar? In jedem Fall sind Liebe und Geturtel im Laden eher von der lebhaften Art. Ein Lichtband leuchtet „Povera ma sexy" über unsere Köpfe. Obwohl montags für die Gäste geschlossen ist, herrscht Betriebsamkeit, wird vieles für die Woche vorbereitet. „Willst du schon mal von der Burrata und dem Mozzarella probieren?", werde ich zur Begrüßung gefragt. Gerade verabschiedet sich ein Händler, der seine Käse vorgestellt hat. Ich starte gut gelaunt und sahnige Burrata löffelnd in unser Gespräch.
Im vorderen Arbeitsbereich hinterm Tresen wallt Pizzaiolo Moro den Teig für die glutenfreien Pizzen aus Buchweizen- und Reismehl auf „Polvero"-Maismehl aus. Er kommt aus einem mindestens 48-stündigen Schönheitsschlaf, bevor er mit einer Sauce aus San-Marzano-Tomaten bestrichen, bei 380 Grad vorgebacken und tiefgefroren wird. „Ich habe extra einen Schockfroster gekauft", sagt Simonato. Weizenmehl-Partikel dürfen nicht mit in den glutenfreien Mehlmix geraten oder auch nur im selben Raum herumfliegen. Deshalb läuft die Produktion der „Grundpizzen" jede neue Woche vorab extra.
Wir bekommen die königliche „Urpizza" Margherita zum Probieren. Mozzarella Fior di Latte kommt auf die San-Marzano-Sauce, dann geht’s ab in den Ofen. Frisches Basilikum und ein Schuss kaltgepresstes Olivenöl on top, und schon rückt Gianluca Simonato der fertigen Margherita mit einer Pizzaschere zu Leibe. Ja, doch, so etwas gibt’s: Die Pizzaschere mit flachem Unterschenkel ähnelt einer Stoffschere. Das ist besser als die Pizza mit einem herkömmlichen Roller zu schneiden, erklärt Simonato: „Wir wollen die ganze schöne Struktur vom Rand erhalten." Große, blasige Lufteinschlüsse im zwei bis drei Zentimeter hohen Rand zeigen sich im Anschnitt. So wird nichts zerquetscht, was nur sauber getrennt werden soll. Biss, Mundgefühl und Aroma sind untadelig, die Pizza schmackofatzig köstlich. Das lange Ausprobieren hat sich gelohnt.
„Ich wollte die Pizza so ähnlich wie möglich machen, selbst wenn sie ohne Gluten nie so luftig wird wie mit." Es gibt insgesamt vier glutenfreie Pizzen. Unter anderem eine von Hause aus vegane – die käsefreie „Mari[Nera]" mit Tomaten, Knoblauch, einer Creme aus schwarzem Knoblauch, Oregano und Basilikum. Damit die Fans der tomatenfreien weißen Pizzen nicht zu kurz kommen, entwickelte Simonato eine glutenfreie Carbonara mit Guanciale, pinkem und schwarzem Pfeffer sowie einer Pecorino-Romano-Creme. Die gute Nachricht für alle: Sämtliche Pizzen können mit Extras wie Mozzarella, Pilzen, scharfer Salami, Burrata, Knobi und Sardellen gepimpt werden. Nur die „Extra Love" fällt bei den glutenfreien Exemplaren weg – was rund eingefroren war, kann nicht in Herzform gezogen werden, bevor es in den Ofen kommt.
Da war doch noch was? Aber ja. Pizza mit Weizenmehl! Die gibt’s sogar am laufenden Meter und im römischen Stil „dicker, aber trotzdem luftig, eher wie eine Focaccia". Eine Neuerung auf dem Berliner Pizzamarkt, die stückweise geordert werden kann. Wir probieren vor Ort stattdessen von einer üppigen veganen Schönheit mit Polentachip-Segeln, die aus Paté-Hügeln von getrockneten Tomaten und Bio-Tofu herausspitzen. Auf diesem „Vegan Dream" mit einer ungewohnten, gelben Tomatensauce präsentieren sich außerdem eingelegter Rotkohl und Pilze. Das ist ein gemüsiges Geschmackserlebnis, changierend zwischen feiner Säure, Tomaten-Umami, Paste und Crunch. Macht Spaß und ist maximal weit entfernt von jeglichem Pizza-Dogma!
