Im brandenburgischen Eberswalde hat Sarah Polzer-Storek eine frühere Gründerzeitfabrik zu einem Park für Gewerbe und Industriekultur umgestaltet. Die 42-Jährige hat dem Areal im positiven Sinn ihren Stempel aufgedrückt.
Das blonde lange Haar umweht sanft ihr Gesicht. Ihr weites, bodenlanges Kleid, fällt leicht und wippt sanft über ihre Hüften. Wie eine stolze Herrscherin schreitet Sarah Polzer-Storek durch ihr Reich. Vorbei an alten Betriebshallen und Werkstätten, Gebäuden aus Ziegelsteinen. Industriefenstern aus Gusseisen. Auf alten Stahltreppen rankt Efeu. Aus ruinösem Mauerwerk wächst Löwenzahn. Junge Birkenpflänzchen ragen aus den Ritzen zart empor.
Das Reich ist der Rofin-Gewerbepark im Gemäuer einer Gründerzeitfabrik des ehemaligen Mannesmann-Seiffert Rohrleitungsbaus. Der damals Volkseigene Betrieb stellte Rohrleitungen für Chemieanlagen und Atomkraftwerke her. Mit der Wende und den damit verbundenen drastischen Produktionseinschränkungen, mit dem Strukturwandel und den Massenentlassungen standen die Produktionshallen leer und verwahrlosten nach und nach.
Da, wo sich anderen Ortes kastenförmige Baumärkte, Autohandel, Supermärkte, oder Burger-Imbisse auf alten Industriebrachen niederließen, entstand auf dem 100.000 Quadratmeter großen Gelände eine bewegte Industriekultur.
Bewegte Industriekultur auf großem Gelände entstanden
Zu verdanken ist das Sarah Polzer-Storek. Anfang 2014 erwarb sie den gesamten Gewerbepark, um den sie sich schon vorher viele Jahre verantwortlich kümmerte. Seitdem hat sie ihm ihren eigenen Stempel aufgedrückt. Alte Bausubstanz zu erhalten und für Eberswalde eine Vielfalt von Einkaufs-, Dienstleistungs-, Bildungs- und Entspannungsmöglichkeiten zu schaffen.
Die Unternehmerin ist eine gnädige Herrscherin. Nicht herrisch. Ohne Größenwahn. Eine, die das Beste will für ihren Rofin und für die ansässigen Gewerbetreibenden. Auf den ersten Blick wirkt die Eigentümerin des Rofin sehr klar und bescheiden. Das ist sie auch. „Bescheiden und mit Augenmaß" ist ihre Devise. „Behutsam und nachhaltig. Nichts aufhübschen, kein Bling-Bling. Keine Spirale von immer schneller, weiter, immer höher hinaus. Damit beuten wir unseren Planeten aus", betont sie mit Nachdruck. „Wir wachsen mit Sorgfalt. Das verlangt auch, dass nicht alle Projekte von heute auf morgen umgesetzt werden, dafür aber mit viel Liebe zu den Details." Erhaltenswert sind die ehemaligen Werkgebäude schon aus baugeschichtlichen Gründen, weil sie beispielhaft den Charakter der einstigen Industriearchitektur dokumentieren.
Auf dem Gelände sieht vieles von außen noch so aus wie vor 30 Jahren. Alte Verbundfenster aus Kunststoff. Im Haus der einstigen Verwaltung ist alles noch wie zu DDR-Zeiten. Das gesamte Interieur, Stühle, Tische Tresen, Kacheln, Tapete, Deckenleuchten. „Ich möchte niemals mehr verändern als unbedingt nötig, um damit auch den Charme, die alte Geschichte, mit allem, was dazu gehört zu bewahren. Was noch haltbar ist und funktioniert, muss nicht wegmodernisiert werden." Die denkmalgeschützten Gebäude wurden instand gesetzt und zunächst von innen viel erneuert, Sanitäreinrichtungen, Stromversorgung, Wasser- und Abwasserverlegung, Anschlüsse für die Telekommunikation und Gehwege wurden geschaffen. „Meine Vision ist es, den Rofin zu einem ressourcenschonenden Gewerbepark zu entwickeln." Häufig spricht Sarah Polzer-Storek, die sich politisch auch bei den Grünen engagiert, von Nachhaltigkeit, von einem behutsamen Umgang mit Sachwerten, in deren Arbeit und Geschichte stecken.
Vom asiatischen Kampfkunstverein bis zum Zaunbauer
Die verschlissenen, historischen Fassaden strahlen im untergehenden Sonnenlicht eine eigene Schönheit aus.
Blühwiesen, Obstbäume, Naschgärten mit Kräutern, Büsche und Sträucher machen sich breit zwischen den zahlreichen, ehemaligen Betriebshallen und Werkstätten. Lebensraum für zahlreiche Wildtiere, Pflanzen und Vögel. Das Gärtnern gehört zu den Leidenschaften der Unternehmerin. „Das Grün gibt der Natur wieder mehr Raum, was so einem eher technischen Gelände gut steht."