„Ich war schon immer verliebt ins Kochen"
Extraliebe geht an die Kinder raus: Für sie gibt’s kleine Margheritas für sechs Euro. Die ausgewachsenen Pizzen kosten je nach Belag zwischen 7,50 und 18,50 Euro, die Extras zwischen 1,50 und vier Euro. Das ist in dieser Produktverliebtheits- und Handgemacht-Klasse normal und gerechtfertigt.
Bei den „normalen" Napoletanas wird die zeitgenössische Abweichung von der strengen süditalienischen Schule besonders deutlich. Der Teig wird mit Trocken-Sauerteig, der mit etwas Hefe reaktiviert wird, angesetzt. „Das gibt den Geschmack vom Sauerteig an die Pizza ab", sagt Simonato. Im Steinofen werden die Pizzen bei 400 Grad um die eineinhalb Minuten gebacken. Das sorgt für den Mondkrater-Look mit braunen Leopardenflecken auf dem Rand. Gianluca Simonato nimmt das Motto seines T-Shirts „In crust we trust" wörtlich: „Ich mag die Pizza persönlich ein wenig knuspriger als die Napoletana."
„Ich war schon immer verliebt ins Kochen und wollte Koch werden", sagt der 28-Jährige. Er besann sich jedoch zunächst auf einen guten Schulabschluss und nahm ein Pädagogik-Studium in Padua in Angriff. „Ich habe in meiner Lieblingspizzeria gejobbt und viel gelernt", sagt er. „Ich habe mit den Augen geklaut". Erst war’s ein Sommerjob, dann ein Beruf. Studium ade, Pizza und Berlin to come: Seit 2013 lebt er in der Hauptstadt, arbeitete als Pizzabäcker in der Kreuzberger Trattoria „Castel Montecroce". Es folgten: Experimentierlust und erste Versuche mit Sauerteig. Der Pizza-Container in der „Pampa" auf dem Holzmarkt-Areal und das „Kater Blau" „mit viel Nachtarbeit". Die „Pizza Library", zwei Foodtrucks, die auf Hochzeiten, Events und Festivals tourten.
In Nicola Thiele traf er einen, „der voll Bock hatte, eine eigene Pizzeria zu machen." Einen Businessplan und ein Okay von der Bank später war der Weg zum eigenen Laden geebnet. Nach neun Jahren an Teig und Ofen sollte es in Mitte losgehen. Doch die Lockdowns zögerten den Start hinaus. Allerdings ohne größere Blessuren, denn auch der Vermieter des Lokals blieb fair.
Pizzaliebe hin, Experimentierfreude her: Selbst in der ausgefeiltesten Pizzeria darf ein andersartiges Drumherum nicht fehlen. Für die Momente, an denen es etwas weniger kohlehydratlastig zugehen soll, gibt es etwa einen Burrata-Salat nach apulischer Art: Gelbe und rote Tomaten baden in Olivenöl. Die weiße Käsekugel obenauf wartet auf angriffslustige Gabeln, die ihr sahniges Inneres zum Auslaufen bringen. Raffiniertes Gimmick: ein hausgemachtes Basilikumsalz. Würzt, sieht schick aus und verstärkt elegant das Aroma der frischen Blättchen. Das Begleitbrot kommt als rösche Focaccia aus dem Steinofen.
Wenn’s richtig gewagt sein soll: Erst den Salat essen und gleich danach ein Tiramisu „from Mamma recipe". Das muss Mamma schon für den kleinen Gianluca einprägsam zubereitet haben. Es ist kindertauglich ohne Alkohol. Die klassische Mascarpone-Creme wird mit Haselnüssen und Kakao ergänzt. „Und mit selbst gemachter Savoiardi", sagt Simonati. Der italienische Name für Löffelbiskuits klingt doch gleich viel spektakulärer. In einem Lokal, in dem Backen und Experimentieren Hauptbeschäftigungen sind, ist das geradezu Pflicht und Leidenschaft gleich mit dazu.