Selbstbewusst und zielstrebig verfolgt die Unternehmerin mit ihrem Team ihre Pläne. Schafft Arbeitsplätze, ist Ideenschmiede und Markt der Ambitionen zugleich. Auf dem Gelände herrscht reges Treiben. Im Industriedenkmal ist Leben wieder eingezogen. Ein buntes Miteinander von Industrie, Handwerk, Dienstleistungen, Handel, Kultur und Freizeit. Durch das Selbstkostenprinzip konnten auch für Finanzschwache zu verkraftende Mieten realisiert werden. Für sie konnte die Möglichkeit mietfreier Nutzung während einer vereinbarten Anfangszeit und des Um- und Ausbaus kleinerer Gewerberäume mit eigenen Mitteln geschaffen werden. Dadurch wurde in vielen Fällen eine Firmengründung erst möglich.
Diverse Gewerbe wie Metallbauer, Zaunbauer, Handwerker Elektrofachmarkt, ein Restaurator, eine Jurtenbauerin, ein asiatischer Kampfkunstverein, Brillux, Unternehmen mit Freizeitangeboten sowie Kunst und Kultur. „Der breite Mix ist beabsichtigt. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sorgt er für eine Risikostreuung. Während der Pandemie hat er sich als folgerichtig erwiesen und vor einem breiten Mietausfall bewahrt. Nicht zuletzt wird durch diese Vielfalt auch einer Gentrifizierung vorgebeugt."
Ihre Ausrichtung ist nicht vordergründig marktwirtschaftlich, sondern soziokulturell, erklärt Sarah Polzer-Storek und führt zu einer besonderen Betriebshalle. Es ist die „Halle 54", in der einst Rohrleitungen für Kraftwerke aus dem Ostblock gefertigt wurden. Später nutzte man das Gebäude als Lagerhalle.
Weit offen stehen die beiden schweren Eisentore. Verschiedenste Klänge hallen durch das Gemäuer, schwingen sich durch Rohrleitungen, auf dem Betonboden, an den Steinwänden, Säulen oder bis zur Decke empor, dringen nach draußen. Über ein System in den Rohren eingebauter Lautsprecher, Mikrofone und Plattenspieler entstehen elektronische Klänge zeitgenössischer Musik. Mal gesprochener Text, mal Klang. Mal hell, mal dumpf, dunkel, mal metallisch, instrumental, klar, laut, ruckartig, schräg, sanft, pulsierend. Diese Atmosphäre einer sich stetig drehenden Zeit hat der italienische Komponist Giovanni Verga in der ehemaligen Rohrfabrik nachempfunden, als würde der Ort selbst seine Geschichte preisgeben.
Wichtig sind ihr Transparenz und ein achtsamer Umgang
Über die Stadt Eberswalde hinaus bekannt ist auch die Großraum-Disko, das A-Werk im Rofin Park oder der afrikanische Kulturverein Palanka, der seit vielen Jahren dort seine Räumlichkeiten mietet.
Sarah Polzer-Storek wurde 1978 in Frankfurt/Main geboren. 1993 zog sie mit ihren Eltern in die Uckermark. Nach Stationen in Berlin, Bosnien-Herzegowina und vielen Jahren in der Nähe von Angermünde, wohnt sie seit 2015 mit ihrem Mann und den vier Söhnen in Eberswalde. „Mein Vater wollte den Osten mit aufbauen. Ich aber war völlig schockiert von dieser Region und wollte nur weg. Eberswalde war keine Gegend, die hip war. Sie war grau, trostlos, eine einzige Tristesse. Und diese Perspektivlosigkeit. Ich wollte nur weg." Die Tochter studierte osteuropäische Kultur und kehrte nach Eberswalde zurück.
Später zog ein anderer Geist in die Stadt. Sie trat in Vaters Fußstapfen und übernahm die Verantwortung für den Rofin. Keine Frau, die kam, sah und siegte. „Die Anfangseuphorie verpuffte schnell. Schwierige Jahre mit knallharten finanziellen Engpässen folgten. Skeptiker gab es genügend. Vorurteile. Sarah Polzer-Storek hatte keinen leichten Stand. Den Rofin-Park zu neuem Leben zu erwecken, würde eine Frau niemals schaffen, prophezeiten besonders Männer. „Darauf konnte ich nichts geben. Ich ignorierte die Spötteleien." Die Zweifel spornten die Jungunternehmerin schließlich an, um es sich selbst und den anderen zu beweisen. Natürlich gab es auch Reibereien. „Man kann nicht mit allen befreundet sein. Es muss von allen Seiten gelernt werden, sich korrekt zu verhalten." Wichtig sind ihr Transparenz und ein achtsamer und respektvoller Umgang mit den Menschen und ihren Projekten. Die Mieterinnen und Mieter wählt sie im Team passend zu den Räumlichkeiten aus. Jeder Mietvertrag wird speziell an die Projektidee der Gewerbetreibenden angepasst.
Die ehemalige Fabrikanlage wurde mehr und mehr zu einer Herzensangelegenheit von Sarah Polzer-Storek. „Der Rofin ist wie ein kunterbuntes Zirkuspferd, das man mit Liebe, Fantasie und Geduld aufziehen kann. Hier ist noch Raum für Entwicklung, um selbst etwas zu gestalten, zu erschaffen. Das macht den Park so spannend und lukrativ. Ein Ort, der niemals alltäglich oder monoton ist, der wandelbar bleibt und lebendig. Weil er nie zu perfekt ist."